Für tiefgründige Analysen blieb den Geldgebern Griechenlands nach der späten Einreichung der Athener Reformliste kaum Zeit. Noch weniger bleibt den nationalen Parlamenten, um über das Papier abzustimmen. Hat die griechische Regierung etwa aus Kalkül gehandelt? Und können die Abgeordneten bei einem so straffen Zeitplan die Reformvorschläge Griechenlands überhaupt seriös bewerten?

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Gerade noch rechtzeitig hat die Liste der griechischen Reformliste Brüssel erreicht. Knapp eine halbe Stunde vor Mitternacht traf das siebenseitige Papier ein, über das sich an diesem Vormittag Experten der Institutionen, ehemals Troika, aus EU-Kommission, Europäischer Zentralbank (EZB) und Internationalem Währungsfonds (IWF) beugten. Schon an diesem Nachmittag berieten sich die Finanzminister der Eurogruppe und stimmten den Reformvorschlägen zu.

Nun müssen bis Ende des Monats, wenn das alte Hilfsprogramm ausläuft, noch einige Parlamente einer Verlängerung des Programms zustimmen. Zwar ist das nur in wenigen Mitgliedsstaaten wie Deutschland, Finnland und Estland notwendig, in den Niederlanden ist die Abstimmung darüber zumindest eine "ständige Praxis", wie es ein Diplomat formulierte. Doch für eine "intensive und kritische Prüfung der Maßnahmen", wie sie sich etwa die CSU-Landesvorsitzende Gerda Hasselfeldt wünscht, reichen die verbleibenden Tage kaum. Schon am Freitag soll der Bundestag abstimmen - bis dahin können die Abgeordneten 548 Dokumente einsehen.

Wolfgang Bosbach kritisiert spätes Einreichen der Reformliste

Für den CDU-Abgeordneten Wolfgang Bosbach ein wiederkehrendes Symptom: "Es ist so, wie es in Vergangenheit auch schon immer war. Wenige Stunden vor der Entscheidung bekommen wir die Unterlagen", sagt der als Kritiker des Griechenlandprogramms bekannte Politiker unserem Portal. Die entsprechenden Dokumente seien immer "sehr umfangreich", eine tiefgehende Analyse sei kaum möglich. "So war es immer und so wird es immer sein", konstatiert Bosbach.

Von einem Demokratiedefizit will der Abgeordnete dennoch nicht sprechen: Zwar sei das Vorgelegte "immer alternativlos" - "wir können nur mit Ja oder Nein stimmen" - und als Parlamentarier, der seine Arbeit ernst nehme, fühle man sich dabei "immer unwohl". Doch das Problem liege in der Natur der Sache: "Es wird immer bis zur letzten Minute verhandelt werden", sagt Bosbach. Trotzdem habe der Bundestag ein Mitspracherecht, das er auch wahrnehme, betonte er.

Josef Janning vom Europäischen Rat für Auswärtige Beziehungen (European Council on Foreign Relations) sieht das ähnlich: Ein Demokratiedefizit könne er nicht erkennen, sagt er, schließlich treffe man Entscheidungen in den vereinbarten "Parametern und Verfahren". Zudem gehe es bei den Verhandlungen mit Griechenland um Folgeentscheidungen. Den gesamten Prozess neu aufzurollen, würde die bereits "demokratisch gesicherten Grundsatzentscheidungen entwerten", fürchtet der Politikwissenschaftler.

Dennoch sieht er im Verhalten der griechischen Regierung eine gewisse Strategie: "Es ist nicht auszuschließen, dass die griechische Regierung den knappen Zeitplan nutzt, um eigene Vorstellungen leichter durchzusetzen", meint Janning. Immerhin habe diese "mehrfach erkennen lassen, dass den anderen Eurozonen-Staaten die Beruhigung der Eurozone und ihrer Märkte etwas wert sein sollte", so der Experte.

Doch der Druck, den Finanzminister Gianis Varoufakis damit aufbauen will, sei keinesfalls einseitig: So profitierten auch seine Gegenspieler in der Eurogruppe von einem knappen Zeitplan. Denn ließen sie frühzeitig ihre Kompromissbereitschaft erkennen, machten sie sich "berechenbar", erklärt Janning. Durch die Fristsetzung erhöhte sich auch ihr Druck auf Athen, einzulenken. Beides führe zu einer "Zuspitzung der Entscheidung auf die letzten Tage und Stunden", folgert er.

Griechische Regierung ist "unerfahren und chaotisch"

Dass Griechenland die Reformvorschläge erst so spät eingereicht hat, sei im Übrigen nicht zuletzt der komplexen Materie geschuldet, meint Pawel Tokarski, wissenschaftlicher Mitarbeiter bei der Stiftung für Wissenschaft und Politik. So habe die griechische Regierung in den ersten Wochen im Amt bereits mehrfach gezeigt, wie "unerfahren und chaotisch" sie arbeite. "Da wurden Notizen veröffentlicht, die nicht an die Öffentlichkeit hätten gelangen sollen, verschiedene Regierungssprecher haben sich widersprochen", führt er an: "wie ein Elefant im Porzellanladen." Das hänge auch mit der komplexen Struktur der Links-Rechts-Koalition zusammen. "Das Einzige, was sie verbindet, ist ihre Antipathie gegen den Sparkurs", erklärt er. Das führe zu Streitigkeiten innerhalb der Regierung.

Dass von den laufenden Verhandlungen dennoch kaum etwas an die Öffentlichkeit gedrungen ist, hält Tokarski für eine logische Vorsichtsmaßnahme: "Die fehlende Transparenz" habe einerseits mit einem möglichen Effekt auf die Finanzmärkte zu tun. "Solche Nachrichten könnten von Investoren überbewertet werden", erklärt er. Zum anderen gehe es dabei aber auch um eine "effiziente Entscheidungsfindung". "Wenn wir die Entscheidung über eine Verlängerung den Parlamenten überlassen", und die Konditionen Punkt für Punkt durchgehen wollten, würde das viel zu lange dauern. Zeit, die Griechenland nicht hat.

Dass antieuropäische Parteien aus dem straffen Abstimmungsverfahren in einigen Parlamenten Kapital schlagen könnten, glaubt indes keiner der Experten. Schließlich würden "formal alle Regeln eingehalten", sagt selbst CDU-Abgeordneter Bosbach. Politikwissenschaftler Tokarski ergänzt: Egal, wie man mit Griechenland weiter verfahre, rechtspopulistische Parteichefs wie Marine Le Pen des französischen Front National oder Nigel Farage der britischen UKIP "finden immer Argumente gegen die EU". Dort stehen im Mai Wahlen an.

Dass mit Griechenland überhaupt so hart verhandelt wurde und die Eurogruppe am Ende kaum zurückgewichen ist, hängt auch mit der Lage in anderen Krisenländern zusammen. In Spanien bekommt die linke Partei "Podemos" regen Zulauf, ebenso ihr Pendant in Portugal: "Das Risiko ist groß, dass diese Parteien die kommenden Wahlen gewinnen könnten", so Tokarski. Wenn es Griechenland erlaubt worden wäre, die bereits umgesetzten Reformen zurückzunehmen, könnten das auch die anderen Linksbündnisse bei einem Wahlerfolg fordern. So könnten die aktuellen Verhandlungen beispielhaft für die Zukunft der Eurozone sein.

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