"Die Pandemie ist vorbei. Nee. Nicht überall und auch nicht für jeden." Das sagt Arzt und TV-Moderator Eckart von Hirschhausen am Montagabend in seiner ARD-Doku "Hirschhausen und Long Covid. Die Pandemie der Unbehandelten". Dort versucht er, die Scheinwerfer auf die Probleme, die sich hinter Long Covid verbergen, zu richten. Sein Fazit: Die Not ist groß, die Studienlage dünn.

Christian Vock
Eine Kritik
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Der Angriffskrieg Russlands gegen die Ukraine dominiert momentan die Schlagzeilen. Andere Krisen, die noch vor kurzem die Gedanken der Menschen beherrschten, scheinen in den Hintergrund gerückt zu sein. Die Klimakrise zum Beispiel. Aber auch die Corona-Pandemie, das Thema der vergangenen drei Jahre, scheint an Präsenz eingebüßt zu haben. Es gibt aber auch Menschen, für die hat Corona nichts von seiner Gefährlichkeit verloren. Sie leiden an Long Covid.

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Doch was genau ist darunter zu verstehen? Wie viele Menschen sind davon betroffen? Wie sehen die Symptome bei Long Covid aus? Welche Behandlungsmöglichkeiten gibt es? Solche und ähnliche Fragen hat sich auch TV-Moderator und Arzt Eckart von Hirschhausen gestellt und ist ihnen in der Dokumentation "Hirschhausen und Long Covid – Die Pandemie der Unbehandelten" nachgegangen und das aus einem bestimmten Grund.

"Nach meiner letzten Doku über Long Covid haben mir unfassbar viele Menschen geschrieben. Menschen, die kaum Gehör finden. Für sie alle mache ich diesen Film", erzählt von Hirschhausen zu Beginn seiner Doku, die bereits im Juni dieses Jahres in der ARD-Mediathek veröffentlicht wurde. Und er erklärt auch gleich, wer diese Menschen sind: Ärzte, die helfen wollen, denen aber die Unterstützung fehlt. Aber auch Ärzte, "die Long Covid immer noch für ein Psycho-Problem halten." Vor allem aber sei sein Film für die "hundertausenden Patientinnen und Patienten in Deutschland, die nach einer Virus-Infektion einfach nicht mehr gesund werden."

Kein Geld, keine Studie, keine Hoffnung

Im vergangenen Winter hätten sich besonders viele Kinder und Jugendliche infiziert. Eine davon ist Olivia. Sie konnte, wie es von Hirschhausen erzählt, monatelang das Bett nicht mehr verlassen, nicht von alleine stehen, nicht aufrecht sitzen und kein Glas Wasser halten. "Ich erwarte jetzt so etwas wie eine Task Force Long Covid, die von der Bundesregierung all das Geld kriegt, was sie brauchen", fordert Olivias Mutter. Genauso wie 30 Millionen Euro für eine Studie, um das Long-Covid-Medikament BC007 zulassen zu können.

"Der Medikamenten-Studie fehlt das Geld, um weitermachen zu können", erklärt von Hirschhausen, langes Warten sei aber für die Betroffenen keine Alternative. Im Körper Olivias tobe das Post-Covid-Syndrom "oder umgangssprachlich Long Covid." Typisch dafür sei eine extreme Erschöpfung schon nach kleinen Anstrengungen und ein gestörtes Nervensystem, was die Bewegungseinschränkungen Olivias erklärt. "Manchmal will ich dann sogar nicht mehr leben und will einfach nur, dass es vorbei ist", sagt die 13-Jährige.

"Wir haben jetzt seit drei Jahren diese Pandemie und es wurde wahnsinnig wertvolle Zeit vergeudet, weil man nicht sofort angefangen hat, systematisch zu untersuchen: Können wir was tun, um in der akuten Infektionssituation, dafür zu sorgen, dass das Immunsystem, dass die Gerinnung nicht derartig aus dem Lot geraten?", erklärt von Hirschhausen die Versäumnisse. Was helfe, sei eine Studie zu den bisherigen Ansätzen, aber "die gibts verrückterweise bis heute nicht", so von Hirschhausen.

