Bewegung ist gesund – das ist eine Binsenweisheit. Doch wie groß der gesundheitliche Nutzen von Bewegung tatsächlich ist, wurde lange Zeit unterschätzt. Schon wenige Minuten pro Tag haben einen messbaren Effekt auf die Gesundheit. In manchen Fällen wirkt Bewegung sogar besser als jede Medizin.

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Einer Studie der Techniker Krankenkasse zufolge bewegt sich rund ein Drittel der Menschen in Deutschland im Alltag zu wenig – mit katastrophalen Folgen für den Einzelnen und das Gesundheitssystem. Einer anderen Studie zufolge hatten "Extremsitzer", die mehr als acht Stunden am Tag im Sitzen verbrachten, innerhalb des Studienzeitraums ein 80 Prozent höheres Sterberisiko.

Forscher sind sich einig, dass sich viele Erkrankungen durch ausreichend Bewegung vermeiden ließen. "Das reicht von Alzheimer über Depressionen bis zu Osteoporose – Bewegung wirkt sich auf jedes Organ aus", sagt Wilhelm Bloch, Sportmediziner der Sporthochschule Köln. Auch einer Krebserkrankung ließe sich mit Bewegung vorbeugen.

"Bewegungsmangel ist eine der größten Gesundheitsrisiken unserer Zeit, das ist keine Frage."

Wilhelm Bloch, Sportmediziner

Rund zehn Prozent aller Brust- und Darmkrebs-Fälle könnten laut der Deutschen Krebsgesellschaft durch ausreichend Bewegung und Sport verhindert werden. Bei Brustkrebs wären das allein in Deutschland über 7.000 Neuerkrankungen pro Jahr, die gar nicht erst entstehen würden. Bei Herz-Kreislauf-Erkrankungen und Diabetes dürften die Zahlen noch weit höher liegen. "Bewegungsmangel ist eine der größten Gesundheitsrisiken unserer Zeit, das ist keine Frage", sagt Bloch.

Bewegung ist Training für das Immunsystem

Warum Bewegungsmangel so schädlich ist und umgekehrt, Bewegung so gesund, hat verschiedene Gründe. Bewegungsmangel ist einer der häufigsten Ursachen von Übergewicht. Rund die Hälfte der deutschen Bevölkerung hat nach Angaben des Robert-Koch-Instituts mehr Kilos auf den Rippen, als gut für sie ist. Im Fettgewebe – insbesondere im Bauchfett – werden Hormone und andere Substanzen produziert, die Entzündungen fördern und das Immunsystem schwächen können. Je mehr Körperfett vorhanden ist, desto größer ist das Risiko. Doch der gesundheitliche Nutzen von Bewegung lässt sich nicht allein damit erklären, dass Bewegung schlank hält.

Aktive Muskeln schütten positive Stoffe wie Myokine aus, die den gesamten Körper stimulieren. Sport und Bewegung wirken wie wohldosierter Stress für den Körper: Sie setzen einen kleinen Entzündungsreiz, auf den die Immunabwehr reagiert. "Es ist wie ein Training für das Immunsystem", sagt Bloch. Kommt es irgendwann tatsächlich zu einer Entzündung, ist das Immunsystem besser vorbereitet. Auch das Gefäßsystem wird durch Bewegung trainiert. Es weitet sich bei Anstrengung und verengt sich wieder und bleibt dadurch elastisch. Bei einem untrainierten Gefäßsystem hingegen kann es passieren, dass plötzliche Belastung zu Schäden in der Gefäßwand führt. "Bewegung macht den Körper leistungsfähiger auf verschiedenen Ebenen. Das ist, was am Ende des Tages zählt."

Bewegung beeinflusst die Gene

Und noch einem weiteren Effekt sind Forscher auf der Spur: Bewegung und Sport können Gene beeinflussen. "Gene, die die Tumorbildung unterdrücken, werden leider im Laufe des Lebens nach und nach abgeschaltet. Deshalb nehmen Krebserkrankungen mit dem Alter zu", erklärt Bloch. "Wenn Sie allerdings Sport treiben, bleiben diese Gene länger aktiv, das haben Studien gezeigt." Das Risiko, dass Zellen entarten und Krebs entsteht, sinkt also durch Bewegung.

