Im monatelangen Ringen um eine Einigung mit Griechenland wird der hellenische Finanzminister Gianis Varoufakis gerne zum Sündenbock gemacht. Doch damit wird seine Rolle in der Krise deutlich überschätzt. Denn die Verantwortung tragen andere.

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Die Liste der Provokationen aus dem Munde von Gianis Varoufakis ist lang. Der griechische Finanzminister hat sich in dem inzwischen fünf Monate währenden Verhandlungsmarathon um eine Lösung der Krise nicht gerade als großer Diplomat erwiesen. Selbst Ministerpräsident Alexis Tsipras hat sich im April eingestehen müssen, dass sein Minister eher für ein "negatives Klima" gesorgt hat. Und ihm deshalb zwei neue Unterhändler zur Seite gestellt. Doch auch sie haben seither keinen Durchbruch erreicht. Denn so gerne viele mit dem Finger auf Varoufakis weisen, wenn es um die Vertracktheit der Situation geht. Ihn zum Sündenbock zu machen, wäre aber ebenso einfach wie falsch.

Sicher, der Wirtschaftsökonom und Anhänger der Spieltheorie hat eher mit zahlreichen Interviews für internationale Medien zu glänzen versucht, anstatt die Position Griechenlands seinen Verhandlungspartnern zu verkaufen. Mit aggressiver Polemik verglich er den Umgang Europas mit Griechenland mit "finanziellem Waterboarding nach dem Vorbild der Foltermethoden der CIA", das Video, in dem er Deutschland mit erhobenem Mittelfinger verhöhnt, hat ihr Übriges zu seinem Stand in Europa beigetragen. Als bekannt wurde, dass er offenbar Aufzeichnungen von den Sitzungen in Brüssel macht, hat er das Vertrauen seiner Geldgeber wohl endgültig verspielt.

Varoufakis' Celebrity-Status ärgert viele

Mit einer Homestory im französischen Klatschblatt Paris Match, in der sich Varoufakis beim Lesen seiner eigenen Bücher fotografieren ließ, hat sich der Mann, der im Athener Luxusviertel unterhalb der Akropolis lebt, aber auch in den eigenen Reihen nicht besonders beliebt gemacht. "Sein Celebrity-Status ärgerte viele" innerhalb der Partei, erklärt Dimitris Papadimitriou, Professor für Politik an der Universität von Manchester gegenüber unserem Portal. Ohnehin gehörte der Akademiker vor dem Wahlkampf nie dem Linksbündnis Syriza an. Man hat ihn ins Kabinett geholt, weil ihm zugetraut wurde, als "jemand mit einer gewissen akademischen Glaubwürdigkeit" die Standpunkte Griechenlands vermitteln zu können, so Papadimitriou. Doch innerhalb der Partei galt er immer als Außenseiter: "Es hieß immer wieder, er gehört nicht zu uns", sagt der Griechenlandexperte. Zudem warf man ihm immer wieder vor, er sei ein schwacher Koordinator und ein schlechter Verwalter. Auch, weil er zu den Hauptakteuren zählt, die im Februar mehr Zeit für den Einigungsprozess ausgehandelt haben, in dem das zweite Hilfsprogramm um drei weitere Monate bis Juni verlängert wurde.

Offen proklamierte er ein "langes Spiel" mit den Europäern, im Glauben, bei einer solchen Geduldsprobe könnte die Athener Regierung nur besser davon kommen. Doch damit lag er falsch: "Er glaubte, Griechenland damit Zeit zu kaufen. Aber in dieser Zeit hat das Land nicht wirklich etwas gewonnen: Die Wirtschaft ist in freiem Fall und mehr Maßnahmen sind nötig, um die Finanzziele noch zu erreichen", erläutert Papadimitriou. Damit habe er es seinem Land nur noch schwieriger gemacht: "Es war von vorneherein hart, diese Ziele zu erreichen – aber jetzt ist es völlig unmöglich geworden." Inzwischen sind die Erwartungen, was den sogenannten Primärüberschuss, also was Griechenland als Haushaltsplus vor Abzug der Schuldentilgung erwirtschaften muss, nach unten korrigiert worden. Zwar fordert der IWF heute nicht mehr 2,5 Prozent, sondern nur noch ein Prozent. Doch die Wirtschaft stagniert, die Griechen geben kaum mehr Geld aus, Elektrizitäts- und Wasserrechnungen können viele längst nicht mehr bezahlen.

