Im Netz wird behauptet, der Gesundheitsamts-Chef von Victoria in Australien habe gesagt, Grippe-Symptome seien mit einer COVID-19-Impfung viel schwerwiegender. So hat er das aber gar nicht gesagt. Fachleute bestätigen zudem, dass kein negativer Einfluss der COVID-19-Impfung auf den Grippeverlauf bekannt ist.

Auf Telegram verbreitet sich ein Video aus einer australischen Fernsehsendung. Der Moderator befragt Brett Sutton, Gesundheitsamts-Chef des australischen Bundesstaates Victoria, zu COVID-19 und der Grippe. Laut dem Telegram-Beitrag sagte Sutton in dem Gespräch, dass die COVID-19-Impfung zu einem "viel schwereren Verlauf" der Grippe führe. Mehr als 100.000 Menschen haben den Beitrag gesehen.

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Allerdings stimmt die Behauptung nicht. Suttons Aussage wurde falsch interpretiert. Aus dem Kontext des gesamten Interviews wird deutlich: Sutton meint, die Corona-Impfung schütze vor COVID-19, aber nicht vor einer Grippe. Wer sich ungeimpft mit der Grippe infiziere, könne deswegen stärkere Symptome haben als eine geimpfte Person, die sich mit COVID-19 infiziere.

Das Gesundheitsamt in Victoria schrieb uns über die Aussage Suttons: "Der Chef des Gesundheitsamts von Victoria sagte nicht, dass eine COVID-19-Impfung die Grippe schlimmer mache. Aussagen aus dem Zusammenhang zu reißen, ist aktive Desinformation."

 Auf Telegram wird die Aussage eines australischen Gesundheitsexperten falsch interpretiert (Quelle: Telegram; Screenshot: CORRECTIV.Faktencheck)

Interview mit Brett Sutton zur COVID-19-Impfung wird in sozialen Netzwerken falsch interpretiert

In dem auf Telegram geteilten Ausschnitt werden etwa 30 Sekunden aus dem Interview gezeigt. Darin fragt der Moderator, ob man sicher zwischen den Symptomen von COVID-19 und jenen der Grippe unterscheiden könne.

Brett Sutton antwortet: "Das ist nicht leicht zu unterscheiden. Wenn Sie ähnliche Symptome haben, machen Sie einen COVID-19-Schnelltest oder einen PCR-Test. Aber die Grippe sieht sehr ähnlich aus. Für Menschen, die gegen COVID-19 geimpft sind, kann es sich tatsächlich um eine viel schwerwiegendere Krankheit mit hohem Fieber, schrecklichen Kopfschmerzen und dem Gefühl, nicht von der Couch aufstehen zu können, handeln. Die Leute fühlen sich wirklich so, als wären sie von einem Lastwagen überfahren worden."

Das vollständige TV-Interview zeigt: Der Gesundheitsamts-Chef wirbt darin für Impfungen gegen COVID-19 und Grippe

Der Telegram-Beitrag nennt neben dem Namen von Sutton auch die Quelle für den Ausschnitt: den australischen Fernsehsender 7News. Eine Google-Suche mit diesen Stichworten führt zu dem Originalvideo, das der Sender am 29. April 2022 auf Twitter veröffentlichte.

Der Beitrag ist rund fünf Minuten lang. Darin geht es um die gestiegene Anzahl an Grippefällen in Victoria. Der Moderator sagt, es habe bereits fast 900 Fälle gegeben, neunmal so viele wie im gesamten Jahr 2021. Brett Sutton wirbt in dem Interview dafür, sich gegen die Grippe zu impfen. "Wir hatten in den vergangenen Jahren praktisch keine Grippe mehr", sagt Sutton (Minute 00:54). "Wir haben nicht die natürliche Immunität, die wir sonst zu Beginn der Wintersaison hätten.” Deswegen brauche man dieses Jahr die Impfung.

Sutton macht im Laufe des Interviews auch deutlich, dass er die Corona-Impfung weiterhin für nötig hält: "Holen Sie sich die COVID-Impfung zum Schutz gegen COVID" (Minute 03:40).

Virologe: Kein negativer Einfluss der COVID-19-Impfung auf den Verlauf einer Grippe-Infektion bekannt

Ein negativer Einfluss der COVID-19-Impfung auf Grippeverläufe ist zudem laut Fachleuten aus den Bereichen der Immunologie und Medizinforschung nicht bekannt.

Friedemann Weber, Direktor am Institut für Virologie der Justus-Liebig-Universität in Gießen, schrieb uns per E-Mail: Dass die COVID-19-Impfung den Verlauf der Grippe schlimmer mache, sei ihm nicht bekannt. "Tatsächlich ist es – wenn überhaupt – eher andersrum, nämlich dass eine Impfung für einen gewissen Zeitraum die Empfänglichkeit für andere Infektionen herabsetzt."

Ashley Mansell vom australischen Hudson-Institut für Medizinforschung, sagte der Faktencheck-Redaktion der AFP: "Meines Wissens gibt es keine Hinweise darauf, dass eine Grippeimpfung die Anfälligkeit für eine der beiden Infektionen erhöht."

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