Immer mehr Säugetiere erkranken weltweit an der Vogelgrippe. Auch auf Kühe in den USA ist das Virus bereits übergesprungen - und damit auf Nutztiere. Welche Gefahren für den Menschen bestehen.

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Nerze, Robben, Füchse, Katzen - das Vogelgrippevirus H5N1 ist zuletzt immer wieder auf Säugetiere übergesprungen. Nun gibt es Nachweise des Erregers bei Milchkühen in den USA. Seit Ende März hat das US-Agrarministerium das Virus in mehr als 30 Milchviehbetrieben in rund 10 Bundesstaaten registriert - auch in der Milch selbst.

Die Weltgesundheitsorganisation WHO hält die Gefahr für Menschen derzeit noch für gering, mahnt aber alle Staaten zu erhöhter Aufmerksamkeit für mögliche Infektionen bei Tier und Mensch.

Tropfen auf dem heißen Stein: Es könnte schlicht zu spät sein

Angesichts von Ansteckungen bei zahlreichen Vögeln sowie mehr und mehr Säugetieren rund um den Erdball befürchten Forscher, dass sich das hochpathogene Vogelgrippevirus weiter verändert. Bei den Kühen - und in vielen anderen Fällen - geht es um die sogenannte H5N1-Linie 2.3.4.4b.

Das US-Agrarministerium ordnete unter anderem an, dass ab dem 29. April nur noch Milchkühe mit negativem Vogelgrippe-Test von einem US-Staat zum anderen transportiert werden dürfen. "Das ist ein Tropfen auf den heißen Stein", sagte Mike Worobey von der University of Arizona dem Magazin "Science".

Diese Begrenzung sei vergleichbar mit der des Flugverkehrs zu Zeiten von Covid jeweils "lange, nachdem sich die Viren an einem bestimmten Ort etabliert haben." Es könnte schlicht zu spät sein.

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Experten sind von Vogelgrippeviren in Kühen überrascht

"Mich überrascht es sehr, dass Kühe nun infiziert sind", sagt Martin Beer vom bundesweit zuständigen Friedrich-Loeffler-Institut in Greifswald. Aus einem Infektionsversuch von 2006 habe das Institut damals geschlossen, dass Rinder "wohl kaum gefährdet" seien. Derzeit sei das Virus noch "maximal" an Vögel angepasst und habe ein geringes Potenzial, Menschen zu infizieren.

"Doch jeder neue Säugetier-Wirt kann das Virus dem Menschen ein Stück näherbringen."

Martin Beer vom Friedrich-Loeffler-Institut

Bislang tue der Erreger sich etwa noch schwer damit, die angeborene Immunität des Menschen gegen das Vogelgrippevirus zu überwinden. "Doch jeder neue Säugetier-Wirt kann das Virus dem Menschen ein Stück näherbringen."

Der Virologe Martin Schwemmle vom Universitätsklinikum Freiburg ist nach eigenen Angaben ebenfalls von den Viren in Kühen überrascht. Und davon, das der Erreger anscheinend nur wenige Mutationen brauchte, um sich in Milchvieh zu vermehren.

Eine Ausbreitung des Virus bei Menschen in Form einer Epidemie oder gar Pandemie hält Schwemmle derzeit jedoch auch für "eher unwahrscheinlich". Dazu habe sich das Virus noch nicht genügend an den Menschen angepasst.

Bislang wurde in den USA zwar nur ein Fall einer Übertragung von Kühen auf einen Menschen bekannt, der zudem nur eine Bindehautentzündung bekam. Doch Beer verweist auf viele nicht gemeldete Arbeiter in den USA, "vor allem auf Rinderfarmen".

Übertragung von Mensch zu Mensch derzeit "unwahrscheinlich"

Seit 2021 hat die WHO insgesamt 28 Fälle von Vogelgrippe-Infektionen bei Menschen registriert, bei rund der Hälfte handelte es sich um die sogenannte Klade 2.3.4.4b.

