Der Champ tritt ab und macht den Ring frei für eine neue Generation. Im siebten Teil der "Rocky"-Saga begnügt sich Sylvester Stallone mit einer Nebenrolle. Mit dem Vermächtnis der Figur, die ihn zum Star gemacht hat, geht der gealterte Actionheld auf Risiko. Das zahlt sich aus.

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Seinen leiblichen Vater hat Adonis Johnson (Michael B. Jordan) nie kennengelernt. Denn der legendäre Schwergewichts-Weltmeister Apollo Creed starb bereits vor seiner Geburt bei einem tragischen Unfall im Ring. Obwohl der Junge einer außerehelichen Affäre entstammt, holt Apollos Witwe Adonis aus einer Jugendeinrichtung zu sich, um ihm eine bessere Zukunft zu ermöglichen.

Siebzehn Jahre später lebt Adonis mit seiner Ziehmutter in einer großen Villa, fährt ein teures Auto und hat einen gutbezahlten Job bei einem Wertpapierunternehmen. Glücklich ist er mit alldem trotzdem nicht. Denn insgeheim träumt er davon, Profiboxer zu werden. Deshalb schmeißt er eines Tages alles hin und macht sich auf den Weg nach Philadelphia um den besten Freund und einstigen Rivalen seines Vaters aufzusuchen: Den legendären Rocky Balboa (Sylvester Stallone).

Stallone übergibt das Zepter

Sylvester Stallone wird gerne unterschätzt. Vielleicht liegt das an seinem Image als Actionheld und dem muskelbepackten Körper, vielleicht an seinem Schlafzimmerblick und dem leichten Nuscheln, die das Resultat einer Muskellähmung im Gesicht sind, oder an einer Kombination aus allem. Tatsache ist: Der Mann kann weitaus mehr, als ihm viele zutrauen. Dabei wurde Stallone in Hollywood einmal als neuer Marlon Brando gehandelt.

1976 war das, um genau zu sein. Der erste "Rocky"-Film hatte ihm nicht nur eine Oscar-Nominierung für die beste männliche Hauptrolle eingebracht, sondern auch für das beste Originaldrehbuch. Damit nicht Robert Redford, sondern er selbst die Hauptrolle spielen durfte, musste sich der damals völlig unbekannte Stallone gegen mächtige Studiobosse durchsetzen. Die Geschichte des ehrgeizigen Underdogs Rocky Balboa, der es bis ganz nach oben schafft, ist auch die Geschichte von Sylvester Stallone.

Seitdem sind 40 Jahre vergangen und jede Geschichte muss früher oder später zu einem Ende gelangen. Mit nunmehr 70 Jahren kann auch ein Rocky Balboa beim besten Willen nicht mehr in den Ring steigen. Anstatt seine Ikone jedoch mit dem eher unspektakulären sechsten Teil von vor zehn Jahren still und heimlich zu beerdigen, gibt Stallone das Zepter einfach weiter.

"Creed" ist Fortsetzung und Spin-Off zugleich. Denn eigentlich markiert er den Beginn eines neuen, eigenständigen Handlungsstrangs. Innerhalb der monumentalen Rocky-Saga einen neuen Protagonisten aufzubauen ist ein Wagnis, das gut und gerne in die Hose hätte gehen können. Tut es aber nicht. Denn "Creed" verfügt über viele Elemente, die seinerzeit dem ersten Teil zum Erfolg verholfen haben.

"Creed" ist die Geschichte von Ryan Coogler

Das Drehbuch stammt im Gegensatz zu allen anderen "Rocky"-Filmen nicht aus Stallones Feder, sondern von Ryan Coogler. Die Idee kam dem Jung-Regisseur, nachdem bei seinem Vater, mit dem er die Liebe zu den "Rocky"-Filmen teilt, eine neuromuskuläre Erkrankung diagnostiziert wurde. Coogler konnte Stallone von seiner Idee überzeugen, obwohl er zu diesem Zeitpunkt gerade erst die Filmschule abgeschlossen und mit den Dreharbeiten zu seinem hochgelobten Debüt "Fruitvale Station" noch nicht einmal begonnen hatte. Die Geschichte von "Creed" ist auch die Geschichte von Ryan Coogler.

Mit viel Witz, Mut und dem nötigen Respekt vor dem großen Vorbild spinnt der Regisseur die Boxer-Saga weiter und verliert dabei nie den Bezug zu seinen Wurzeln. Dafür sorgt auch die Präsenz von Sylvester Stallone, der das Bindeglied zwischen der Vergangenheit und der Zukunft ist. Der Altmeister übernimmt in "Creed" als Mentor und Trainer zwar nur eine Nebenrolle.

Die fällt allerdings umso wuchtiger aus. Denn der große und unverwüstliche Champion Rocky ist inzwischen ein zurückgezogener, einsamer und kranker Mann geworden. Stallone verleiht der Figur eine erstaunliche Tiefe und beweist mit seiner ruhigsten und zugleich emotionalsten Darbietung seit "Cop Land", dass er ein herausragender Charakterdarsteller sein kann - wenn er will. Bei der Oscar-Verleihung gilt er folgerichtig als Topfavorit auf den Preis für den besten Nebendarsteller. Mit seinem ersten Golden Globe wurde er unlängst bereits ausgezeichnet.

Ein würdiges Vermächtnis

Für die Rolle des Protagonisten Adonis Johnson Creed verpflichtete Regisseur Coogler seinen Lieblingsschauspieler Michael B. Jordan, der schon in "Fruitvale Station" die Hauptrolle spielt. Ein echter Glücksgriff, denn Jordan verfügt über den nötigen Biss und die Ausstrahlung, um in die riesigen Fußstapfen seiner Vorbilder treten zu können. Schließlich ist Jordans Filmfigur nicht nur Rockys Schützling, sondern auch der Sohn von Apollo Creed.

1977 gewann der erste "Rocky"-Teil bei den Oscars in den Kategorien "Bester Film", "Beste Regie" und "Bester Schnitt". Stallone selbst ging trotz seiner beiden Nominierungen leer aus. Knapp 40 Jahre später könnte sich der Kreis für ihn nun schließen.

Doch Oscar hin oder her, Sylvester Stallone kann sich entspannt zurücklehnen. Mit Ryan Coogler und Michael B. Jordan hat er zwei würdige Nachfolger gefunden. Auch wenn "Creed" insgesamt nicht ganz die Klasse des Originals erreicht - was im Grunde auch kaum möglich ist - übertrifft der Film alle Erwartungen. Rockys Vermächtnis befindet sich in guten Händen.

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