Fasten bei Bluthochdruck, bestimmte Fette gegen Rheuma oder Superfoods für ein gesundes Immunsystem: Ernährungsformen, die gegen Krankheiten helfen und heilen sollen, sind gerade der neueste Hype. Doch funktioniert das wirklich? Ernährungsmediziner und Facharzt für Innere Medizin Dr. Matthias Riedl, bekannt aus der NDR-Sendung "Die Ernährungs-Docs" verrät, was dahinter steckt.

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Herr Dr. Riedl, dass eine ausgewogene Ernährung gesund hält, ist längst kein Geheimnis mehr. Aber kann man sich durch Nahrungsmittel wirklich heilen?

Dr. Matthias Riedl: In letzter Zeit wurden vielen einzelnen Nahrungsmitteln heilende Superkräfte zugesprochen, die heilen. Die Wahrheit ist jedoch, dass erst eine ausgewogene Mischung verschiedener Nahrungsmittel eine Heilung erzielen kann. Dann kann Ernährung tatsächlich in vielen Fällen auch heilen.

Wie genau funktioniert das?

Indem wir die Voraussetzung für die Selbstheilung des Körpers durch eine artgerechte Ernährung stärken und verbessern. Das gelingt in der Ernährungsmedizin durch drei Punkte.

Zuerst geht es um die Reduzierung des Bauchfetts. Wenn beispielsweise die Beine dick sind, ist das im Prinzip egal. Das Bauchfettgewebe produziert allerdings unheimlich viele Hormone, die krank machen. Allein durch eine Gewichtsabnahme haben wir daher bereits ein stark reduziertes Risiko, an damit assoziierten Leiden wie Gicht, Bluthochdruck oder Diabetes zu erkranken.

Die zweite Säule ist, dass wir Nahrungsmitteln einsetzen, die positive Gesundheitseffekte haben. Einige wirken beispielsweise gezielt gegen Diabetes, Bluthochdruck, Blutfette oder Entzündungen im Körper. Je nach Erkrankung werden gezielte Nahrungsmittel ausgewählt, die täglich auf den Tisch kommen sollten.

Die dritte Säule zielt darauf ab, die Gesundheit des Menschen durch eine intakte Darmflora zu beeinflussen. Mit bestimmten Nahrungsmittel kann die Darmflora verbessert werden, was wiederum Auswirkungen auf eine ganze Menge Erkrankungen wie Rheuma, Krebs, Bluthochdruck, Diabetes, aber auch auf die Psyche hat.

Wie lange dauert es, bis man durch eine Ernährungsumstellung eine Verbesserung oder Linderung bemerkt?

Das kann von zwei Wochen bis sechs Monate oder länger dauern. Zu hohe Blutfette reagieren beispielsweise sehr schnell, am längsten braucht man bei entzündlichen Erkrankungen wie Rheuma. Doch gerade, weil das alles oft so lange dauert, führen die Menschen ihre Krankheiten oft nicht auf ihre Ernährung zurück.

Meinen Sie damit, dass die Krankheiten aufgrund einer bestimmten Ernährung erst entstehen konnten?

Richtig. Es ist erwiesen, dass 80 Prozent aller Krankheiten verhaltensbedingt sind. Dabei spielt die Ernährung wiederum die wichtigste Rolle – noch vor Alkohol oder Tabakkonsum. Man kann davon ausgehen, dass über 50 Prozent der Erkrankungen ernährungsbedingt sind.

Allerdings verwischt das im täglichen Leben schnell. Wenn Sie zum Beispiel jung und gesund sind und sich schlecht ernähren, hält das der Körper möglicherweise eine ganze Zeit lang durch. Doch irgendwann schafft er es nicht mehr. Dann sind Sie Mitte 30 oder Mitte 40 – je nachdem, wie sehr der Körper vernachlässigt wurde und wie Ihre Anlagen waren – und werden krank. Und dann kommt man nicht darauf, dass es die Summe des Falschverhaltens ist.

Man muss schon sehr robust sein, um eine schlechte Ernährung über viele Jahre unbeschadet durchzuhalten. Aber die meisten sind so nicht.

