Wer verdient was in Deutschland und was ist überhaupt ein gerechter Lohn? Zwei sehr gute Fragen, wenn man ein "Gehaltsexperiment" wie das beim "stern TV Spezial" am Donnerstagabend macht. Nur schade, dass der Zuschauer bei Steffen Hallaschka nur auf eine der beiden Fragen eine Antwort bekam.

Christian Vock
Eine Kritik
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Es beginnt mit einer satten Verspätung, aber doch irgendwie ganz passend. Denn es gibt wohl kaum eine Berufsgruppe, deren Gehälter so intensiv und öffentlich diskutiert werden, wie die der Profi-Fußballer. Und so trifft es sich ganz gut, dass das "stern TV Spezial" über Gehälter wegen der kurzfristigen Übertragung der Rückkehr von Frankfurts Europa-League-Gewinnern später als geplant beginnt.

Als dann RTL nach einer Dreiviertelstunde genug von der Feier am Frankfurter Römer hat, begrüßt Steffen Hallaschka die Zuschauer und erklärt ihnen, was er an diesem Abend mit ihnen vorhat. Übers Gehalt möchte er sehr gerne reden und dabei interessieren ihn vor allem zwei Fragen. Zum einen: Was verdienst du? Und zum anderen: Was bleibt übrig?

Alleinerziehende Mutter: "Eigentlich fehlt es fast überall"

Und weil das "stern TV Spezial" den Untertitel "Das Gehaltsexperiment" trägt, hat sich die "stern TV"-Redaktion wieder etwas Interaktives einfallen lassen. Diesmal ist das der sogenannte Gehaltsregler. Für den wurden 50 Berufsgruppen ausgewählt, für die der Zuschauer online ein Gesamtgehaltsbudget auf die einzelnen Berufsgruppen verteilen kann. Am Ende der Show werden dann die Ergebnisse präsentiert, also welche Berufe aus Sicht der Zuschauer mehr bekommen sollten und welche weniger.

Bis dahin kann sich der Zuschauer einen Rundumblick über alles Mögliche zum Thema Gehalt verschaffen, vor allem darüber, was welche Berufe denn so verdienen. Dafür hat Hallaschka verschiedene Gäste ins Studio gebeten, die über ihr Einkommen Auskunft geben und er beginnt mit Menschen, bei denen es eher knapp ist. Grundsätzlich und insbesondere angesichts der gerade steigenden Preise.

Da ist zum Beispiel der Restaurantfachmann, der netto 1.530 Euro verdient und dem nach Abzug der Fixkosten 20 Euro am Tag bleiben. Er sagt: "Wenn man in einer Niedriglohnbranche arbeitet, merkt man Preiserhöhungen welcher Art auch immer sofort." Ähnlich geht es einer alleinerziehenden Mutter, die in einem Spielkasino arbeitet und mit Netto-Gehalt, Unterhalt und Wohn- und Kindergeld von knapp 2.300 Euro pro Monat zu knapsen hat: "Eigentlich fehlt es fast überall."

Einkommen in Deutschland: von "sehr, sehr gut" bis "überleben"

Ein Erzieher erzählt von der Freude an seiner Arbeit, aber auch von den Lärm- und körperlichen Belastungen seines Berufs – und von seinem Lohn. "Mit dem Gehalt kann ich überleben. Aber das war’s", erklärt er, wobei es ihm auch um die Wertschätzung geht, die ihm und seiner Arbeit entgegengebracht wird. Davon erzählt auch ein Polizist, dem es ähnlich geht und der von einem kleinen Eigenheim träumt, es sich bei seinem Gehalt aber nicht leisten kann.

Hallaschka hat aber auch Menschen zu Gast, die auf der Sonnenseite der Einkommenssteuererklärung leben. Zum Beispiel Daniel und Roman Nawrot, die Luxusstaubsauger verkaufen und von ihren Lizenznehmern verkaufen lassen und von diesen Lizenzen, Verkäufen und Provisionen sehr, sehr gut leben können. Oder Amar Al-Naimi Walid, der mit Gaming-Videos und der Organisation von Events "sehr, sehr gutes Geld" verdient.

