- Kabul war die letzte Großstadt in Afghanistan in den Händen der Regierung.
- Doch nun flieht der Präsident Ghani und die Taliban nehmen den Präsidentenpalast in Kabul ein.
- Die Evakuierung von deutschen Botschaftsangehörigen beginnt noch am Sonntag.
Zwei Jahrzehnte nach ihrem Sturz sind die Taliban am Sonntag ins Zentrum der Macht in Afghanistan vorgerückt. Nach ihrem blitzartigen Vormarsch feierten bewaffnete Kämpfer der radikalislamischen Miliz im Präsidentenpalast in Kabul ihren "siegreichen" Feldzug gegen die afghanische Regierung. Präsident Aschraf Ghani floh ins Ausland. Deutschland und weitere westliche Staaten räumten ihre Botschaften, die ersten deutschen Botschaftsmitarbeiter sollten noch am Sonntag ausgeflogen werden.
Ghani: "Die Taliban haben gesiegt"
Präsident Aschraf Ghani hat die militärische Niederlage gegen die radikalislamischen Taliban eingestanden. "Die Taliban haben gesiegt", schrieb Ghani am Sonntag auf Facebook. Die Islamisten seien nun verantwortlich für "die Ehre, das Eigentum und die Selbsterhaltung ihrer Landsleute".
Ghani war außer Landes geflohen, nachdem die Taliban am Sonntag bis an den Stadtrand von Kabul herangerückt waren. Er begründete seinen Schritt mit der Sorge um die Sicherheit der Bevölkerung in der Hauptstadt.
Er sei geflohen, um "eine Flut des Blutvergießens zu verhindern", erklärte Ghani in seinem Facebook-Post. Wenn er geblieben wäre, wären "zahllose Patrioten" getötet und Kabul zerstört worden, fügte er hinzu. Ghani sagte nicht, in welchem Land er sich inzwischen aufhält. Lokale Medien berichteten, er sei nach Tadschikistan geflogen.
Taliban nehmen Präsidentenpalast ein
Die Taliban sind nach eigenen Angaben in mehrere Bezirke der afghanischen Hauptstadt Kabul vorgerückt. Die Taliban-Kämpfer seien in die Stadt vorgerückt, um dort "die Sicherheit zu gewährleisten", teilte die Miliz am Sonntag mit. Nach Aussage von drei ranghohen Taliban-Vertretern übernahmen die Islamisten sogar die Kontrolle über den Präsidentenpalast.
Taliban erobern fast alle Provinzhauptstädte in eineinhalb Wochen
Die Taliban hatten in den vergangenen knapp eineinhalb Wochen fast alle Provinzhauptstädte eingenommen. Viele waren kampflos an sie gefallen. Am Samstagabend (Ortszeit) hatten sie Masar-i-Scharif im Norden und am Sonntagmorgen Dschalalabad im Osten eingenommen. In Masar-i-Scharif war bis vor wenigen Wochen ein großes Feldlager der Bundeswehr gewesen, erst Ende Juni sind die deutschen Soldaten von dort abgezogen. Die Bundeswehr hatte zuletzt afghanische Sicherheitskräfte im Zuge des Nato-Einsatzes "Resolute Support" ausgebildet.
Dschalalabad war die vorletzte noch unter Kontrolle der Regierung stehende Großstadt. Wenig später sammelten sich Taliban-Kämpfer an den Toren der Hauptstadt Kabul. Sie wurden allerdings zunächst dazu angewiesen, nicht in die Stadt vorzudringen.
Der amtierende Innenminister Abdul Sattar Mirsakwal sagte noch am Vormittag, es gebe eine Vereinbarung mit den Taliban für einen friedlichen Machtwechsel. Verteidigungsminister Bismillah Chan Mohammadi erklärte in einer Videoansprache, als Vertreter der Streitkräfte garantiere er die Sicherheit Kabuls. Die Menschen sollten nicht in Panik verfallen.
Auch die Taliban versuchten, die Furcht vor einer Schlacht um Kabul zu zerstreuen. Suhail Schahin, ein Unterhändler bei den Gesprächen mit der afghanischen Regierung in Katar, erklärte der BBC: "Wir versichern den Menschen (...) in der Stadt Kabul, dass ihr Hab und Gut und ihre Leben sicher sind." Es werde "keine Rache an irgendjemandem" geben. Die Taliban-Kämpfer hätten den Befehl, Kabul nicht zu betreten. "Wir warten auf eine friedliche Übergabe der Macht." Da die Hauptstadt Kabul eine große und dicht besiedelte Stadt sei, beabsichtigten die Taliban nicht, sie mit Gewalt zu betreten.
Maas: Evakuierung von Botschaftsangehörigen beginnt umgehend
Die ersten Angehörigen der deutschen Botschaft in Kabul sollen noch im Laufe dieses Sonntags aus der afghanischen Hauptstadt ausgeflogen werden. Das hat Außenminister Heiko Maas (SPD) am Abend in Berlin angekündigt. In der Nacht sollen dann nach Angaben des Ministers die Flugzeuge der Bundeswehr in die afghanische Hauptstadt starten, um bei der weiteren Evakuierung zu helfen.
Auch die USA begannen, ihre Botschaft zu räumen und ihr Personal an einen Standort am Flughafen zu verlegen, wie Außenminister Antony Blinken bestätigte. Man wolle sicherstellen, dass das Personal ungefährdet arbeiten könne und weitere Menschen ausgeflogen werden könnten, sagte Blinken dem US-Sender ABC. Russland will seine Botschaft hingegen vorerst nicht räumen, wie der Afghanistan-Beauftragte des Außenministeriums, Samir Kabulow, der Agentur Interfax sagte.
Aus der Nato hieß es am Sonntag auf Anfrage: "Wir helfen, den Betrieb des Flughafens Kabul aufrechtzuerhalten, damit Afghanistan mit der Welt verbunden bleibt. Wir halten auch unsere diplomatische Präsenz in Kabul aufrecht."
In Kabul spielten sich am Sonntag chaotische Szenen ab. Es kam zu einer Schießerei vor einer Bank, wie ein Bewohner der Stadt sagte. Viele Menschen versuchten, ihr Erspartes abzuheben und Lebensmittel zu kaufen. Ein Soldat aus Kabul sagte, seine gesamte Einheit habe die Uniformen abgelegt. (ash/dpa/afp)
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