• Frauen zeigen bei der Corona-Impfung häufiger Reaktionen, weil ihr Immunsystem anders arbeitet und schneller Antikörper produziert.
  • Aber auch wer keine oder eine schwächere Impfreaktion zeigt, ist vor einem schweren COVID-19-Verlauf weitestgehend geschützt.
  • Die Unterschiede im Organismus von Männern und Frauen wurden bei der Erforschung von COVID-19 nicht ausreichend berücksichtigt.

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Männer und Frauen reagieren auf die Corona-Impfung - und andere Impfungen - oft unterschiedlich. Die Ursache in der je nach Geschlecht unterschiedlichen Häufung von Impfreaktionen liegt im Immunsystem. Die körpereigene Abwehr arbeitet bei Frauen anders als bei Männern. Viren werden im weiblichen Körper schneller erkannt und abgewehrt. Deshalb infizieren Frauen sich zwar nicht seltener als Männer mit SARS-CoV-2, jedoch erkranken sie seltener schwer an COVID-19 und haben auch eine geringere Sterblichkeit.

Das aktivere Immunsystem von Frauen hat aber auch zur Folge, dass es heftiger auf den Impfstoff reagiert. "Es ist bekannt, dass Impfreaktionen wie Schwellungen an der Einstichstelle oder Fieber bei Frauen häufiger auftreten. Das gilt auch für Impfstoffe gegen andere Krankheiten. Das Immunsystem reagiert bei Frauen stärker auf Infektionen, aber auch auf Impfungen. Das heißt, bestimmte Impfreaktionen können bei ihnen häufiger auftreten", weiß Marcus Altfeld, Direktor des Instituts für Immunologie am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf.

Impfung wirkt auch ohne spürbare Impfreaktion

Die Abwehrkräfte werden infolge der Impfung aktiv und beginnen als Antwort auf die durch das Vakzin übermittelten Informationen, Antikörper gegen SARS-CoV-2 zu produzieren. Auch wenn Impfreaktionen unangenehm sind, so deuten sie darauf hin, dass genau das im Körper geschieht. Doch auch wem keine Impfreaktion widerfährt, braucht nicht fürchten, weniger gut geschützt zu sein: "Studien zeigen: Auch bei Menschen, die keine Beschwerden nach der Corona-Schutzimpfung haben, liegt die Wirksamkeit der Impfstoffe bei bis zu 95 Prozent", schreibt das Bundesministerium für Gesundheit. Auch bei Geimpften ohne spürbare Impfreaktion baue sich ein effektiver Schutz vor SARS-CoV-2 auf.

Verantwortlich für das unterschiedlich arbeitende Immunsystem und somit auch die unterschiedlich häufig auftretenden Impfreaktionen von Frauen und Männern sind Gene sowie Sexualhormone. "Die Tatsache, dass Frauen zwei X-Chromosomen haben und Männer nur eins, ist entscheidend", so Altfeld. Viele Informationen zur Erkennung von Viren lägen auf Genen, die sich auf dem X-Chromosom befinden. "Dadurch, dass Frauen ein zweites X-Chromosom haben, können die dort liegenden Gene entsprechend zwei Mal abgelesen werden", erklärt der Immunologe.

In der Folge erhält der Körper schneller mehr Informationen über das eindringende Virus als dies bei Männern, die über je ein X- und ein Y-Chromosom verfügen, der Fall ist. Bei Frauen bildet sich somit schneller eine höhere Konzentration der Messenger-RNA (messenger ribonucleic acid, mRNA) als Botenstoff sowie der Proteine von Molekülen, die dann eine Immunreaktion des Körpers gegen das Virus auslösen.

Östrogen kann Immunzellen stärken

Zudem können die Geschlechtshormone Östrogen und Testosteron eine Rolle dabei spielen, wie der Körper von Männern und Frauen auf SARS-CoV-2 reagiert. "Ein Großteil unserer Immunzellen hat Rezeptoren, die es ihnen ermöglichen, Geschlechtshormone zu erkennen und auf diese zu antworten", sagt Altfeld. "Vereinfacht könnte man sagen, dass das weibliche Geschlechtshormon Östrogen in den meisten Fällen die Funktion von Immunzellen verstärkt, während das männliche Testosteron diese schwächt. Dies scheint dazu beizutragen, dass Männer und Frauen unterschiedlich auf Virusinfektionen reagieren."