Zusätzlich erklärt Börsen-Expertin Anja Kohl, dass die aktuelle Inflation aus einem Mix aus verschiedenen Schocks wie Corona, Lieferengpässen oder auch dem Ukraine-Krieg resultiert, die aber erst einmal nicht weggehen werden: "Die Inflation ist gekommen, um zu bleiben." Außerdem fordert Kohl, dass der Staat zum einen die Schwächsten unterstützt und zum anderen endlich eine Steuerreform macht, bei der der Mittelstand entlastet wird und die oberen Einkommensklassen mehr zahlen. Das sei nie erfolgt.

Frage fehlt in der Diskussion: Was ist eigentlich ein gerechter Lohn?

Ein Querbeet-Einblick in verschiedene Berufe, Unternehmen, die eine transparente Gehaltskultur pflegen, Expertenmeinungen, Interaktivität für die Zuschauer und sogar noch eine kleine Showeinlage, als Hallaschka mit einem Youtuber ein ASMR-Video dreht, um zu zeigen, womit man alles sein Geld verdienen kann: Es scheint, als habe Hallaschka bei seinem "stern TV"-Gehaltsexperiment an alles gedacht. Es scheint. Denn Hallaschka verzettelt sich im Detail und lässt dafür andere wichtigere Felder unbearbeitet.

Das liegt daran, dass Hallaschka viel mit Begriffen operiert, die er aber gar nicht definiert. So will der Moderator den ganzen Abend über von seinen Gästen, aber vor allem von den Zuschauern wissen, was denn der gerechte Lohn für eine Arbeit ist – ohne zu sagen, was genau er denn unter "gerecht" versteht. Ist es gerecht, wenn ein Polizist 3.500 Euro verdient und ein Profi-Fußballer ein Vielfaches? Ist es gerecht, wenn Fußball-Unternehmen Millionen generieren und der Profi nur seinen Teil davon abhaben will?

An anderer Stelle vergleicht Hallaschka das Einkommen einer verbeamteten Lehrerin mit dem einer angestellten, das trotz gleicher Arbeit unterschiedlich ist. Da fragt Hallaschka zu Recht, warum die Angestellte weniger Privilegien und Vorteile hat als die Beamtin, aber er greift dabei zu kurz. Denn es geht ihm darum, dass doch auch die Angestellte diese Privilegien haben sollte - nicht aber, welchen Sinn ein Beamtentum mit seinen Privilegien überhaupt hat. Das muss erst die Expertin für ihn anschneiden. Es wäre eine hervorragende Gelegenheit gewesen, einmal über Gerechtigkeit zu sprechen.

"stern TV – Das Gehaltsexperiment": selten stimmiger Abend

Richtig problematisch ist aber, wenn Hallaschka ins Schnoddrige verfällt. Dann fallen Sätze wie "Wer was auf sich hält, der stößt schon nicht mehr mit Champagner an, sondern mit Salatöl in diesen Tagen" oder "In einer Zeit, in der Salatgurken einen höheren Wertzuwachs haben als Bitcoin". Man kann sich gut vorstellen, dass Hallaschka nur witzig sein will, aber es nimmt dem Ganzen doch die Seriosität, denn er übertreibt. Dem Zuschauer wäre mehr geholfen, wenn Hallaschka hier bei der Inflation ein bisschen genauer hingeschaut und erklärt hätte.

Zum Beispiel die Frage, was genau denn die Preistreiber sind? Denn es macht schon einen Unterschied, ob ein Maßanzug teurer wird oder die Energiepreise. Und gerade weil das Thema Preissteigerungen die Menschen aktuell emotional bewegt, wäre hier weniger Flapsigkeit angemessener gewesen. Die Zeit für Erklärungen hätte Hallaschka gehabt, wenn er etwa auf unnötigen Quatsch wie das ASMR-Video verzichtet hätte. Was das ist, kann der Zuschauer einfach bei Youtube nachsehen. Und so war es am Ende ein Abend mit kleinen Einblicken, was wer wohl so verdient, richtig stimmig war er aber selten.

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