Schnelle Behandlung bei Long Covid wichtig

Jemand, der hier nicht länger gewartet hat, ist Beate Jäger. Zu der Ärztin aus Mühlheim kommen Long-Covid-Patienten aus ganz Europa, denn Jäger therapiert mit einer Blutwäsche und finanziert die begleitende Studie selbst. Sie sagt über Long Covid: "Das ist aus meiner Sicht das größte gesundheitspolitische Problem der Zukunft, was wir jetzt vor uns haben." Jäger befürchtet, dass Long-Covid-Patienten "in einen Zustand laufen, der irgendwann irreversibel sein wird."

Asad Khan ist einer von Jägers Patienten. Der Lungenfacharzt aus Manchester ist selbst an Long Covid erkrankt und Autor von Jägers Studie. Er berichtet von Hirschhausen in Mühlheim von den Daten der Studie und sagt: "Wenn Patienten schnell behandelt werden, verbessert sich ihr Zustand und sie können auf Heilung hoffen." Auch Carmen Scheibenbogen, Leiterin der Immundefekt-Ambulanz der Berliner Charité kritisiert die falsche Herangehensweise: "Es ist extrem frustrierend zu sehen, wie viel Geld in andere Dinge fließt." Für mehrere klinische Studien brauche man zehn Millionen Euro. Dies sei kein Vergleich zu dem finanziellen Schaden, der durch die Langzeitschäden entsteht.

Eine einfache Erkenntnis, die Scheibenbogen auch der Politik offen erklärt: "Es muss von Herrn Lauterbach mal gesagt werden: Es ist ein Riesenproblem und wir müssen das jetzt tun und ich glaube, dann wäre auch die Bereitschaft da. Aber solange die Mehrheit der Ärzte denkt, dass das keine ernstzunehmende oder eine psychosomatische Erkrankung ist, wird sich nichts ändern."

Long Covid und das Gefühl, alleine gelassen zu werden

"Warum sind wir derartig hinterher?", fragt sich dementsprechend von Hirschhausen. Bei der Suche nach einer Antwort, stößt von Hirschhausen auf ein anderes Problem: "In sehr, sehr seltenen Fällen kann die Corona-Impfung selbst Long Covid auslösen: das Post-Vaccine-Syndrom." Er trifft einen Patienten dieses Syndroms, der ebenfalls in Mühlheim eine Blutwäsche-Therapie bekommt. Die zahlte aber die Krankenkasse bislang nicht mit Verweis auf fehlende Studien.

Eine Erklärung hat Carmen Scheibenbogen: "Wir müssen ganz klar sehen, dass manche Menschen auf jede Art von Immunaktivierung solche Folgereaktionen haben können. Sei es eine Infektion oder eine Impfung", erklärt Scheibenbogen und ergänzt: "Wer das Risiko in sich trägt, eine Autoimmunreaktion zu entwickeln, dann kann so was in seltenen Fällen auch durch eine Impfung ausgelöst werden. Diese Menschen hätten wahrscheinlich viel häufiger und viel schwerere Probleme, wenn sie eine Infektion gehabt hätten, statt die Impfung, die sie vor dieser Infektion hätte schützen können."

Von Hirschhausen recherchiert weiter. Er trifft die Hausärztin Anna Brock, die selbst an Long Covid erkrankt, ist, alle möglichen Therapien ausprobiert hat und andere Long-Covid-Patienten, berät. Wie zum Beispiel eine Lehrerin, die von der Überforderung ihrer Hausärztin berichtet, die ihr schon eine "Einweisung in die Psychiatrie" gegeben habe. Die Lehrerin versteht nicht, warum man richtigerweise um jedes Leben auf der Intensivstation gekämpft habe, nun aber die im Stich lasse, "die einfach nicht gesund werden." Ähnlich geht es Martin. Der junge Mann erkrankte zwar nicht an Covid, sondern an einem anderen Virus, leidet aber ebenfalls am chronischen Erschöpfungssyndrom ME / CFS. Auch er ist verzweifelt und sagt: "Das ist die leiseste humanitäre Katastrophe der Welt."

