Auf alten Holzstühlen über das Leben philosophieren und die Getränke anschreiben lassen - auch viele junge Menschen sind dem Charme alter Eckkneipen erlegen. Ein neuer Trend?
An den holzvertäfelten Wänden hängen Poster des Fußball-Zweitligisten Hertha BSC, dazu alte Mannschaftsfotos und Pokale. Der Geruch von Rauch liegt eigentlich immer leicht in der Luft. Die "Kupferkanne" in Berlin-Schöneberg ist eine Sportkneipe durch und durch.
Junge Menschen würde man hier auf den ersten Blick eher nicht vermuten. Doch das Lokal ist seit einigen Jahren eine Art Hotspot für die jüngere Generation. Der Berliner Rapper
Necip Cakir und seine Frau Rose-Gül Cakir betreiben die "Kupferkanne" in einer eher ruhigen Ecke Berlins seit knapp 40 Jahren. Mittlerweile seien rund 90 Prozent der Gäste Studierende, sagt Cakir, leidenschaftlicher Hertha-Fan. "Die Leute haben es probiert mit Cocktailbars, mit Schickimicki-Restaurants oder Shishabars. Das hat nicht so richtig funktioniert", vermutet der 64-Jährige. "Die uralte Kiezkneipenkultur kommt wahrscheinlich wieder zurück."
Es sei toll, wenn sich Jüngere gemütlich in Kneipen setzen, ein Bierchen trinken und ins Gespräch kommen. Auf ihren Wunsch hin wird sogar seit einiger Zeit wieder Bingo gespielt. Rose Gül-Cakir findet: "Die kommen zur Gemütlichkeit wieder zurück." Rapper Ski Aggu sagte 2023 der dpa am Rande einer Preisverleihung: "Das ist kein Schickimicki, man geht einfach hin. Einfach noch so 'ne ehrliche Kneipe."
Eher ein lokaler Trend
Aus Sicht des Wirtschaftsgeografen Martin Franz handelt es sich aber um keinen flächendeckenden Trend, dass urige Schankwirtschaften generell wieder stärker vom jungen Publikum erobert werden. Franz forscht an der Universität Osnabrück unter anderem zur Zukunft der Kneipen. Es sei vielmehr ein "lokaler Trend, der an bestimmte Städte und bestimmte Szenen gebunden ist." Es könne mehrere Gründe haben, dass ein junges Publikum traditionelle Kneipen auswählt - zum Beispiel, weil Fußball gezeigt wird, die Musik angepasst wird oder wegen der Persönlichkeit eines Wirts, mit dem man ein Schwätzchen halten kann.
"Diese Kneipen haben sich an veränderte Rahmenbedingungen angepasst", sagt Franz. Dazu hätten sie meist eine gute Lage, etwa nahe einer Uni. Ein grundsätzliches Problem in der traditionellen Gastronomie sei, dass sie relativ innovationsfeindlich gewesen sei. "Diejenigen, die eine Kneipe hatten, wollten meist auch nichts anderes als eine Kneipe zu betreiben und haben sich oft über die Jahre hinweg nicht angepasst."
Starker Rückgang an Kneipen in Deutschland
Grundsätzlich habe sich das Konsum- und Freizeitverhalten der Menschen verändert, so der Forscher. In Deutschland sei ein starker Rückgang an Kneipen zu erkennen. Das zeigen auch Zahlen des Deutschen Hotel- und Gaststättenverbands (Dehoga). Wurden 2014 noch 31.650 Schankwirtschaften verzeichnet, waren es 2021 lediglich 19.201.
Cakir und Gül hätten vor mehr als zehn Jahren mit wirtschaftlichen Problemen in der Kneipe gekämpft. Mit einer Gruppe jüngerer Menschen hätten die beiden überlegt, was man verändern könne. So kamen sie unter anderem auf die Idee, den Raum für Geburtstagsfeiern anzubieten, wie Cakir erzählt. Nach und nach habe sich die "Kupferkanne" bei Menschen etwa in ihren Zwanzigern rumgesprochen.
Auch bei Annabel Lehmitz in der Hamburger "Ratsherrn Klause" ist das Hauptpublikum eigenen Angaben nach zwischen Mitte bis Ende 20 Jahre alt. Die 33-Jährige hat die urige Kneipe während der Corona-Pandemie im Jahr 2021 von ihrem Vater übernommen. "Es ist schon so, dass man merkt, dass die Kneipe wiederkommt, auch bei den jungen Leuten", sagt Lehmitz.
Hamburger Kneipe mit beliebter Jukebox
Sie vermute, dass die Bedeutung der Kneipenkultur durch die Pandemie wieder dazugewonnen habe. "Sich treffen zu können, sich unterhalten zu können, das haben die Leute vermisst. Und das kann man viel schöner in der Kneipe als zu Hause." In der "Ratsherrn Klause" könne man etwa auch seine eigene Musik anmachen, ab und an gebe es ein Kneipenquiz. Auch eine Jukebox, bei der man alte Lieder durchblättern und gegen Geld abspielen kann, sei bei den jungen Gästen hoch im Kurs.
In der Eckkneipe "Zum Knobelbecher" im Belgischen Viertel in Köln ist das Publikum einer Mitarbeiterin zufolge sehr gemischt. "Alt und Jung kommen zusammen, das schafft ein Gemeinschaftsgefühl. Man weiß nie, wen man abends kennenlernt", sagt Johanna Keuser. Im Keller könnten Gäste kegeln, oben laufe viel kölsche Musik und Schlager. Dazu zeigt der "Knobelbecher" im Veedel wie die "Kupferkanne" in der Hauptstadt auch Fußball - allerdings nicht Hertha, sondern den 1. FC Köln.
Eine noch größere Rolle als Treffpunkt für junge Leute kommt Kneipen der Dehoga zufolge in den Kleinstädten oder auf dem Land zu. "In der Coronazeit wurden sie schmerzhaft vermisst, umso mehr genießen es die Menschen heute, auszugehen und entspannt zusammenzukommen", hieß es. Kneipen seien weiter die öffentlichen Wohnzimmer der Gesellschaft. (dpa/tar)
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