Wie sieht es jedoch mit Erkrankungen aus, die durch direkte äußerliche Einflüsse wie Bakterien oder Viren verursacht werden?

Die Bereitschaft eines Körpers, sich von Mikroben attackieren zu lassen, hängt sehr mit der Lebensweise zusammen. Wir wissen, wenn Sie sich viel an frischer Luft bewegen, sich abwechslungsreich ernähren und Hygiene-Maßnahmen einhalten – dann sind Sie seltener krank. Man kann das also direkt beeinflussen.

Ganz so einfach geht es zwar nicht immer – aber wenn man dann beispielsweise ein Virus hat, kann man etwa die Rekonvaleszenz, also die Krankheitsbewältigung, beeinflussen. Gerade auch bei chronischen Infektionen, wenn der Körper den Kampf nicht richtig schafft, können wir durch die Ernährung die Voraussetzung für Selbstheilung verbessern.

Inwiefern sind weitere Faktoren wie etwa Bewegung und Psyche mitentscheidend?

Natürlich sind sie relevant, allerdings spielt die Ernährung die größte Rolle – insbesondere wenn man einen Blick auf die schlechten Lebensmittel wirft, die wir in Deutschland im Supermarkt haben.

Ein gutes Beispiel, wie wichtig Ernährung in diesem Zusammenhang sein kann, ist Unfruchtbarkeit: Hier ist Ernährung mittlerweile der wichtigste Faktor zur Behandlung geworden – für Männer und für Frauen. Das heißt, man kann sich eine künstliche Befruchtung sparen, wenn man die Ernährung entsprechend optimiert.

Doch um grundsätzlich die Selbstheilungskräfte zu aktivieren und zu stärken, muss auch die Psyche daran glauben. Damit meine ich das Gefühl und das Wissen darum, dass mein Verhalten wirksam ist. Aber auch Bewegung und sozialer Zusammenhalt sind wichtig.

Doch wir müssen das Richtige essen. So stellen wir sozusagen erst die Weichen dafür, dass der Körper sich selbst helfen kann.

Bei manchen Krankheiten werden sehr konkrete Ernährungsumstellungen empfohlen. Wie strikt muss man nach entsprechenden Ernährungsempfehlungen leben, um eine Verbesserung oder eine Heilung einer Krankheit zu erreichen?

Radikale Diäten haben oftmals einen großen Anfangserfolg. Doch je radikaler die Ernährungsumstellung die Lebensgewohnheiten verändert, desto geringer ist die Wahrscheinlichkeit, dass man sie lebenslang durchhalten wird. Deshalb haben sie auch den schlechtesten Dauererfolg.

Ich rate meinen Patienten daher, nur maximal 20 Prozent der bisherigen Ernährungsgewohnheiten zu ändern. Dabei gibt es kein Muss, aber auch keine Verbote. Wenn jemand zum Beispiel gerne Hot Dogs isst, kann er das auch weiterhin machen. Die Frage ist dann nur: Wie häufig muss das sein?

Oft hört und liest man Widersprüchliches zu vermeintlich "gesunden" Lebensmitteln – wie beispielsweise Fisch, der mit Plastik oder Schwermetallen belastet ist. Das kann schnell verunsichern. Woher weiß man denn heutzutage noch, was wirklich gesund ist?

Das ist mittlerweile ein sehr großes Problem. Psychotherapeuten sprechen dabei gezielt von "Consumer Confusion", also der Konsumentenverwirrung.

Was in den Medien zum Teil verbreitet wird, kann man bezüglich der Glaubwürdigkeit nicht immer richtig werten – vor allem als Laie. Wichtig ist dann, sich auf das zu verlassen, was wissenschaftlich bewiesen ist und nicht durch fragwürdige Quellen entstanden ist.

Der Markt für Nahrungsergänzungsmittel boomt. Inwiefern können diese bei einer gesunden Ernährung oder auch bei Erkrankungen wirklich unterstützen? Und: Sind sie genauso gut wie "echtes" Essen?