Um sich diese epigenetische Regulation zunutze zu machen, muss man nicht schon in jungen Jahren mit dem Sport angefangen haben. "Diesen Mechanismus können Sie zu jeder Zeit nutzen", sagt Bloch. Zwar sei es schwerer, Gene, die einmal umgeschaltet wurden, wieder zu verändern. Doch der Versuch, mit Bewegung positiv gegenzusteuern, lohne sich auch mit 60 Jahren noch.

Schon elf Minuten Bewegung am Tag verlängern das Leben

Die gute Nachricht: Man muss nicht gleich zum Marathonläufer mutieren, um seiner Gesundheit etwas Gutes zu tun. Wissenschaftler der Cambridge University haben kürzlich in einer großangelegten Studie festgestellt, dass schon elf Minuten moderate Bewegung am Tag ausreichen, um das Risiko eines vorzeitigen Todes um 23 Prozent zu senken.

Elf Minuten – das ist selbst für absolute Bewegungsphobiker ein erreichbares Ziel. "Das zeigt, dass schon kleine Portionen Bewegung einen gesundheitlichen Effekt bringen", sagt Bloch. "Die ideale Dosis ist das aber noch nicht." Um das gesundheitliche Potenzial von Bewegung voll auszuschöpfen, braucht es mehr – wie viel genau, das lässt sich gar nicht so einfach beantworten.

"Wie viel Bewegung zur Prävention von verschiedenen Krankheiten nötig ist, ist ganz unterschiedlich", erklärt Bloch. Das Brustkrebsrisiko lässt sich beispielsweise durch Bewegung um 25 Prozent reduzieren. Um das zu erreichen, empfehlen Bloch und seine Kollegen der Sporthochschule Köln ein Pensum von fünf Stunden Walking pro Woche. "Das Darmkrebsrisiko lässt sich durch Bewegung sogar um bis zu 40 Prozent reduzieren, aber dafür müssen Sie sich ungefähr doppelt so lange bewegen."

Neben der Dauer spielt auch die Intensität der Bewegung eine Rolle. "Man kann aber nicht pauschal sagen: Höherer Puls gleich höhere Prävention", sagt Bloch. Um etwa das Herz-Kreislauf-System zu trainieren, sollte der Puls – abhängig vom Alter – schon über 130 steigen. Zur Prävention von Stoffwechselerkrankungen wie Diabetes zeigten sich hingegen schon in niedrigeren Pulsfrequenzbereichen positive Effekte.

Die Weltgesundheitsorganisation (WHO) fasst die vielen wissenschaftlichen Erkenntnisse in folgende Empfehlung zusammen: 150 Minuten moderate oder 75 Minuten intensive Bewegung pro Woche, kombiniert mit Übungen zur Kräftigung der großen Muskelgruppen an zwei Tagen pro Woche. Entmutigen lassen sollte man sich von diesen Zahlen nicht: Der Körper ist keine Stechuhr, bei der nur die vollen Stunden abgerechnet werden – jede Bewegung zählt.

Bewegung wirkt manchmal besser als ein Medikament

Nicht nur für die Prävention von Krankheiten ist Bewegung nützlich, auch in der Behandlung fließt körperliche Aktivität immer mehr ein. Forschungseinrichtungen wie die Sporthochschule in Köln entwickeln spezielle Sportprogramme, zum Beispiel für Krebspatienten. "Bei Tumorpatienten steigt durch Training die körpereigene Tumorabwehr", sagt Bloch. Hier kommt wieder die epigenetische Regulation ins Spiel: Indem bestimmte Gene durch körperliches Training angeschaltet werden, steigt die Anzahl und Verfügbarkeit von natürlichen Killerzellen im Körper, die dabei helfen, den Tumor anzugreifen.