Dabei bleibt der Vorteil, den Frauen durch ihre beiden X-Chromosomen bei der Virenerkennung haben, auch im fortgeschrittenen Alter, unabhängig des Östrogen-Spiegels nach der Menopause bestehen. Diese Unterschiede im Immunsystem sind laut Altfeld die hauptsächlichen Ursachen für die bei Frauen häufiger auftretenden Impfreaktionen. "Es gibt natürlich noch Unterschiede in der Wahrnehmung von zum Beispiel Schmerzen", so der Experte. "Aber diese sind sehr variabel und meiner Meinung nach nicht zu verallgemeinern."

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Geschlechter bei Impfstoffentwicklung nicht gesondert betrachtet

Wenn die Immunsysteme so verschieden sind und dies bekannt ist, bleibt die Frage, ob die Impfstoffe im Rahmen der Gendermedizin nicht auch geschlechterspezifisch entwickelt und geprüft werden müssten. Alle Impfstoffe wurden in ihren Studien zur Wirksamkeit zwar sowohl an Männern als auch an Frauen getestet, dabei wurde aber nicht speziell auf die Unterschiede des jeweiligen Organismus eingegangen.

Auch bekommen Frauen wie Männer die gleiche Menge Impfstoff verabreicht. "Meines Wissens nach wurden die geschlechterspezifischen Unterschiede bei der Zulassung der Impfstoffe bisher nicht berücksichtigt", so Altfeld. "Es gab zwischenzeitlich die Diskussion, ob die Einschränkung der Astrazeneca-Zulassungen bei jüngeren Menschen auf Frauen begrenzt werden sollte, da die Nebenwirkung der Thrombose besonders bei jüngeren Frauen auftrat. Aber dies wurde nie umgesetzt."

Auch für andere Impfstoffe gebe es seinen Informationen nach keine geschlechtsspezifische Zulassung aufgrund von Unterschieden in Nebenwirkungen oder Wirksamkeit bei Männern und Frauen. Somit fehlt es an dieser Stelle an Forschung. Durch die seltene, meist bei Frauen auftretende Nebenwirkung von Thrombosen bei den Vektor-Impfstoffen von Astrazeneca und Johnson & Johnson zeigte sich sehr deutlich, dass es schwerwiegende geschlechtsspezifische Impfnebenwirkungen geben kann.

Mangelnde Berücksichtigung vom Geschlecht in klinischen Studien zu COVID-19

Gendermedizinerin Sabine Oertelt-Prigione, Professorin für geschlechtersensible Medizin in Bielefeld und Nijmegen, kritisierte kürzlich als Hauptautorin in einer großangelegten Metaanalyse von fast 4.500 klinischen Studien, dass Geschlecht und Gender in klinischen Studien zu COVID-19 generell nicht ausreichend berücksichtigt würden. Das gilt auch für Impfreaktionen und -nebenwirkungen.

Das Fehlen an Forschung zu geschlechtsspezifischen Impfreaktionen und -stoffen ist nur eines von vielen Problemen. Durch das Arzneimittelmarktneuordnungsgesetz AMNOG müssen zwar Medikamente, die neu zugelassen werden, seit 2011 an Männern und Frauen getestet worden sein. Alle zuvor zugelassenen Arzneien sind jedoch in der Regel nicht an Frauen getestet oder für sie entwickelt worden, werden ihnen aber seit Jahrzehnten verschrieben – obwohl sie im Körper in vielen Fällen anders verarbeitet werden. Die Folge des sogenannten "Gender Data Gap" sind Überdosierungen und Nebenwirkungen, die Frauen oftmals stärker treffen.

Über den Experten: Prof. Dr. Marcus Altfeld leitet die Abteilung für Virus Immunologie am Heinrich-Pette-Institut, Leibniz-Institut für Experimentelle Virologie. Zudem ist er Direktor des Institutes für Immunologie am Universitätsklinikum Hamburg Eppendorf und Koordinator des Forschungsbereiches HIV im Deutschen Zentrum für Infektionsforschung.

Verwendete Quellen:

  • Datenbank zu geschlechtsspezifischen Unterschieden bei COVID-19
  • Bundesministerium für Gesundheit: Welche Nebenwirkungen und Impfreaktionen wurden nach einer COVID-19-Impfung beobachtet?
  • Efficacy and Safety of the mRNA-1273 SARS-CoV-2 Vaccine
  • Pressemitteilung Universität Bielefeld: Studie belegt mangelnde Berücksichtigung von Geschlecht und Gender in klinischen Studien zu Covid-19 (Nr. 50/2021)
  • Nature Communications: Lack of consideration of sex and gender in COVID-19 clinical studies
  • Die Auswirkungen von Sex und Geschlecht in der COVID-19-Pandemie. Fallstudie.
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