Das Spiel auf Zeit der Athener Regierung um eine erneute Finanzspritze neigt sich dem Ende zu. Nur wenige Tage verbleiben, um zu einer Lösung zu kommen. Das Szenario des griechischen Ausstiegs aus der Eurozone rückt unerbittlich näher - und wird immer realistischer
Kommt es zum Grexit oder nicht? Die Regierungen in Europas Hauptstädten bereiten sich jedenfalls auf den Fall der Fälle vor. Die Lage ist ernst, das Zeitfenster für eine Einigung mit den internationalen Geldgebern beginnt sich zu schließen. Doch Griechenlands Regierung will sich weder auf die Bedingungen der Institutionen aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) einlassen, noch eine nachgebesserte Reformliste vorlegen. Bundesbankchef Jens Weidmann sieht die Chancen auf eine Rettung schwinden: "Das Bankrott-Risiko steigt jeden Tag", warnte er unlängst. Und der Ausstieg Griechenlands wird immer wahrscheinlicher.
Keine Zeit mehr für Spielchen
Schon am Donnerstag kommen die Finanzminister der Eurogruppe in Brüssel zusammen. Bis dahin muss eine Einigung vorliegen, damit die letzte Tranche des zweiten Hilfspakets für Griechenland über 7,2 Milliarden Euro freigegeben werden kann. Alle Warnungen von EU-Ratspräsident Donald Tusk verpuffen. Man brauche "Entscheidungen, keine Verhandlungen" und habe keine "Zeit mehr für Spielchen." Der hellenische Finanzminister Gianis Varoufakis weigert sich jedoch weiterhin, eine nachgebesserte Reformliste vorzulegen.
Auch nicht am Donnerstag: "Die Eurogruppe ist nicht das Forum, Positionen und Vorschläge zu präsentieren, die zuvor nicht auf unterer Verhandlungsebene diskutiert und verhandelt worden sind", stellte er Medien gegenüber klar. Gleichzeitig aber signalisierte er Verhandlungsbereitschaft: Man sei jederzeit bereit, "eine umfassende Lösung mit den Partnern zu finden." Die Schuld, dass beide Seiten bislang keinen Kompromiss treffen konnten, gab der Wirtschaftsprofessor – wieder einmal – den Institutionen. Diese hätten kein "Mandat zu tiefgreifenden Verhandlungen" mitgebracht, nur deshalb seien die Gespräche am Wochenende erneut gescheitert.
An eine Einigung glauben in Brüssel indes immer weniger. Denn nur, wenn Griechenland die an das zweite Hilfspaket geknüpften Bedingungen erfüllt, kann die letzte Tranche ausgezahlt werden. Dafür aber läuft die Zeit ab: Am 30. Juni endet die ohnehin bereits verlängerte Frist für das Programm. "Wir kommen jetzt in eine Periode, die turbulent sein kann, wenn keine Einigung gefunden wird", warnte der französische Präsident François Hollande am Montag. Denn selbst, wenn sich die drei Institutionen, EU-Kommission, IWF und EZB, mit Athen auf einen Kompromiss einigen, braucht es noch die Zustimmung der nationalen Parlamente der Euroländer. Dafür sind nach Einschätzung von EU-Diplomaten mindestens ein bis zwei Wochen Zeit nötig. Der für Digitales zuständige EU-Kommissar Günther Oettinger fürchtet deshalb, Griechenland könnte am 1. Juli zu einem "Notstandsgebiet" werden: "Energie, Gehälter für Polizeibeamte, Arzneimittel" – all das könnte die Regierung mit einem Mal nicht mehr bezahlen.
Das aber versucht Kommissionspräsident Jean-Claude Juncker noch immer zu verhindern. Aus Brüsseler Kreisen heißt es, man erwäge, einen Sondergipfel der Staats- und Regierungschefs einzuberufen, sollte bis Donnerstag keine Einigung stattfinden. Dieser müsste aber noch in dieser Woche tagen. Und eine endgültige Lösung finden, damit das zweite Hilfspaket zu einem erfolgreichen Abschluss kommen kann – und die Athener Regierung die dringend benötigten Milliarden ausgezahlt bekommt.
Ohne Einigung wird Griechenland als zahlungsunfähig erklärt
Sollte auch das nicht gelingen, dürfte es für Athen nach Einschätzung von Finanzexperten aber schwierig bis unmöglich sein, die Ende Juni fällige Forderung über 1,6 Milliarden Euro an den IWF zu überweisen. Erfolgt die Zahlung aber nicht pünktlich, müsste der Washingtoner Fonds das Land als zahlungsunfähig erklären.
Spätestens dann wäre auch die EZB gezwungen, ihre Notkredite über den sogenannten ELA-Mechanismus einzustellen, mit denen sie die hellenischen Banken bislang flüssig hält. Denn dem Frankfurter Geldinstitut ist es durch sein Mandat verboten, einem insolventen Staat mit Finanzspritzen zu helfen. Schon an diesem Mittwoch entscheidet das Präsidium der Eurobank darüber, ob die Notkredite weiterhin gewährt werden.
Es ist nicht ausgeschlossen, dass sich die EZB dagegen entscheidet. Denn damit wären die griechischen Banken gezwungen, ihren Zahlungsverkehr einzuschränken – die griechische Regierung geriete unter Druck und könnte so womöglich dazu gebracht werden, die Bedingungen des Rettungsprogramms doch noch zu erfüllen. Einlenken müsste Athen dann aber schnell. Andernfalls ist die Abwärtsspirale hin zu einem Ausstieg Griechenlands aus der Eurozone kaum mehr abwendbar. Dass die Euroländer für diesen Fall schon einen konkreten Plan in der Schublade liegen haben, der die Kontrolle des griechisch-europäischen Zahlungsverkehrs vorsieht, dementiert man sowohl in Berlin als auch in Athen. Eine Einigung in letzter Minute – darauf hoffen alle Seiten noch immer. Doch die Uhr tickt.
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