Seit wenigen Wochen gibt es wieder Kontrollen an allen deutschen Grenzen. Sie sollen die irreguläre Migration eindämmen und die innere Sicherheit stärken. Aber helfen Grenzen gegen Terror?
Seit Solingen stellen sich viele Menschen in Deutschland die Frage: Ist der islamistische Terror zurück? Bei vielen wurden Erinnerungen an die 10er-Jahre wach, an die Anschläge von Nizza, Paris und vom Berliner Breitscheidplatz. Und so sieht das geplante Sicherheitspaket der Ampel neben einem Ausbau der Befugnisse von Sicherheitsbehörden und einem strengeren Waffenrecht auch Verschärfungen beim Thema Asyl vor.
Noch befindet sich das Paket im Gesetzgebungsprozess. Ein Expertengremium hat zahlreiche Fragen gestellt und Zweifel angemeldet. Bereits in Kraft getreten sind allerdings umfassende Grenzkontrollen. Eine Maßnahme, die gerade im europäischen Ausland für Kopfschütteln sorgt, da sie dem Grundgedanken der Freizügigkeit innerhalb der EU widerspricht. Zumal sich viele Experten ohnehin die Frage stellen, ob geschlossene Grenzen überhaupt für mehr innere Sicherheit sorgen?
Grenzkontrollen könnten in Verdachtssituationen hilfreich sein
Gruppierungen, die Terroristen einschleusen könnten, würden Wege finden, solche Kontrollen zu umgehen, sagt Mathias Rohe. Der Rechts- und Islamwissenschaftler forscht und lehrt an der Universität Erlangen-Nürnberg. Hinzu komme: "Die letzten Anschläge wurden von Menschen durchgeführt, die sich im Inland radikalisiert haben und nicht in organisierter Form Dinge geplant haben." Diese Täter würden IS-Propaganda folgen und Taten in den Ländern verüben, in denen sie sind – auf möglichst einfache Art und Weise. "Diese Art von Anschlägen, die uns ängstigen und aus der Fassung gebracht haben, wird man mit Grenzkontrollen nicht eindämmen können."
Terror-Experte Felix Neumann von der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung sieht das anders. Grenzkontrollen könnten aus seiner Sicht sehr wohl einen Effekt auf die Terrorbekämpfung haben – und zwar dann, wenn mutmaßliche Attentäter bereits unter Beobachtung stünden. "Dadurch lassen sich sowohl Menschen als auch Warenverkehr kontrollieren", so Neumann. "Wenn also eine verdächtige Person ins weniger regulierte Ausland reist, um dort Substanzen zum Bombenbau oder Waffen zu kaufen, kann sie an der Grenze rausgezogen werden." Die Sicherheitsbehörden verfügten über alle nötigen Informationen für eine Verhaftung.
Das bedeutet: Grenzkontrollen sind für Terrorprävention vor allem dann sinnvoll, wenn es bereits einen konkreten Anfangsverdacht gibt.
Das Problem ist: In der aktuellen Debatte werden viele Themen miteinander vermischt: Innere Sicherheit, Islamismus, Migration. "Es wird unterkomplex eine Angstdebatte geführt", sagt Rohe, "das hat sicherlich mit den Landtagswahlen in Ostdeutschland zu tun." Es sei dringend erforderlich, real existierenden Gefahren ins Auge zu blicken und mit kühlem Kopf zu überlegen, an welchen Schrauben gedreht werden könne. Was dabei nicht helfe: Die Problematik des gewalttätigen Islamismus mit Migration zu vermischen. "Zu sagen, wir lassen keine Menschen mehr aus Syrien oder Afghanistan einreisen, wird der Sache nicht gerecht. Die wenigen potenziellen Täter wirft man dann in einen Topf mit den vielen potenziellen und realen Opfern."
Auch Neumann stellt klar, dass die islamistische Propaganda nicht primär bei jenen ansetze, die nach Europa einwandern wollen, sondern bei jenen, "die einen Anschlag verüben wollen".
