Es sterben pro Jahr viel mehr Menschen an Autounfällen, Krebs oder der saisonalen Grippe als an COVID-19? Dieses Argument kursiert im Netz immer wieder. Oft wird die Plattform "Worldometer" als Quelle genutzt. Doch bei den dort aufgelisteten Zahlen gibt es viele Probleme; sie sind nicht vergleichbar.
Immer wieder tauchen in den vergangenen Wochen Beiträge in Sozialen Netzwerken auf, in denen die Todesfälle durch COVID-19 mit anderen Todesursachen verglichen werden. Meist wird damit argumentiert, dass das Coronavirus nicht wirklich gefährlich sei.
So auch in einem Bild auf Instagram, das weltweite Todeszahlen beispielsweise durch Malaria, Verkehrsunfälle und Hunger auflistet. Die Todesfälle durch COVID-19 sind in dieser Auflistung stets der niedrigste Wert. "Das macht es weniger tödlich als eine normale Grippe", behauptet der Nutzer, der die Liste veröffentlicht hat. Ein ähnlicher Vergleich kursierte kürzlich auch auf WhatsApp und Facebook.
Die Vergleiche unterschiedlicher Todesursachen sind problematisch
Mit solchen Vergleichen gibt es jedoch viele Probleme, wie die Recherche von CORRECTIV.Faktencheck zeigt.
Das erste Problem ist, dass die Auswahl der Todesursachen willkürlich getroffen wurde. Sie haben – bis auf die Grippe und AIDS, die auch Viruserkrankungen sind – mit COVID-19 nichts gemeinsam.
Manche Ursachen wie Hunger betreffen nur bestimmte Regionen der Welt, während COVID-19 sich überall ausbreitet. Das Coronavirus ist zudem die einzige neuartige Todesursache, deren Opferzahlen deshalb stark steigen.
Und die Zahlen überschneiden sich auch teilweise: So wird etwa eine Zahl für Krebstote angegeben und auch eine Zahl für Tote durch Rauchen. Raucher sterben aber zumindest zum Teil an Krebs. Das Deutsche Krebsforschungszentrum geht davon aus, dass bis zu 90 Prozent aller Lungenkrebsfälle auf das Rauchen zurückzuführen seien.
Daten von "Worldometer" sind keine Echtzeitdaten
Das zweite Problem ist die Datengrundlage. Als Quelle für den Vergleich dient die Website "Worldometer". Dort werden vermeintliche Echtzeitzähler zu unterschiedlichen Themen aufgelistet, etwa zur Weltbevölkerung, verbrauchter und hergestellter Energie oder Umweltthemen. Die Zahlen werden allerdings nicht wirklich in Echtzeit erhoben, sondern auf Basis von teilweise mehrere Jahre alten Daten geschätzt. "Worldometer" erklärt auf seiner Website: "Wir analysieren die verfügbaren Daten, führen statistische Analysen durch und erstellen unseren Algorithmus, der die Echtzeitschätzung liefert."
Ein Beispiel, das zeigt, weshalb die Zahlen irreführend sind: In der Grafik auf Instagram werden rund 10,7 Millionen Tote durch Abtreibungen von Januar bis April 2020 genannt.
Ein Blick auf "Worldometer" zeigt jedoch, dass diese Zahl sich auf alle weltweit durchgeführten Abtreibungen bezieht. Aktuell sind auf der Webseite – laut der Hochrechnung durch den Algorithmus – rund 18 Millionen Abtreibungen für 2020 verzeichnet (Stand 3. Juni).
Als Quelle wird die WHO angegeben, offizielle Zahlen der WHO für dieses Jahr gibt es aber nicht. Nur allgemeine Durchschnittswerte: Demnach wurden zwischen 2010 und 2014 pro Jahr durchschnittlich 56 Millionen Abtreibungen durchgeführt. Dabei starben pro 100.000 Abtreibungen – abhängig von der Region und dem Gesundheitssystem – 30 bis 520 Frauen.
Mit den "Toten durch Abtreibung" sind also offenbar ungeborene Föten gemeint. Ein Vergleich mit Menschen, die wegen eines Virus wie SARS-CoV-2 gestorben sind, ist nicht aussagekräftig.
Grippetote sind oftmals nur Schätzungen oder Hochrechnungen
Ein weiteres Beispiel ist der Vergleich mit Influenza. Die im Instagram-Bild genannte Zahl von 122.062 Toten durch die saisonale Grippe seit Anfang 2020 ist nicht nachvollziehbar. "Worldometer" gibt als Quellen für die Schätzung Pressemitteilungen der US-amerikanischen Gesundheitsbehörde CDC und der WHO aus dem Jahr 2017 an.
Zudem sind die Statistiken für Grippe und COVID-19 grundsätzlich nicht miteinander vergleichbar, weil sie – zumindest in Deutschland - unterschiedlich erhoben werden: Die Corona-Fälle umfassen im Labor bestätigte Fälle, während die Influenza-Fälle eine statistische Hochrechnung aufgrund der Übersterblichkeit in einem bestimmten Zeitraum darstellen.
Fazit: Der Vergleich so unterschiedlicher Todesursachen führt in die Irre. Die Gefährlichkeit des Virus lässt sich nicht beurteilen, indem man es mit Autounfällen, Rauchen oder Abtreibungen vergleicht.
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