Ohne Sherpas wäre eine Besteigung des höchsten Bergs der Erde, des Mount Everest, nicht möglich. Sie sichern die Wege für die Expeditionen, bauen Brücken über Gletscherspalten und schleppen die Ausrüstung ins Basis- und die Höhenlager. Sie riskieren ihr Leben, doch nicht für den Kick des Gipfels, sondern um ihre Familien zu ernähren.
Kein Mensch stand öfter auf dem Gipfel des "Dachs der Welt" als Appa Sherpa. Insgesamt 21 Mal seit 1989 war er auf dem höchsten Punkt der Erde. Doch einen Rekord dürfte der inzwischen über 50-Jährige am Anfang seiner Karriere nicht im Sinn gehabt haben: Bereits seit seiner frühen Jugend begann er Ausrüstung zu tragen und Bergsteiger und Trekker zu unterstützen – denn diese Dienste wurden und werden gut bezahlt. Ein weniger bekannter Sherpa erhält etwa 3.000 US-Dollar Gipfelprämie, bekannte Bergführer verdienen pro Aufstieg teils fünfstellige Beträge.
Körperliche Höchstleistung in der Todeszone
Und dieses Geld lockt viele Sherpas. Inzwischen sind ihre Dienste als Routengänger und menschliche Packesel so bekannt, dass das Wort "Sherpa" bei vielen mit "Träger" gleichgesetzt wird. Doch das ist falsch: "Sherpa" bezeichnet eine Volksgruppe des Himalaya, die um das Jahr 1500 aus Tibet kommend in den Zentral- und Süd-Himalaya eingewandert ist. Heute leben etwa 180.000 Menschen in der Region. Und ihr Körper ist perfekt an die Höhe angepasst. Forscher rätseln noch über die genaue Ursache – doch die Auswirkungen sind deutlich sichtbar.
Selbst trainierte Bergsteiger müssen sich in Höhenlagern erst an die dünne Luft gewöhnen und kommen in den Gipfeln des Himalaya-Gebirges dann regelmäßig an ihre Grenzen. Das Gepäck raubt die Kraft, das Atmen fällt schwer, jeder Schritt wird zur Qual. Doch Sherpas schultern selbst in Regionen weit über 5.000 Metern mit scheinbarer Leichtigkeit schwerste Rucksäcke über Bergpässe und Gletscherspalten – ihr Organismus ist an Sauerstoffmangel gewöhnt und hat sich darauf eingestellt. Das macht sie zu perfekten Kletterern.
Packsesel in der Höhe – meist Lämmer am Berg
Körperlich mögen die Sherpas ihren zahlenden Gästen überlegen sein, trotzdem halten sie sich am Berg im Hintergrund, wie Walther Lücker, Autor des Buches "Der höchste Berg – Traum und Albtraum Everest" in der "Bild"-Zeitung erklärt: "Befehle zu geben entspricht nicht der Sherpa-Mentalität. Wenn ein Bergführer am Matterhorn entscheidet, dass die Gruppe umkehren muss, gehorcht man ihm. Nicht so am Mount Everest: Die Sherpas sind Buddhisten und nicht gewohnt, Autorität auszuüben."
Und diese Einstellung hat ernste Folgen: Staus am Hang, schwere Unfälle oder sogar den Tod. Doch selbst im schlimmsten Fall der Fälle lässt der Führer seine Gruppe nicht allein, wie Lücker berichtet: "Wenn ein Bergsteiger zusammenklappt, bleibt der Sherpa-Bergführer bei ihm und begleitet ihn – wenn nötig, bis zum bitteren Ende." Und dieser letzte Dienst kann auch den Führer selbst das Leben kosten. Allerdings können Sherpas auch anders, wenn es um ihre Arbeit geht, wie der Fall um die Alpinisten Ueli Steck, Simone Moro und Jonathan Griffith Ende April 2013 zeigt: Die Nepalesen behaupteten, die Bergsteiger hätten sie bei der Arbeit gestört, als sie Fixseile anlegten, und Moro habe sie bedroht. Sogar von einem Eisschlag und der Verletzung eines Arbeiters war die Rede. Laut den Alpinisten seien sie grundlos angegriffen worden. Inzwischen vertragen sich beide Seiten wieder.
Viel Gefahr, wenig Ruhm
Trotzdem lohnt sich die Gefahr im Job der Sherpas finanziell. In einem Land, in dem das durchschnittliche Pro-Kopf-Einkommen laut Auswärtigem Amt bei nur rund 630 US-Dollar pro Jahr liegt, sind 3.000 Dollar für den erfolgreichen Aufstieg ein kleines Vermögen.
Ruhm für ihre Leistungen können allerdings nur die wenigsten erwarten. Doch es gibt Ausnahmen wie der bereits erwähnte Appa Sherpa oder Erstbesteiger Tenzing Norgay. Sie konnten durch ihre Einkünfte ins Ausland ziehen, um ihren Kindern eine bessere Zukunft zu bieten und wurden, im Fall von Norgay, sogar von der englischen Königin geehrt.
Der Großteil der am Mount Everest tätigen Sherpas verrichtet weiter im Stillen seine Arbeit, schleppt Rucksäcke und setzt das eigene Leben aufs Spiel – für den Traum der Ausländer auf dem Dach der Welt zu stehen.
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