Radikalisierung auf Social Media
Laut Islamwissenschaftler Rohe laufe die Radikalisierung zunehmend über Social Media. Das aktuell größte Problem: Propaganda-Videos von extremistischen Organisationen und Hass-Predigern. Dem Beizukommen ist laut Rohe schwierig. Allein Tiktok einzuschränken sei kaum umsetzbar.
Dennoch fordert Terrorexperte Neumann genau hier anzusetzen und künftig viel strenger zu regulieren. Tiktok und Twitter bräuchten klare Regeln, die sicherstellen, dass gemeldete Inhalte auch tatsächlich gelöscht werden. Auch Neumann schreibt Social Media eine entscheidende Rolle bei der Radikalisierung zu. Menschen, die anfällig für Propaganda seien, würden sich schnell in einem Rabbit-Hole wiederfinden.
Das bedeutet, ihnen werden vom Algorithmus nur noch Propaganda-Videos angezeigt. Neumann sagt: "Unter Umständen kann es so nur wenige Tage dauern, bis eine Person beschließt: Ich begehe einen Anschlag."
Sicherheit versus Freiheit
Um die Terrorgefahr eindämmen zu können, bräuchten Sicherheitsbehörden aus Sicht von Neumann mehr Kompetenz, etwa bessere Möglichkeiten der Telefonüberwachung. Der versuchte Anschlag in Wien etwa habe verhindert werden können, weil amerikanische Nachrichtendienste wussten, dass der potenzielle Attentäter im Vorfeld mit dem IS kommuniziert hatte. "Je besser die Informationslage ist, desto konkreter können die Beamten handeln", sagt Neumann.
Auch Rohe plädiert dafür, datenschutzrechtlich umstrittene Maßnahmen stärker in Erwägung zu ziehen, um Terror bereits im Vorfeld zu bekämpfen. "Wir laufen Extremisten und Kriminellen nur hinterher. Deshalb brauchen wir dringend die Vorratsdatenspeicherung." Der Sicherheitsaspekt habe hier Vorrang.
Es geht also um das Spannungsverhältnis Sicherheit versus Freiheit. Einerseits brauchen die Behörden Informationen, um konkrete Anschläge verhindern und potenzielle Täter aus dem Verkehr ziehen zu können. Andererseits sind die Freiheitsrechte im Grundgesetz gut abgesichert. Dazu gehört auch, dass Kommunikation geheim bleiben darf und Menschen sich frei bewegen dürfen.
Laut Neumann stecken die Sicherheitsbehörden gegenwärtig in einer gefährlichen und schwierigen Lage: "Sowohl quantitativ als auch qualitativ wachsen der Rechtsextremismus und der Islamismus. Mit den Reichsbürgern haben wir einen neuen Phänomentyp und auch die Delegitimierung des Staates nimmt seit 2021 zu." Der Sicherheitsapparat müsse daher vielen Gefahren gleichzeitig begegnen. Das sei neu. Der Terrorexperte plädiert daher dafür, an allen Ecken aufzustocken: mehr Kompetenzen, mehr Personal, mehr Technik.
Prävention als Grundstein gegen Terror
Zur Prävention wäre aus Sicht des Islamwissenschaftlers Rohe allerdings noch etwas ganz anders nötig: solider islamischer Religionsunterricht. Teilweise gebe es an Schulen bereits ausgebildete Religionslehrer, die das anbieten. "Natürlich ist dieser Unterricht nicht primär da, um Radikalisierung zu verhindern", räumt Rohe ein, aber eine positive Begleiterscheinung ist das trotzdem. Terrorexperte Neumann wünscht sich vor allem mehr Demokratie-Influencer, die salafistischen Predigern und rechten Akteuren auf Social Media etwas entgegen zu setzen haben.
Verwendete Quellen
- Gespräch mit Mathias Rohe
- Gespräch mit Felix Neumann
- kas.de: "Islamismusprävention aus Sicht der Sicherheitsbehörden"
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