Vitamine sollten nur eingenommen werden, wenn ein Mangel nachgewiesen ist. Die meisten Menschen haben beispielsweise einen Vitamin-D-Mangel – dann sollte man unbedingt etwas einnehmen. Allerdings ist es immer wichtig, grundsätzlich auf eine richtige Dosierung zu achten.

Was ich auch generell empfehle, sind Fischöl-Kapseln. Sie sind frei von Schadstoffen, kontrolliert – und einfach ideal, wenn man nicht viel Fisch isst und entzündliche Erkrankungen hat.

Gerade bei entzündlichen Erkrankungen, wovon sehr viele Menschen betroffen sind, rate ich auch zu Ingwer oder Kurkuma in Kapselform. Achten Sie allerdings darauf, dass sie eine natürliche Basis haben und nicht nur aus Extrakten bestehen.

Allerdings sollten Nahrungsergänzungsmittel immer nur zweite Wahl sein: Am besten ist es, Sie verwenden frische Nahrungsmittel und frische Kräuter. Denn häufig wissen wir nicht, welche anderen Begleitstoffe in diesen Pillen noch enthalten sind.

Wie sollte man sich im Alltag am besten ernähren, um die Gesundheit zu fördern?

Ein genereller Tipp ist, viel Gemüse zu essen. Im Idealfall sind das 500 Gramm Gemüse am Tag – und das bitte nicht durch Obst ersetzen! Das Problem bei den modernen Obstsorten ist nämlich, dass sie so gezüchtet wurden, dass sie sehr zuckerhaltig sind. Das fördert die Gewichtszunahme und Entzündungen im Körper.

Außerdem empfehle ich das "Zwei bis drei Mahlzeiten"-Prinzip: Es ist die natürlichste Form der Ernährung. Das heißt, man verzichtet gezielt auf die vielen kleinen Snacks zwischendurch. Gerade die spielen nämlich sowohl bei der Heilung als auch bei der Erhaltung der Gesundheit eine große Rolle. Allein schon durch diese Umstellung kann man direkt fünf bis sechs Kilo abnehmen, ohne überhaupt etwas an den Nahrungsmitteln, die man zu sich nimmt, zu ändern.

Doch damit man das durchhält, muss bei den Mahlzeiten genug sattmachendes Eiweiß dabei sein. Ich empfehle 1,2 g Eiweiß pro Kilo Körpergewicht verteilt auf die zwei bis drei Mahlzeiten.

Gemüse und Eiweiß – das entspricht den Prinzipien der artgerechten Ernährung. Und wenn Sie das essen, sind Sie so satt, dass der Rest wie Brot, Kartoffeln oder Nudeln gar keinen Platz mehr haben.

Welchen Ernährungsfehler sollte man möglichst vermeiden, um Krankheiten entgegenzuwirken oder zu heilen?

In Deutschland wird pro Person etwa 100 Gramm Zucker am Tag konsumiert. Empfehlenswert sind dagegen maximal 25 Gramm. Dieser starke Konsum fördert nicht nur Übergewicht, sondern auch die Entzündungsneigung des Körpers. Deshalb sollte man sich immer vor Augen führen: Wo steckt denn überall Zucker drinnen? Und wie viel Zucker ist das? So hat eine Dose Cola zum Beispiel schon 25 Gramm. Und das ist bereits die Grenze von dem, was die Weltgesundheitsorganisation empfiehlt.

Wer daran denkt und sich gut überlegt, wann er was Süßes isst und wie viel, und nicht willkürlich snackt, der hat schon im Alltag sehr viel für seine Gesundheit getan.

Dr. med. Matthias Riedl ist Internist und arbeitet als Diabetologe und Ernährungsmediziner. Er leitet als ärztlicher Direktor das medizinische Versorgungszentrum medicum Hamburg mit der Schwerpunktpraxis Ernährungsmedizin und Deutschlands größter Diabetespraxis. Im Januar erscheint sein neues Buch "Artgerechte Ernährung – Heilung für Beschwerden, die Ärzte ratlos machen" beim GU Verlag.
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