Zwar reicht Bewegung allein im Kampf gegen Krebs nicht aus, doch die Prognose kann dadurch deutlich verbessert werden. "Das kann das Risiko des Fortschreitens der Erkrankung um 25 bis 30 Prozent reduzieren – das muss ein Medikament erst mal schaffen." Bei anderen Erkrankungen kann gezielte Bewegung Medikamente sogar überflüssig machen. "Das beste Beispiel dafür ist Diabetes", sagt Bloch. "Gepaart mit einer vernünftigen Diät wirkt Training hier besser als ein Medikament, das ist nachgewiesen." Das gilt in erster Linie für den erworbenen Typ-2 Diabetes. Patienten mit angeborenem Typ-1-Diabetes sind auch mit Bewegung ein Leben lang auf Insulin angewiesen, doch auch auf sie hat Bewegung einen enorm positiven Effekt.

So kommen Sie wieder in Bewegung

Doch wie kommt man wieder in Bewegung, nachdem man vielleicht jahrelang die Couch dem Training vorgezogen hat? "In kleinen Portionen einsteigen, sodass der Körper stimuliert, aber nicht überfordert wird", sagt Bloch. "Wenn man jahrelang keinen Sport gemacht hat, dann fängt man am besten mit den elf Minuten am Tag an." Nach ein paar Tagen steigert man das Pensum langsam. Erst auf 15 Minuten, dann auf 20 Minuten, und auch die Intensität der Belastung sollte zunehmen.

"Als Grundsatz gilt: Machen Sie den Sport, den Sie mögen – sonst machen Sie es nicht."

Tipp von Sportmediziner Wilhelm Bloch

Wer am Anfang noch keine elf Minuten am Stück durchhält, kann die Einheit auch in Intervallen unterteilen: Immer abwechselnd zwei Minuten Bewegung, dann zwei Minuten Pause machen. Nach und nach werden die Pausen kürzer, bis sie irgendwann ganz wegfallen. Zu viel und zu intensiv zu trainieren ist zwar theoretisch möglich, allerdings ist das nach Ansicht des Sportmediziners "bei den wenigsten Menschen ein Problem." Chronisch Kranke sollten dennoch vorher mit einem Arzt sprechen, bevor sie sich die Laufschuhe anziehen oder aufs Rennrad steigen.

Welchen Sport man ausübt, ob Laufen, Radfahren oder Schwimmen, spielt übrigens keine entscheidende Rolle. "Als Grundsatz gilt: Machen Sie den Sport, den Sie mögen – sonst machen Sie es nicht", sagt Bloch. Auch Training für den Muskelaufbau sei wichtig für die Gesundheit und werde oft unterschätzt. "Ab dem 30. Lebensjahr verlieren wir rund ein Prozent unserer Muskelmasse pro Jahr", sagt Bloch. Wer nichts dagegen unternimmt, hat mit 70 rund 40 Prozent seiner Muskelmasse verloren – ein Grund, warum viele Menschen im Alter auf Hilfe angewiesen sind und nicht mehr allein leben können.

Zur Person: Dr. Wilhelm Bloch ist Sportmediziner und seit 2004 als Universitätsprofessor für Molekulare und Zelluläre Sportmedizin am Institut für Kreislaufforschung und Sportmedizin der Deutschen Sporthochschule Köln tätig. Zu seinen Forschungsschwerpunkten gehören unter anderem die Anpassung von Geweben und Organen auf körperliche Belastung, die Auswirkung von körperlicher Betätigung auf Tumorpatienten sowie die Epigenetik.

Verwendete Quellen:

  • Telefoninterview mit Sportmediziner Prof. Dr. Wilhelm Bloch
  • Bewegungsstudie der Techniker Krankenkasse "Deutschland bewegt sich zu wenig"
  • njsm.bmj.com: British Journal of Medicine "Non-occupational physical activity and risk of cardiovascular disease, cancer and mortality outcomes: a dose–response meta-analysis of large prospective studies"
  • Deutsche Krebsgesellschaft "Bewegung bei Krebs: So wichtig wie ein Medikament"
  • Robert-Koch-Institut: Übergewicht und Adipositas
  • pumped.ncbi.nlm.nih.gov: Studie "Sitting Time, Physical Activity, and Risk of Mortality in Adults"
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