Experimente beim "Tatort", wohin man blickt: Ulrich Tukur macht als LKA-Mann Murot abstrakte Kunst in Wiesbaden. Christian Ulmen und Nora Tschirner machen in Kürze (zweiter Weihnachtsfeiertag!) Comedy in Weimar. Auch sonst werden dieser Tage mit Verve alte Erzählstrukturen aufgebrochen und Sehgewohnheiten herausgefordert. Da hat es fast schon Seltenheitswert, wenn einem wie nun geschehen ein geradezu klassischer Sonntagskrimi vorgesetzt wird, der zugleich alles andere als altbacken und schläfrig daherkommt.
Dem Regisseur Oliver Kienle, Jahrgang 1982, gelang mit seinem Stuttgarter Bravourstück "Happy Birthday, Sarah" ein spannungsgeladener "Tatort" mit stimmiger Atmosphäre, gutem Tempo und einer bemerkenswerten Titelheldin: einem frühreifen Früchtchen, fabelhaft gespielt von Jungschauspielerin
Worum geht's hier eigentlich?
Pathetisch gesagt: um die Frage von Schuld und Sühne. Die junge Dostojewski-Leserin Sarah Baumbach (Ruby O. Fee) hätte es eigentlich wissen müssen: Ein Verbrechen lässt den Täter auch dann nicht los, wenn er vom Arm des Gesetzes gar nicht erwischt wird. Sarah ist zarte 13, doch die gerissene Lolita aus dem Sozialbaukomplex ist offenbar mit allen Wassern gewaschen. Aber auch zu allem fähig? Angeblich will sie einen Sozialarbeiter erst niedergeschlagen und dann in der Klospülung ersäuft haben, weil er zudringlich geworden sei. Belangt werden kann sie nicht für die Tat - sie ist mit 13 noch nicht strafmündig. Aber das Geständnis kaufen ihr Lannert (
Wie nervenzerfetzend ist die Spannung?
Der Fall packt einen durchaus. Die Kommissare sind hin- und hergerissen zwischen Fürsorge für das frühreife Mädchen und dem Bemühen, ihr eine Lüge nachzuweisen. Bei seinen Erkundungen im Stuttgarter Milieu gerät Lannert sogar selbst in Gefahr - weil Kollege Bootz seit der Trennung von der Frau mit seinen Kindern ein bisschen überfordert ist und nicht zu Hilfe eilt.
Ergibt das alles Sinn?
Schwer zu glauben, dass man ein solch gerissenes Gör wie die junge Sarah tatsächlich im Stuttgarter Unterschichtenmilieu antreffen würde. Zumal sie sich laut Drehbuch (Wolfgang Stauch) auch noch für Rockmusik aus den 60-ern begeistert (CCR, Rolling Stones) und nun wirklich nicht nach 13 aussieht. Aber wer weiß? Wichtiger ist ohnehin, dass einen die Geschichte fesselt. Und das tut sie.
Braucht man das Drumherum?
Nächtliche Zubringerstraßen, Parkhausdecks, Stundenhotels und schmuddelige Hinterhöfe: Es ist diesmal nicht das bürgerliche schwäbische Milieu. Aber eines mit hohen Schauwerten, die dem stimmungsvollen Film außerordentlich gut zu Gesicht stehen.
Würde man diese Kommissare im Notfall rufen?
Wenn nicht diese beiden, wen dann? Lannert und Bootz sind die großen Tugendhaften im "Tatort"-Gewerbe. Nicht fehlerlos, aber doch stets bemüht und meist auch befähigt, das Richtige zu tun. Vor allem die kollegiale Solidarität beeindruckt.
Wie fies sind die Verbrecher?
Wenn Lannert des Nachts von zwei finsteren Gestalten mit Motorradhelm auf ein verlassenes Parkdeck verfolgt wird, steigt nicht nur beim Kommissar der Puls. Am Ende lehrte dieser "Tatort" aber vor allem eines: Die fiesesten Verbrecher verstecken sich hinter der Saubermannfassade.
Muss man das sehen?
Unbedingt. Klassische "Tatort"-Kost ohne Mätzchen, die dennoch auf der Höhe der Zeit ist. Sicher kein Meisterwerk, aber ein selten gewordener Glücksfall. © 1&1 Mail & Media/teleschau
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