Frau, Asien, Corona-Pandemie, Quarantäne, Isolation, 2020

Was zu Long-COVID und Post-COVID bekannt ist: Wenn Corona nicht verschwindet

In der Theorie drohen jeder und jedem Infizierten im Anschluss an eine Infektion mit dem Coronavirus langwierige Folgen. Abhängig von der Zeit, in der bestimmte Symptome nicht abklingen, spricht die Medizin von Long- und von Post-COVID. Der beste Schutz ist die Verhinderung einer Infektion per Impfung.

"Herr Lauterbach, es ist nicht genug, es reicht nicht"

Kurzum: Die Not ist groß, die Studienlage dünn, Menschen fallen durch Diagnose- und damit auch durch Hilferaster, so von Hirschhausens Botschaft. Er plädiert dafür, auch experimentelle Verfahren, die verheißungsvoll klingen, zu testen und sagt: "Dass es da so ein Verantwortungsnirwana gibt, war mir nicht klar." Von Hirschhausen sucht weiter und besucht einen Neurologen, der selbst forscht, aber keine organischen Ursachen bei Long Covid feststellen kann. Er konfrontiert ihn mit Anna Brock, deren Genesungserfolge der Neurologe einem Placebo-Effekt zuschreibt. Brocks Antwort: "Ich widerspreche komplett."

Widerspruch gegen die bisherige Politik kommt von Martin, dem ME / CFS-Patienten, der mehr Geld für die Forschung fordert : "Es gibt eine Chance für uns. Aber die Chance heißt: Wir brauchen Geld. Herr Lauterbach, es ist nicht genug, es reicht nicht." Und so besucht von Hirschhausen den, an den sich der Appell richtet: Karl Lauterbach. Bei dem klopft von Hirschhausen erst einmal die Grundlagen ab: "Herr Gesundheitsminister, haben wir eine Pandemie der Unbehandelten?" Lauterbachs Antwort: "Ja das ist definitiv so."

Auch der Gesundheitsminister stellt fest, dass es hier um eine organische, nicht um eine psychosomatische Angelegenheit geht. Wirklich mehr Informationen bringt der Besuch bei Lauterbach dem Zuschauer aber nicht, erst recht kein Signal, dass nun Forschungsgelder in hohem Stil fließen. Aber immerhin eines erreicht Eckart von Hirschhausen: Aufmerksamkeit für die Long-Covid-Patienten zu schaffen, für ihre Not, ihre Geschichten und für die offenbar mangelnde Studienlage.

Die Informationen, die man in von Hirschhausens Dokumentation erfährt, im Überblick:

  • Jeder zehnte Infizierte leide an Long Covid
  • Long-Covid-Patienten seien mindestens drei Monate lang stärker beeinträchtigt
  • Olivias schwere Symptome seien extrem selten
  • Bis heute sei keine Long-Covid-Therapie zugelassen
  • Weltweit gibt es laut Asad Khan 100 Millionen Long-Covid-Patienten "und es werden immer mehr"
  • "Bei Long Covid machen vermutlich mindestens drei verschiedene Mechanismen krank":
    1. Das Virus infiziert Gefäßwände, dadurch wird die Funktion der Gefäße gestört und es kommt zu einer Entzündungs- und Gerinnungsaktivierung, welche die Durchblutung stört und zu einer Sauerstoffunterversorgung in Gehirn- und Muskeln führt.
    2. "Das Virus triggert Auto-Antikörper, die sich zum Beispiel gegen die eigenen Nervenzellen richten."
    3. Teile des Virus könnten im Körper verbleiben, die dann permanent das Immunsystem überreizen.
  • Folgen wie die von Long Covid sind nicht neu, man kennt sie unter anderem von SARS Cov1: ME / CFS oder auch Chronisches Erschöpfungssyndrom. "Die Hälfte der Betroffenen kann nicht arbeiten", erklärt von Hirschhausen und sagt: "Die schwere Form von Long Covid ist nichts anderes als ME / CFS."
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