Krise, welche Krise? Der deutsche Aktienmarkt befindet sich im Aufwind. Sorgen um die heimische Konjunktur spielen an der Börse scheinbar keine Rolle. Was es mit der Kurs-Rallye auf sich hat.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Fabian Hartmann sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Der 13. März war ein guter, nein, ein sehr guter Tag an der Frankfurter Börse. Zum ersten Mal hat der Dax da die Marke von 18.000 Punkten geknackt. Bereits 26 Mal hat der Leitindex in diesem Jahr Rekordhochs erklommen. Keine Frage: Auf dem Börsen-Parkett herrscht Partystimmung.

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Nur 0,1 Prozent Wachstum: Der Börse ist es egal

Berlin, Ende März. In der Bundespressekonferenz stellen die führenden Wirtschaftsforschungsinstitute ihre Wachstumsprognose vor. Die Realität, die sie beschreiben, ist trist. Das Wachstum, so schätzen es die Institute, dürfte in diesem Jahr bei lediglich 0,1 Prozent liegen. FDP-Finanzminister Christian Lindner findet das peinlich.

Ganz anders die Lage an der Frankfurter Börse. Der Dax ist seit Jahresbeginn um mehr als zehn Prozent gestiegen. Fast scheint es, als hätte sich der Dax von der Konjunktur abgekoppelt. Was natürlich so nicht stimmt.

"Rund 80 Prozent der Umsätze der Dax-Unternehmen werden im Ausland gemacht", sagt Norbert Kuhn. Der Diplom-Volkswirt beschäftigt sich am Deutschen Aktieninstitut (DAI), einer Interessenvertretung börsennotierter Unternehmen, mit Themen rund um den Kapitalmarkt. Im Dax, der ersten Börsenliga, sind 40 Schwergewichte gelistet. Die großen Konzerne – von Volkswagen über SAP bis hin zu BASF – haben ihren Sitz zwar in Deutschland. Ihre Geschäfte aber machen sie weltweit. "Und deswegen haben sie sich auch vom deutschen Markt weitgehend abgekoppelt", sagt Kuhn.

Chart: Entwicklung des DAX 2020 bis 2024
Monatliche Entwicklung des DAX von März 2020 bis März 2024 © Statista 2024/Quelle: Ariva.de

Die Konjunktur ist also nach wie vor wichtig. Nur eben global, weniger im Inland. Das erklärt, warum die Kurse auch in der Krise steigen. Weltweit dürfte das Wachstum in diesem Jahr bei etwa 3 Prozent liegen. Aus Sicht der Börse ist aber etwas anderes entscheidend: nämlich die Zinspolitik der großen Zentralbanken.

Warum die Hoffnung auf niedrige Zinsen die Märkte beflügelt

An den Märkten wird auf Zinssenkungen gewettet. Das beflügelt wiederum Aktienkurse. Der ökonomische Mechanismus dahinter ist schnell erklärt: Wenn die Zinsen niedrig sind, werden Wertpapiere als Anlageklasse attraktiver. Das Kapital folgt der Rendite. Für die Annahme sinkender Zinsen gibt es gute Gründe: Die Inflation ist rückläufig, die Zentralbanken können die Geldpolitik dadurch wieder lockern.

Die Kursentwicklung drückt also die Erwartung aus, dass die Zinsen sinken, die Konjunktur sich aufhellt – und die Kurs-Rallye weitergeht. "An der Börse wird die Zukunft gehandelt, nicht die Gegenwart", sagt Aktienexperte Kuhn. Dies erklärt auch, warum wirtschaftliche Fundamentaldaten nicht immer mit Aktienkursen deckungsgleich sind. Beispiel Dax: Die Unternehmensgewinne sind zwar relativ stabil, Rekordumsätze vermelden die Konzerne aber nicht. Es ist eben immer auch das Prinzip Hoffnung, das die Börsen beflügelt.

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Die Märkte bewegen sich im Dreieck Inflation, Konjunktur und Zinsen. Ein Boost für die Börse wäre folgendes Szenario: Die Inflation sinkt weiter, die Konjunktur hellt sich auf und die Zentralbanken leiten die Zinswende ein. "Das heißt im Umkehrschluss aber auch, dass es einen Dämpfer an den Börsen geben kann, wenn die Notenbanken nicht das tun, was die Märkte erwarten", erklärt Beobachter Kuhn.

Die Gefahr der Inflation ist weiter real

Es gibt Stimmen im Ökonomenlager, die die Inflation noch nicht abhaken wollen. Dazu tragen auch die hohen Tarifabschlüsse der Gewerkschaften bei. Die Arbeitnehmervertreter verhandeln, auch vor dem Hintergrund des Fachkräftemangels, mit breiter Brust, was den Beschäftigten zugutekommt. Andererseits birgt es aber auch die Gefahr, dass die Unternehmen die hohen Lohnabschlüsse auf die Preise umlegen – was wiederum neue, höhere Tarifforderungen nach sich zieht. Volkswirte sprechen von der Lohn-Preis-Spirale.

Natürlich ist nicht ausgemacht, dass es so kommt. Das Beispiel illustriert aber, warum Zentralbanken gut beraten sind, nicht zu früh die Zinswende einzuleiten. Was ökonomisch vernünftig ist, könnte die Märkte gleichwohl enttäuschen – und Kursrutsche auslösen.

Wohin der Dax sich also in diesem Jahr noch entwickeln wird, ist keinesfalls ausgemacht. Es gibt Marktbeobachter, die den Leitindex bereits bei 19.000 oder 20.000 Punkten sehen. Auf derlei Spekulationen will sich Norbert Kuhn vom Deutschen Aktieninstitut nicht einlassen. "Die Kristallkugel habe ich nicht", sagt er. Nur eines sei sicher: Auch wenn die Börse volatil ist – auf lange Sicht steigen die Kurse immer.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. Norbert Kuhn ist stellvertretender Leiter des Fachbereichs Kapitalmärkte im Deutschen Aktieninstitut. Er beschäftigt sich unter anderem mit Aktien als Instrument zur Altersvorsorge und steuerlichen Rahmenbedingungen, die den Aktienbesitz fördern. Kuhn hat Volkswirtschaftslehre und Politikwissenschaft in Marburg studiert und dort auch promoviert. Seit 2006 arbeitet er im Deutschen Aktieninstitut.
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