Ein Jahr lang hat ein Kamerateam Samuel Koch im Alltag begleitet. Der bei "Wetten, dass..?" schwer verunglückte junge Mann berichtet von demütigenden Situationen und Machtlosigkeit - und warum er den Kampf um Selbstständigkeit dennoch noch nicht aufgegeben hat.
Samuel Koch ist Tetraplegiker, an Armen und Beinen gelähmt. Seit diesem verdammten 4. Dezember 2010. Als er versuchte, mit Sprungfedern unter den Füßen im Salto über heranfahrende Autos zu springen. Es sollte ein großer Tag für den ehrgeizigen Schauspielschüler und Akrobaten werden. Der Tag, an dem er mit seiner spektakulären und anspruchsvollen Flugeinlage die "Wetten, dass..?"-Zuschauer beeindrucken wollte. Es wurde der Tag, der sein Leben unumkehrbar veränderte.
Die "37 Grad"-Reportage, für die ein ZDF-Team den mittlerweile 26-Jährigen ein Jahr lang begleitet hat, beginnt mit einer Szene, die das zweite Leben des jungen Mannes wohl am besten symbolisiert. Mit der Vorbereitung für einen Gleitschirmflug, der dem Querschnittsgelähmten ein Gefühl geben soll, dass er seit seinem Unfall nicht mehr kennt: Freiheit.
Ja, man hört immer wieder von
Samuel Kochs Alltag: Demütigungen und Hilfslosigkeit
Das alltägliche Leben ist entmutigend, das zeigt die Reportage deutlich. Nicht nur, dass körperliche Fortschritte nur quälend langsam vonstatten gehen und es nach wie vor unwahrscheinlich ist, dass er wieder gesund wird. Dass es immer wieder zu demütigenden Situationen kommt, wenn er wegen eines Krampfanfalls aus der Dusche fällt und so lange nackt auf dem Boden liegt, bis jemand kommt, der stark genug ist, ihn wieder aufzuheben.
Auch so selbstverständliche Dinge wie die Entschleimung der Lungen kann Koch nicht alleine bewerkstelligen, weil ihm dafür die Muskelkraft fehlt. Er kann sich alleine nicht einmal räuspern. Er benötigt dafür die Hilfe seines Bruders, der ihm im Stile einer Herz-Lungen-Massage auf den Brustkorb drückt, während er selbst zitternd auf dem Hotelbett liegt. Eindrücklicher kann man Samuel Kochs Hilflosigkeit wohl nicht zeigen.
"Es lohnt sich, vor die Tür zu gehen"
Grund genug zu verzweifeln. Ein Gefühl, das Koch verständlicherweise nur allzu gut kennt. Das ihn auch immer wieder dazu verleitet, sich selbst zu quälen. Dann besucht er seine alte Turnhalle, wo er vor seinem Unfall immer trainierte. Oder er setzt sich auf einen Spielplatz und schaut den Kindern, die er selbst wahrscheinlich nie haben wird, beim Spielen zu. Aber es gibt Hoffnung.
Bei Samuel Koch ist an dieser Stelle natürlich der Glaube zu nennen, der ihn davon abhält, in Depressionen zu verfallen. Aber auch kleine Fortschritte im Alltag, wie die Möglichkeit, mithilfe eines speziell ausgestatteten Autos eines Tages alleine fahren zu können oder trotz seiner Behinderung Theater spielen zu können. Oder sein Engagement als Sprecher, wenn die Kunden oftmals gar nicht wissen, dass ein Gelähmter dahintersteckt. Diese Dinge geben ihm die Gewissheit, ein "Sprachrohr" sein zu können (und zu wollen), der anderen Betroffenen klarmacht, dass es sich lohnt, vor die Tür zu gehen. Denn: "Das Leben ist ein tolles Geschenk."
Echtes Interesse oder Voyeurismus?
Hilfreich ist dabei natürlich die Möglichkeit, die er als Quasiprominenter genießt, sein Anliegen in die Öffentlichkeit zu tragen. Welcher andere Tetraplegiker wird schon von Bundespräsident Joachim Gauck persönlich empfangen? Hier liegt vielleicht die größte Pluspunkt der Reportage: An einer Stelle wird Samuel Koch gefragt, was ihn denn eigentlich berechtigt, so öffentlich mit seinem Schicksal umzugehen, anderen Menschen Ratschläge zu geben und quasi als Inspiration zu dienen.
Seine Antwort: "Vielleicht berechtigt mich der Voyeurismus der Zuschauer." Und auch wenn ihm diese grundehrliche Antwort sofort peinlich ist und er sie zurücknimmt: Wenn man sich als TV-Zuschauer an dieser Stelle hinterfragt, ob man die Reportage (zu sehen auch in der ZDF-Mediathek) jetzt gerade schaut, weil man ehrlich am Schicksal eines Querschnittsgelähmten interessiert ist oder einfach nur sehen will, wie schlecht es dem "Wetten, dass..?"-Kandidaten heute geht - dann ist Fernsehen ausnahmsweise mal wirklich erhellend.
Und ja: Samuel Koch bekommt sein wohlverdientes Stückchen Freiheit beim ersten Gleitschirmflug seines Lebens.
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