Wer auf Missstände aufmerksam machen möchte, der kann hierzulande dagegen protestieren. Doch wie ist es wirklich um die Demonstrationsbereitschaft der Deutschen bestellt und wofür gehen sie im Jahr 2017 auf die Straße?

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Kundgebungen, Demonstrationen, Mahnwachen - wer die Protestkultur Deutschlands derzeit beobachtet, der kommt zu dem Schluss: sie lebt.

In der Bundesrepublik fanden alleine in der ersten Maiwoche zahlreiche Demonstrationen statt: Proteste, teilweise mit Ausschreitungen, zum Tag der Arbeit, eine Kundgebung gegen Rassismus in Düsseldorf, Proteste vor der türkischen Botschaft in Berlin am Internationalen Tag der Pressefreiheit, eine Demonstration gegen Studiengebühren in Mannheim und geplante pro-europäische Demonstrationen zur Frankreich-Stichwahl am Sonntag in Frankfurt.

Laut Artikel 8 des Grundgesetzes haben alle Deutschen das grundsätzliche Recht, sich "ohne Anmeldung oder Erlaubnis friedlich und ohne Waffen zu versammeln". Für Versammlungen und Demonstrationen unter freiem Himmel gilt nach dem Versammlungsgesetz: Sie müssen bei der Ordnungsbehörde angemeldet und genehmigt werden. Doch machen die Deutschen wirklich von ihrem Recht Gebrauch?

Nur jeder Zehnte demonstriert

Eine aktuelle repräsentative Umfrage des Meinungsforschungsinstituts "Ipsos" kommt zu dem Ergebnis, dass jeder zweite Deutsche Demonstrationen für wichtiger denn je hält, allerdings nimmt nur ein Zehntel der Befragten daran teil.

Laut Dieter Rucht, Professor am Wissenschaftszentrum Berlin für Sozialforschung, ist das Spektrum der Protestierenden in Deutschland im Vergleich zu früher bunter und breiter geworden. Inzwischen demonstrieren Ärzte ebenso wie Polizisten, Politiker und Rentner. Die Proteste der 68er-Bewegung dagegen waren damals hauptsächlich globale Studentenproteste.

Auch die Formen des Protests seien laut Dieter Rucht heute vielfältiger geworden und zielten stärker auf mediale Wirkung ab. Dabei sei die inhaltliche Bandbreite größer geworden. Für bessere Milchpreise werde heute ebenso demonstriert, wie für bessere Arbeitsbedingungen für Hebammen oder für die Stärkung von Väterrechten.

Vor allem Gebildete gehen auf die Straße

Die Ipsos-Studie kommt zu dem Schluss, dass Hochschulabsolventen nach wie vor häufiger demonstrieren, als Menschen mit Hauptschulabschluss oder ohne Schulabschluss. Zudem demonstrierten laut der Studie Anhänger von Grünen, Linke und AfD häufiger, als Anhänger der beiden Regierungsfraktionen SPD und CDU/CSU.

Protestschilder mit Sprüchen, Fotos, Banner, Megafone und gemeinsam skandierte Parolen gibt es auf fast jeder Demonstration. Heutzutage gibt es allerdings noch andere Formen des Protests. Dieter Rucht führt etwa netzbasierte Proteste und symbolische Proteste auf.

Durch netzbasierte Kampagnen werden Themen online rasch verbreitet und gelangen so zu größerer medialer Aufmerksamkeit. Als Beispiel für einen symbolischen Protest nennt Dieter Rucht das Tragen von Guy-Fawkes-Masken in Parlamenten. Die Demonstranten setzen sich auf diese Weise gegen Autoritäten ein, da die Maske ein Symbol des Anarchismus ist.

Aber bringt das Demonstrieren etwas? "Oft nein, manchmal ja, zuweilen auch Teilerfolge oder die Verhinderung von Schlimmerem. Das hängt sehr vom Thema, den Forderungen, der Form, dem Umfang, dem Zeitpunkt, den Bündnispartnern, den Gegenkräften, dem Glauben an den Erfolg des Protests und weiteren Faktoren ab. Es gibt kaum verbindliche Erfahrungswerte für Wirkungen beziehungsweise Erfolge. Zudem gibt es oft auch schwer sichtbare und erst langfristig zur Geltung kommende Wirkungen", so Dieter Rucht.

Sicherlich mag man sich bei manchen Demonstrationen wünschen, sie seien nie genehmigt worden. Besser ist es aber vielleicht, sich aktiv einer Gegendemonstration anzuschließen. Und sich ansonsten gerade mit Blick auf andere Länder darüber zu freuen, dass das Recht auf freie Meinungsäußerung in Deutschland ein hohes Gut ist.

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