Varoufakis ist "nicht der Schlüssel des Problems"

Trotzdem kann Varoufakis nicht alleine für diese Misere verantwortlich gemacht werden. "Varoufakis steht einer Einigung nicht im Weg", betont Papadimitriou: "Er ist nicht der Schlüssel des Problems", meint er – auch wenn die jetzige Krise das Resultat der Verhandlungen zum Jahresbeginn seien. "Er war der Manager, eine Art Waffe", mit der die Athener Regierung ihre Position verteidigen wollte. "Heute ist seine Rolle aber zweitrangig", so der Experte. "Es geht schon lange nicht mehr darum, wer den PR-Krieg gewinnt."

Die eigentliche Frage ist eine ganz andere: "Das Problem liegt in der Substanz: in dem, was Griechenland bereit ist, umzusetzen", bringt es Papadimitriou auf den Punkt. Mit anderen Worten: Ob Tsipras bereit ist, die Verantwortung zu tragen. Bis heute habe die Regierung immer noch einen Wahlkampf ausgefochten – und dabei "unterschätzt, wie groß die Opposition in Europa ist". Dabei habe es die Athener Regierung verpasst, sich "vernünftig auf die Verhandlungen vorzubereiten".

Die Forderungen der Kreditoren sind klar und deutlich: Etwa Kürzungen bei den Renten – die nicht zulasten der Ärmsten durchgesetzt werden müssten, sondern vor allem im öffentlichen Dienst angebracht wären. Dennoch fürchtet Tsipras um die Reaktion seiner Wählerschaft: "Das wird er ihnen zu schwer verkaufen können", meint Papadimitriou.

Auch deshalb versucht Tsipras seit kurzem, mit ungewohnt harter Rhetorik gegen die internationalen Geldgeber das Blatt für Griechenland doch noch zu wenden. Etwa, indem er den IWF in "strafrechtlicher Verantwortung" für die Lage seines Landes sieht. "Er weiß, dass es dem Ende zugeht und steht unter gewaltigem Druck", beschreibt Papadimitriou die Situation. Tsipras scheine zu glauben, dass der Washingtoner Fonds das eigentliche Hindernis einer Einigung sei. "Er hofft immer noch, bei Verhandlungen auf höchstem Niveau (also mit den Staats- und Regierungschefs anstelle der Eurogruppe, in der die Finanzminister zusammenkommen) einen besseren Deal herausschlagen zu können." Doch auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, mit der Tsipras in den vergangenen Wochen immer öfter Kontakt suchte, wird ihn nicht retten können: "Sie kann dem IWF nicht diktieren, was er zu machen hat." Tsipras überschätze die Rolle der Kanzlerin. "Es gibt ein Limit für das, was sie bereit ist, für ihn zu tun."

Eine Einigung muss an diesem Donnerstag auf dem Tisch liegen, andernfalls fassen die Staats- und Regierungschefs einen Sondergipfel für Freitag ins Auge. Tsipras hat am Dienstag angeblich mitgeteilt, er habe keine Zeit. Er treffe sich an diesem Tag mit Russlands Präsidenten Wladimir Putin. Papadimitriou kann das kaum glauben: "Wenn er das macht, wäre das sträflich unverantwortlich."

Für Varoufakis dürfte die Karriere im Athener Kabinett im Falle einer Einigung bald zu Ende sein, fürchtet Papadimitriou. "Spätestens im August wird er ihn loswerden wollen. Denn die Einigung wird nicht gerade populär bei der griechischen Bevölkerung werden." Tsipras wird dann auf einen Neustart setzen, um das Vertrauen der Hellenen zurückzugewinnen – ohne Varoufakis. Denn auch wenn er nicht alleine für die Misere zur Verantwortung gezogen werden kann – unbeliebt hat er sich allemal gemacht.

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