Verfolgungsjagd mit der Polizei – das hört sich nach Actionfilm an. Tatsächlich kommt es auch in Deutschland praktisch täglich zu solchen Szenen. Die Polizei hat bei solchen Dringlichkeitsfahrten bestimmte Sonderrechte. Doch sie enden, wenn die Gefahr für Beteiligte und Unbeteiligte zu groß wird.
Der Versuch, sich einer Polizeikontrolle zu entziehen, endete für ein mutmaßliches Schleuserfahrzeug vergangene Woche in einer Katastrophe. Der vollkommen überfüllte Transporter kam bei einer Verfolgungsjagd mit der Polizei auf der A94 in Bayern von der Straße ab und überschlug sich mehrfach. Mindestens sieben Menschen starben bei dem schweren Unfall. Weitere Personen, darunter auch Kinder, wurden teils schwer verletzt.
Die Staatsanwaltschaft ermittelt nun unter anderem wegen eines Tötungsdeliktes gegen den Fahrer. Doch auch an der Polizei gibt es Kritik: "Verdächtige Fahrzeuge mit solchem Übereifer zu verfolgen, dass unschuldige Menschen sterben, ist unserer Polizei absolut unwürdig", sagte Adelheid Rupp, Landessprecherin der bayerischen Linke. Bayerns Innenminister
Der Fall wirft die Frage auf: Was darf die Polizei eigentlich im Rahmen einer Verfolgungsfahrt?
Fast 1.200 Verfolgungsjagden allein in NRW
Bei Verfolgungsjagden durch die Polizei denkt man eher an Hollywoodfilme oder Szenen aus den USA. Doch auch in Deutschland sind Verfolgungsfahrten keine Seltenheit: Allein im Bundesland Nordrhein-Westfalen gab es laut einem Bericht der "Tagesschau" im Jahr 2022 1.164 Verfolgungsfahrten – im Mittel mehr als dreimal pro Tag floh demnach eine Person mit dem Auto vor der Polizei.
Zu solchen Verfolgungsfahrten kommt es meist im Rahmen von Verkehrskontrollen. Alle Verkehrsteilnehmer sind dazu verpflichtet, anzuhalten, wenn sie von der Polizei per Hand, mit einer Winkerkelle oder einer Leuchtanzeige herausgewunken werden. Reagiert ein Fahrer oder eine Fahrerin nicht auf ein polizeiliches Anhaltesignal und erhöht womöglich die Geschwindigkeit, ist das für die Polizei ein Hinweis darauf, dass hier etwas nicht stimmt. Grundsätzlich dürfen Polizeibeamte und Polizeibeamtinnen die Verfolgung aufnehmen, wenn die öffentliche Sicherheit und Ordnung gefährdet ist. Etwa, wenn Gefahr im Verzug ist oder der Verdacht nahe liegt, dass der flüchtende Fahrer eine Straftat begangen hat.
Sonderrechte für Dringlichkeitsfahrten
Verfolgungsfahrten sind sogenannte Dringlichkeitsfahrten, denn hier ist Eile geboten. Bei Dringlichkeitsfahrten gelten für Bundes- und Landespolizei, Bundeswehr, Feuerwehr und Katastrophenschutz gewisse Sonderrechte, die in §35 der Straßenverkehrsordnung (StVO) geregelt sind. Ist es zur Erfüllung hoheitlicher Aufgaben wie der Verfolgung von Straftaten dringend geboten, darf die Polizei demnach von den Vorschriften der StVO abweichen und beispielsweise Geschwindigkeitsbegrenzungen überschreiten und rote Ampeln überfahren.
Dabei gilt jedoch immer der Grundsatz der Verhältnismäßigkeit: Staatliche Maßnahmen müssen immer geeignet und angemessen sein, um den verfolgten Zweck zu erfüllen. Was geeignet und angemessen ist, muss von Fall zu Fall abgewogen werden. Besteht der Verdacht auf eine schwere Straftat oder eine Gefährdung der Öffentlichkeit, darf die Polizei ein flüchtendes Fahrzeug beispielsweise durchaus ausbremsen oder gegen die Leitplanke drücken, um es zu stoppen. Liegt hingegen nur eine mutmaßliche Ordnungswidrigkeit vor, wäre eine solche Maßnahme nicht verhältnismäßig.
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Schusswaffengebrauch kann bei Verfolgungsfahrten gerechtfertigt sein
Auch der Gebrauch von Schusswaffen kann bei einer Verfolgungsjagd durchaus gerechtfertigt sein, wenn das Fahrzeug unbedingt gestoppt werden muss. Jedes Bundesland erlässt sein eigenes Polizei- und Ordnungsrecht (POR); es basieret aber weitestgehend auf einem einheitlichen Musterentwurf.
Nach Art. 83 des bayerischen Polizeiaufgabengesetzes (PAG) ist der Gebrauch von Schusswaffen zulässig, wenn andere Maßnahmen des unmittelbaren Zwangs erfolglos angewendet wurden oder offensichtlich keinen Erfolg versprechen. Der Waffengebrauch muss allerdings im Verhältnis zu allen verfügbaren Maßnahmen stehen und die geringste Einwirkung auf Täter, Fahrzeug und Allgemeinheit haben. Ein Reifenschuss, um das Fahrzeug zu stoppen, kann demnach zulässig sein. Besteht eine hohe Wahrscheinlichkeit, dass Unbeteiligte dadurch gefährdet werden, ist der Gebrauch von Schusswaffen allerdings nicht gestattet.
Auch die Sonderrechte dürfen laut §35 Abs. 8 StVO nur unter Berücksichtigung der öffentlichen Sicherheit und Ordnung ausgeübt werden. Verfolgungsfahrten müssen daher in der Regel abgebrochen werden, wenn sie für beteiligte oder unbeteiligte Personen zu gefährlich werden oder das Risiko für größere Schäden nicht überschaubar ist. Dann bleibt der Polizei nur, den Fahrzeughalter über das Kennzeichen zu ermitteln und zu klären, wer bei betreffender Fahrt am Steuer saß.
Dass Personen im Rahmen von Verfolgungsfahrten mit der Polizei zu Schaden kommen, ist nicht selten. In Großbritannien gibt es Schätzungen, nach denen pro Jahr 40 Personen bei Unfällen getötet werden, in die Polizeifahrzeuge involviert sind. Ob die Polizei ihre Befugnisse im aktuellen Fall aus Bayern überschritten hat oder nicht, müssen weitere Ermittlungen zeigen.
Verwendete Quellen:
- Schriftliche Anfrage beim ADAC
- ADAC auf Youtube: "Was darf die Polizei bei einer Verfolgungsjagd?"
- Tagesschau.de: "Fast 1.200 Verfolgungsjagden der NRW-Polizei im vergangenen Jahr"
- Gewerkschaft der Polizei (GDP): "Polizeigesetze der Bundesländer"
- Gesetz über die Aufgaben und Befugnisse der Bayerischen Polizei (Polizeiaufgabengesetz – PAG)
- wired-gov.net: "IPCC publishes major study on police road traffic incidents"
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