TikTok, Instagram, WhatsApp – soziale Netzwerke bestimmen den Alltag vieler Menschen. Bei manchen sogar so sehr, dass sie zum Problem werden. Ein Experte erklärt, welche Folgen intensive Nutzung haben kann.

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In Deutschland und der Schweiz verbringen Menschen 99 Minuten pro Tag in sozialen Netzwerken. In Österreich sind es 92 Minuten – doch das sind nur Durchschnittswerte. Gerade junge Menschen verbringen laut einer DAK-Studie täglich oft drei Stunden und mehr auf Whatsapp, Instagram und Co. Die Nutzungsdauer allein sagt zwar nichts darüber aus, ob hier ein Problem vorliegt – doch fest steht: Soziale Medien können süchtig machen und sich auf unsere mentale Leistungsfähigkeit auswirken.

Likes, Kommentare und Co.: "Das soziale Feedback ist sehr mächtig"

Die sogenannte Soziale-Netzwerke-Nutzungsstörung wurde inzwischen offiziell von der Weltgesundheitsorganisation (WHO) als Erkrankung anerkannt. "Kritisch ist immer, wenn die Nutzung der sozialen Medien andere wesentliche Bereiche des Lebens negativ beeinflusst, ähnlich wie bei anderen Süchten auch", sagt Bastian Willenborg, ärztlicher Direktor und Chefarzt der Oberberg Tagesklinik Bonn, im Gespräch mit unserer Redaktion.

Die Erkrankung sei vergleichbar mit anderen Verhaltenssüchten wie Kauf- oder Spielsucht. Das Muster ist dabei immer dasselbe: Durch das Verhalten wird das Belohnungszentrum in unserem Gehirn aktiviert und der Botenstoff Dopamin ausgeschüttet. Das bewirkt ein Glücksgefühl, ähnlich dem durch Drogen. So auch bei Likes und Kommentaren.

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"Das soziale Feedback ist sehr mächtig", sagt Willenborg. Wie bei Drogen kann der übermäßige Konsum dazu führen, dass wir immer mehr davon brauchen, um uns gut zu fühlen – und dafür bereit sind, andere Dinge zu vernachlässigen. "Das ist, was letztlich den Suchtcharakter ausmacht", sagt Willenborg. Depressionen, Angstzustände, Schlafstörungen und nachlassende Leistung in Schule oder Studium können die Folge sein.

Jugendliche und junge Erwachsene sind davon besonders betroffen, darunter mehr Mädchen und Frauen als Jungen und Männer. Wie lässt sich das erklären? "Es kommt darauf an, woraus man Belohnung zieht", sagt Willenborg. Mädchen und junge Frauen zögen oftmals mehr Bestätigung aus sozialer Interaktion und Likes. Junge Männer seien hingegen bei Computerspielen gefährdeter. "Hier geht es mehr darum, welche Skills ich habe und wie viel ich durch meine Fähigkeiten in einem Spiel erreichen kann. Auch das kann den Selbstwert steigern."

"Popcorn Brain": Unsere Aufmerksamkeitsspanne sinkt

Neben dem Suchtcharakter soll eine übermäßige Nutzung sozialer Medien auch negative Auswirkungen auf die mentale Leistungsfähigkeit haben. Einer Studie aus dem Jahr 2019 zufolge nimmt die allgemeine Aufmerksamkeitsspanne durch den Konsum von Social Media ab. "Popcorn Brain" nennen Expertinnen und Experten dieses Phänomen: Wie aufpoppende Maiskörner springt unsere Aufmerksamkeit von einer Sache zur nächsten – uns langfristig auf eine Sache zu konzentrieren, fällt uns immer schwerer.

"Jugendliche und junge Heranwachsende haben in Schule und Studium tatsächlich zunehmend Schwierigkeiten, längere Aufgaben ohne Ablenkung zu bearbeiten", sagt Willenborg. Der Experte ist allerdings skeptisch, ob die Konzentrationsfähigkeit in der Breite der Bevölkerung tatsächlich langfristig abnimmt.

Man könne das Problem auch umdrehen und sagen: Wir werden durch Social Media alle multitaskingfähiger. "Wir stehen in der Erforschung dieser Phänomene noch ganz am Anfang", sagt Willenborg. "Heute schon ganz klar beurteilen zu können, ob das alles gut oder schlecht ist, ist schwierig."

Sozialen-Netzwerk-Nutzungsstörung nimmt zu

Unabhängig davon stellt die Soziale-Netzwerk-Nutzungsstörung schon heute ein Problem dar. Zwar sei es selten, dass die Sucht so stark ausgeprägt ist, dass sie in einer Klinik behandelt werden müsse. Generell habe die Erkrankung in den vergangenen Jahren aber zugenommen, sagt Willenborg.

"Dabei muss man aber immer unterscheiden: Ist es nur die Schwierigkeit mit den sozialen Netzwerken oder ist es ein Stellvertreterkrieg?", sagt Willenborg. Manchmal stecke auch eine Depression oder schwere Selbstwertstörung hinter dem Verhalten. Je nachdem muss ein anderer Behandlungsansatz gewählt werden. In jedem Fall ist aber eine Psychotherapie das Mittel der Wahl.

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So lässt sich die Soziale-Netzwerk-Nutzungsstörung behandeln

Bewährt hätten sich vor allem die kognitive Verhaltenstherapie zur Behandlung der Sozialen-Netzwerk-Nutzungsstörung. "Es gibt Gruppentherapie-Programme, die gut funktionieren", sagt Willenborg. Ziel der Therapie sei aber nicht, die Nutzung sozialer Medien komplett einzustellen.

"Natürlich kann man ohne soziale Medien leben, aber wenn 95 Prozent meiner Umwelt auf diesen Plattformen aktiv ist, dann kann ich nicht sagen, ich benutze das nicht", sagt Willenborg. Zudem kommen heute viele Menschen auch im Beruf nicht drumherum, soziale Netzwerke zu nutzen. "Das Ziel muss immer sein: Wie kriege ich eine Nutzung hin, die mich nicht gefährdet?" In der Therapie lernen die Patientinnen und Patienten Alternativstrategien, um Abstinenzphasen besser auszuhalten und nicht ständig aufs Handy schauen zu müssen.

Meditation oder Achtsamkeitstraining könnten auch bei "Popcorn Brain" helfen, sich wieder besser auf eine Sache zu konzentrieren zu können – und das ohne den Social-Media-Konsum einzustellen. "Vielleicht schafft man es damit sogar, sich auf bestimmte Dinge besonders gut zu konzentrieren – und gleichzeitig in der Lage zu sein, sehr schnell aus einer Vielzahl von Informationen das Wesentlich für sich herauszufiltern."

Wie Sie ihr Nutzungsverhalten selbst testen können

Wer testen möchte, ob das eigene Nutzungsverhalten sozialer Medien schon kritisch ist oder gar Suchtcharakter hat, kann das ganz einfach testen. "Legen Sie ihr Handy Freitag nach Feierabend zur Seite und machen Sie es erst am Samstagmorgen wieder an. Wie gut halten Sie das aus?", sagt der Experte. "Wenn Sie da schon merken, das geht nicht, dann haben Sie tatsächlich Schwierigkeiten. Vielleicht sollten Sie dann eine Beratungsstelle aufsuchen."

Verwendete Quellen:

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Über den Gesprächspartner

  • Dr. med. Bastian Willenborg ist Facharzt für psychosomatische Medizin, Psychiatrie und Psychotherapie und ärztlicher Direktor und Chefarzt der Oberberg Tagesklinik Bonn.
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