Eine Übertragung der Vogelgrippeviren von Mensch zu Mensch sei seit 2007 nicht mehr bekannt geworden. Auch wurden laut WHO keine Veränderungen der Viren beobachtet, die eine Infektion über die oberen Atemwege des Menschen erleichtern würde.

Eine Übertragung der derzeit zirkulierenden H5N1-Viren von Mensch zu Mensch sei ohne weitere genetische Veränderungen "unwahrscheinlich".

Der Evolutionsbiologe Worobey sieht dennoch künftige Gefahren. "Wir befinden uns hier auf Neuland, da sich ein an Säugetiere angepasstes H5N1-Virus zum ersten Mal in Landsäugetieren ausbreitet, mit denen Hunderttausende von Menschen jeden Tag in Kontakt kommen", sagt er mit Blick auf die Situation in den USA.

Das nächste Pandemievirus werde von einer Situation kommen, die dieser sehr ähnlich sei, vermutet er.

In Milch infizierter Kühe wurden sehr hohe Virusmengen nachgewiesen

Wie das Virus die Kühe genau infiziert hat, ist unbekannt und ebenso, wie die Übertragungen von Kuh zu Kuh geschehen. Experten vermuten etwa über Melkmaschinen oder die Luft. Zu den Symptomen zählen eine geringere Milchproduktion und Appetitlosigkeit.

Die US-Gesundheitsbehörde FDA verwies immerhin darauf, dass das Pasteurisieren der Milch das Virus zerstört. Auch in Milchpulver für Säuglinge sei kein Virus entdeckt worden.

"Ich glaube, dass es sehr schwer ist, solche weit verbreiteten Kontaminationen in den Griff zu bekommen."

Martin Schwemmle vom Universitätsklinikum Freiburg

Ob die Milch eine Rolle bei der Übertragung spielte, werde untersucht, teilte die WHO mit. Sie riet, nur pasteurisierte und keine Rohmilch zu konsumieren.

Problematisch findet Schwemmle, dass in der Milch der infizierten Kühe sehr hohe Virusmengen nachgewiesen wurden. So könne das Virus mit jedem in die Umwelt gelangten infektiösen Tropfen Milch verbreitet werden - und damit auch über die Arbeitsgeräte bei der Milchproduktion.

"Ich glaube, dass es sehr schwer ist, solche weit verbreiteten Kontaminationen in den Griff zu bekommen", sagt Schwemmle.

Das gläserne Rind in Deutschland

In Europa gibt es laut Schwemmle noch keine Hinweise auf eine Infektion von Milchkühen mit dem Virus. Dies könne sich jedoch jederzeit ändern, wenn es von den USA komme oder sich in Europa selbst entwickle.

In Deutschland ist die Aufmerksamkeit laut FLI-Forscher Beer diesbezüglich sehr hoch: "Die Behörden wissen, dass bei etwaigen unerklärlichen Krankheitsbildern in Kuhbeständen, die mit Milchrückgang einhergehen, auch an H5N1 gedacht werden muss und unter Umständen entsprechend getestet wird", sagt er und verweist auf ein insgesamt besseres Kontrollsystem.

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"In Deutschland haben wir eigentlich das gläserne Rind. Jedes Tier ist eindeutig markiert und jede Tierbewegung ist über eine Datenbank nachvollziehbar. Das ist in den USA nicht so."

Australien ist letzter Kontinent ohne Befall

"Unabhängig von der Gefahr für den Menschen ist durch die Vogelgrippe die globale Tierwelt zunehmend betroffen", betonte Beer. So seien etwa Nerze oder Meeressäugetiere wie Seelöwen sehr empfindlich für solche Viren.

"Die Tiere erkranken oft schwer und ein Großteil verendet auch." In der Antarktis sei das Virus mittlerweile auf den Inseln und auf dem Festland.

"Dort wird es bald ja sehr kalt, wodurch es zu Vogelbewegungen mit möglichen Virusverschleppungen kommt. Hier müssen wir dann sehr aufmerksam auf Australien mit seiner einzigartigen Tierwelt schauen." Es sei der letzte Kontinent ohne Befall mit hochpathogenen Vogelgrippeviren. (ff/dpa/Simone Humml)

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