In der jüngsten Folge von "Beauty & The Nerd" erlaubt sich ein Teilnehmer einen körperlichen Übergriff auf eine der "Beautys". ProSieben kommentiert während der Show am Donnerstagabend, dass dieses Verhalten gegenüber Frauen kein Kavaliersdelikt sei und lässt die Situation von den Teilnehmern selbst klären.
Es klingt erst einmal originell. Zumindest origineller als andere Trash-TV-Shows. Man nimmt einen Haufen "Nerds" und steckt ihn zusammen mit einem Haufen "Beautys" in eine Gruppenunterkunft. Jeweils ein "Nerd" und eine "Beauty" sollen sich zu einem Team zusammenfinden, um am Ende die Show zu gewinnen. Daraus kann etwas entstehen, denn Gegensätze ziehen sich ja bekanntlich an oder stoßen sich ab – wer weiß das schon. Es könnte jedenfalls interessant sein.
In der Praxis hingegen ist "Beauty & The Nerd" dann doch etwas weniger originell, denn die Show funktioniert, wie solche Shows eben funktionieren. Einer charakterlich möglichst heterogenen Truppe wird ein sehr vages Ziel ausgegeben, dass es in einem Wettstreit zu erreichen gilt.
Doch der Wettstreit, also die Frage, wer gewinnt, ist vollkommen unwichtig, denn im Grunde geht es nur darum, dass zwischen der ersten und der letzten Folge möglichst viel Sozial-Remmidemmi passiert.
Wie die Beteiligten zu diesem Ziel kommen, ist erst einmal ihnen überlassen, aber natürlich schmeißt die Produktionsfirma EndemolShine Germany ein paar Eskalationskatalysatoren in die Show, damit es ordentlich rummst. Spielchen zum Beispiel, Unvorhergesehenes und zur Not natürlich den Klassiker: Alkohol. Das kann natürlich rein unterhaltungstechnisch gutgehen, aber eben auch nicht, wie Folge zwei am Donnerstagabend zeigen sollte.
Markus über Julien: "Er kam halt super aufdringlich rein"
Es fängt damit an, dass das Verlierer-Paar der vergangenen Folge, Helena und Volker ausziehen müssen, was Kandidat Cao zum Weinen bringt. Dessen Partnerin Alex nimmt das nach Meinung ihrer Beauty-Kolleginnen nicht ausreichend besorgt zur Kenntnis. "Die ist eiskalt", meint zum Beispiel Cecilia, auch der Schnitt lässt diesen Eindruck entstehen. Das ist dramaturgisch deshalb interessant, weil es am Ende für Alex freiwilligen Abgang in dieser Folge mitverantwortlich sein wird.
Hier wirkt also bereits das reine Menschsein, an anderer Stelle soll es aber noch forciert werden. Denn in Folge zwei betritt ein neues Paar die "Beauty & The Nerd"-Bühne nur ist diesmal der "Nerd" eine Frau namens Teresa und die "Beauty" ein Mann namens Julien. Und dessen Ersteindruck, wie er da mit freiem Oberkörper und Siegessprüchen in die Villa gockelt, kommt nicht bei allen gut an: "Er kam halt super aufdringlich rein", erzählt Markus stellvertretend.
Dabei sollte es Julien in puncto sozialer Interaktion eigentlich besser wissen, schließlich gibt er als Beruf "Dating-Coach für Frauen" an. Klingt wie ein Fantasiejob, die Info sollte aber später noch wichtig werden. Erst einmal lässt Julien die anderen wissen, dass mit ihm der Sieger eingezogen sei und zeigt in einem ersten Statement, was intellektuell sonst noch von ihm zu erwarten ist: "Wenn man nicht gut aussieht, ist schwierig." Schwierig, um es maximal beschönigend zu formulieren, sollte hingegen lediglich Juliens Verhalten während einer Party sein.
"Beauty & The Nerd": Julien wird übergriffig
Bei einer Champagner-Dusche trifft er Meike unglücklich mit Schaum im Auge. Julien will sie deshalb scheinbar fürsorglich ins Bad tragen damit sie sich dort die Augen auswaschen kann. Doch bevor das passiert, blendet ProSieben einen Hinweis ein: "In den folgenden Szenen überschreitet ein Teilnehmer Grenzen und wird übergriffig. Wir möchten feststellen: Übergriffiges Verhalten gegenüber Frauen ist kein Kavaliersdelikt. Wir zeigen die Szenen nach Rücksprache mit Meike dennoch. Warum? Die darauf folgende Debatte ist uns und Meike sehr wichtig." Was war passiert?
Im Bad angekommen nutzt Julien den Umstand, dass Meike nichts sieht, um ihr einen Kuss zu geben. "Bist du jeck?" schreckt Meike offenbar überrascht zurück. "Ich bin kein Mensch, der dann irgendwie so reflexartig jemandem eine scheuert. Und da war ich kurz davor", erklärt Meike später ihre Sicht der Situation, die Julien offenbar ganz anders wahrgenommen hat: "Es war einfach der Moment. Ich dachte mir so: Hey, wieso nicht? Hat sich gut angefühlt."
Ja, wieso eigentlich nicht? Wieso soll man eigentlich eine Frau, die sich nicht wehren kann, weil sie nichts sieht, nicht einfach so auf den Mund küssen, auch wenn es sich für einen persönlich gut anfühlt? Gegenfrage: Wieso muss man im Jahr 2021 und nach einer intensiven #metoo-Debatte einem Mann immer noch erklären, wieso man das nicht macht?
Ein Statement von ProSieben: wenigstens das
Nach Bekanntwerden des Vorfalls ist die Missbilligung in der Gruppe groß, aber es sind vor allem Christian und Alexandra, die sich über den Kuss echauffieren: "Was er gemacht hat, ist respektlos", erklärt Christian in einem Statement, Meike selbst wollte in der Situation "kein Fass aufmachen". Dass dieses Fass trotzdem aufgemacht wird, liegt an Alexandra, denn als die Gruppe Julien applaudiert, weil er sich vor allen entschuldigt, macht dieser Applaus für sie die Sache nur noch schlimmer.
"Ich finde die ganze Situation nicht gut. Dann kriegst du noch Applaus. So sieht das dann halt bei uns aus in der Gesellschaft: Der Mann baut Scheiße und am Ende ist er noch der Tolle, weil er sich entschuldigt hat", erklärt Alexandra Julien den Grund für ihre Wut. Irgendwann beendet der Schnitt die Diskussion und der Off-Sprecher kann verkünden: "Nachdem jetzt alle wieder im Reinen sind, kann die nächste Challenge gespielt werden."
Nun kann man natürlich nur mutmaßen, welche Gespräche bei der Produktionsfirma und ProSieben darüber abgelaufen sind, wie man mit dieser Situation umgeht und darüber diskutieren, ob dieser Umgang angemessen war.
Auf der Habenseite steht, dass man überhaupt mit dieser Situation umgegangen ist und das Ganze nicht unkommentiert gesendet hat. Offenbar hat man hier nach den jüngsten Spuck- und Homophobie-Skandalen ähnlicher Trash-TV-Shows gelernt. Wenigstens das.
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