Singen, Backen, Kochen, Tanzen – es gibt kaum eine Profession, für die noch keinen TV-Wettbewerb ausgerufen wurde. Seit Dienstagabend ist das Schneiderhandwerk an der Reihe, denn TV-Sonnenschein Guido Maria Kretschmer fragt: "Geschickt eingefädelt – Wer näht am besten?" Eine Show wie ein Ritt auf einem Einhorn.

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Kennen Sie noch Nähen? Ja, dieses Ding, bei dem man einen Faden durch eine Nadel bugsiert und dann Stoffteile miteinander verbindet. Wer damit immer noch nichts anfangen kann: So werden Klamotten gemacht.

Zugegeben, dass war jetzt ein bisschen spitz. Aber in Zeiten, in denen Mode zu Spottpreisen bei Discountern verhökert wird und man billiger fährt, wenn man gleich eine neue Jacke kauft, nur weil ein Knopf ab ist, kann man schon mal daran erinnern, dass das nicht immer so war.

Früher hat Omi noch die Socken gestopft und Mutti die Schnittmuster aus der Burda gesammelt - zum Selbstschneidern. Und irgendwie hat man das Gefühl, dass sich die Menschen, je unruhiger die Zeiten sind, desto mehr wieder nach Dingen aus der Vergangenheit sehnen, als noch alles gut war. Nicht umsonst boomt der Vintage- und Retromarkt ungebremst, haben Shops wie Dawanda, in denen Selbstgemachtes und Altes verkauft wird, Hochkonjunktur.

Kretschmer auf der Überholspur

Und in genau diese Mischung aus Billigmode, dem bis zur Uniformität gedrehten Wunsch nach Individualität und dem Festhalten der Vergangenheit stößt von nun an jeden Dienstagabend Guido Maria Kretschmer mit seiner neuen Show "Geschickt eingefädelt". Kretschmer, der vom TV-Gott geküsste Designer, scheint momentan einen richtigen Lauf zu haben.

War er schon als Modemacher vom Erfolg verwöhnt, läuft es für ihn auch im Fernsehen gerade richtig rund. Seine Show "Shopping Queen" gehört zum festen Vox-Inventar, er war Juror beim "Supertalent", bekam zahlreiche TV-Preise und brachte Bücher heraus– Pech sieht anders aus.

Und nun eben die neue Show. Das Konzept unterscheidet sich nicht oder nur unwesentlich von anderen Formaten: Eine Truppe Hobby-Schneider und -Schneiderinnen wird in ein Atelier-Haus gesteckt und muss verschiedene Aufgaben erfüllen. Eine Jury bewertet die Aufgaben und am Ende des Tages muss der schlechteste Schneider auf seinem Nadelkissen nach Hause reiten. So weit, so unoriginell, doch Kretschmers Show unterscheidet sich genau dort, wo sich auch Kretschmer von den anderen TV-Gesichtern unterscheidet.

Love, Peace and Guido

Währen bei den TV-Köchen der Umgangston rauer ist als auf jedem Marineschiff und bei anderen Kleinkunst-Wettbewerben die Kandidaten der Lächerlichkeit preisgegeben werden, da regiert bei Kretschmers "Geschickt eingefädelt" Harmonie pur. Das liegt vor allem am Meister selbst.

Kretschmer, der immer so wirkt, als könnte er mit seinem charmanten Grinsen einem sogar eine Backenzahn-OP als Wellness-Urlaub verkaufen, lächelt sich durch die gesamten 90 Minuten, hat für jeden ein gutes Wort und sagt Kritik nicht durch die Blume, sondern durch einen ganzen Floristikbetrieb. Oder wie es Kandidatin Ella ausdrückt "Die Kritik von Guido tut nie weh."

Kretschmer ist also so etwas wie das Harmonie-Duftbäumchen der Sendung. In den anderen Jury-Rollen sind zu sehen: Anke Müller als die kreative Designerin und Inge Szoltysik-Sparrer als "die Strenge". Die Bundesvorsitzende des Maßschneiderhandwerks darf so etwas wie das Fräulein Rottenmeier der Nahtzugabe sein und beginnt ihre Sätze gerne mit "Du weißt schon, dass ...". Ohne Bad Guy geht es also auch hier nicht.

"Nähen heißt vertrauen"

Und während die Kandidaten sich so durch ihre Schneiderei-Aufgaben kämpfen, um dem Ziel, einem Gastaufenthalt an einer renommierten Pariser Modeschule, näher zu kommen, lächelt sich Kretschmer also durch die Sendung. Das ist nicht aufdringlich oder gestellt, sondern einfach nur nett. Nebenbei darf man sich Sätze aus der Welt von Nadel und Faden anhören. Eine kleine Auswahl:

"Das richtige Material ist natürlich das A und O"

"Nähen heißt eben auch vertrauen – dem eigenen Können vertrauen und der Schnittanleitung."

"Jetzt ist der Stoff natürlich sehr dünn, aber du hast keine Angst davor."

"Ein Satin verzeiht einem nichts."

"Hier hast du auch einen Nadelschaden."

Nebenbei erfährt man von der Jury das ein oder andere aus der Designer-Zunft, etwa, wenn sich das Trio um eine Puppe versammelt und an ihr die Gefahren beim Nähen eines Bleistiftrocks erläutert, als ginge es um das Entschärfen einer Bombe. Interessierte Hobby-Näher dürften das spannend finden, der Rest der Zuschauer wird es mit einem Schmunzeln zur Kenntnis nehmen.

Zu denen gehörte wohl auch Kandidatin Katja. Ihr selbst geschneiderter Bleistiftrock entsprach so gar nicht den Qualitätsvorstellungen der Jury, weshalb die Frau mit der Regenbogen-Frisur als erste Kandidatin das Gemeinschaftsatelier verlassen musste.

"Es war ein Vergnügen sie kennengelernt zu haben", versüßt Kretschmer ihren Abgang. Und etwas anderes hätte auch gar nicht zu ihm gepasst. "Geschickt eingefädelt" ist die perfekte Show für den Designer. Alles ist Harmonie, alles ist harmlos. Das Böse, das gibt’s woanders. Und irgendwie tut das auch mal ganz gut.

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