Im Interview spricht Conchita Wurst über Unsicherheiten in ihren Jugendjahren, wie sie mit persönlichen Anfeindungen umgeht und warum sie ihre Zeit lieber mit Kuchenrezepten als mit Facebook-Kommentaren verbringt.
Conchita, du hast dieses Jahr nicht nur dein erstes Album veröffentlicht, sondern auch deine Biografie - trotz deiner erst 26 Jahre. Geht es in dieser Biografie vorwiegend um
Conchita Wurst: Es geht um meinen Lebensweg und damit sowohl um Tom als auch Conchita. Zuerst hatte ich eine Biografie abgelehnt, weil mir das etwas seltsam für mein Alter erschien. Im Nachhinein bin ich aber froh, es gemacht zu haben, denn es gab mir die Möglichkeit, mein Leben als Ganzes zu betrachten und Bögen zwischen der Vergangenheit und der Gegenwart zu spannen.
Mit der Kunstfigur Conchita möchtest du die Menschen dazu anregen, mehr Toleranz gegenüber andersartigen Mitmenschen zu zeigen. Wann hattest du zum ersten Mal das Gefühl, anders zu sein?
Ich bin Conchita und lebe sie auf der Bühne, weil ich es will und es mich wahnsinnig gut unterhält. Allerdings habe ich sehr schnell bemerkt, dass mein Bart viel mehr ist, als ich dachte - und auch größere Diskussionen auslöst, als ich dachte. Erst aufgrund dieser Reaktionen habe ich mir zum Ziel genommen, das Anderssein und mein Unverständnis darüber, warum man auf diese Andersartigkeit so negativ reagieren kann, zum Ausdruck zu bringen.
Was die Frage betrifft: Ich war ein wahnsinnig selbstbewusstes Kind, wurde mit der Pubertät aber sehr unsicher. Und ich glaube, ich werde den Rest meines Lebens damit verbringen, diese Unsicherheit abzubauen. Während der Pubertät habe ich Angriffsfläche geboten. Weil ich selbst nicht wusste, ob das, was ich fühle, in Ordnung ist. Denn die Gesellschaft sagte mir, dass es das nicht ist. Es hat gedauert, bis ich akzeptieren konnte, wer ich bin, und das auch laut aussprechen konnte. Als ich gemerkt habe, dass die Menschen, die mir wichtig sind, mich trotzdem lieben, hat das auch aufgehört, wehzutun. Mittlerweile sind mir negative Gefühle mir gegenüber vollkommen egal.
Wie hast du die Unsicherheit überwunden? Hat dir eine Bezugsperson geholfen oder war es mehr eine Auseinandersetzung mit dir selbst?
Es war definitiv beides. Mein bester Freund hat sich zu einer ähnlichen Zeit geoutet, als auch ich gemerkt habe, dass ich anders empfinde als die meisten Jungs in meinem Umfeld. Dadurch war ich mit dieser Situation nicht alleine. Außerdem hatte ich das Glück, einen großen Freundeskreis zu haben. Zusätzlich hat mir geholfen, mich mit der LGBT-Comunity und ihrer Geschichte auseinanderzusetzen. Zu wissen, dass man mit vielen anderen in einem Boot sitzt, hat etwas Tröstliches. Dennoch hat es einige Jahre gedauert, die Unsicherheit zu überwinden.
Als Conchita wurdest du mit vielen Anfeindungen konfrontiert. Einige Menschen wollten, dass du so schnell als möglich wieder aus der Öffentlichkeit verschwindest. Wie bist du damit umgegangen?
Ich habe mein Ding durchgezogen, und diese ganze negative Energie, die gegen mich ging, hätte mich nicht weniger tangieren können. Es gab ganz viele Menschen, die hinter mir standen. Ich habe vor vielen Jahren mit mir selbst eine Abmachung getroffen, dass ich mich auf die guten Dinge im Leben konzentriere – wenn ich die Wahl habe.
Wenn es zum Beispiel um Anfeindungen über die Sozialen Medien geht, habe ich die Wahl, ob ich mich damit beschäftige und meine Zeit verschwende, oder ob ich einen Artikel darüber lese, wie man einen Kuchen backt. Und ich entscheide mich immer für den Kuchen. Außerdem hatte ich, wenn überhaupt, nur das Bedürfnis, mich für diese Aufmerksamkeit zu bedanken. Denn ich selbst würde keine Sekunde damit verbringen, mich mit etwas auseinanderzusetzen, das ich nicht mag.
Begegnen dir deine Kritiker seit deinem Sieg beim Eurovision Song Contest anders? Gab es vielleicht sogar Entschuldigungen?
Einen Vergleich könnte ich ja nur ziehen, wenn diejenigen den Mut gehabt hätten, mir ihre Kritik persönlich ins Gesicht zu sagen. Das ist mir in meiner Karriere bisher erst dreimal passiert, und zwei dieser Personen waren betrunken, als sie mir gesagt haben, was sie wirklich von mir halten. Deswegen ist die meiste Kritik für mich nicht wirklich ernst zu nehmen.
Ich glaube aber doch, dass viele Menschen ihre Meinung mir gegenüber geändert haben. Ich habe zum Beispiel Nachrichten erhalten, in denen mir Menschen gesagt haben, dass sie zwar noch immer Probleme mit meinem Aussehen haben, aber dass sie verstanden haben, worum es mir geht. Das ist schon wirklich ganz toll und eigentlich auch das Einzige, was ich verlange. Ich sage nicht, dass man großartig finden muss, was ich tue, aber man muss akzeptieren, dass ich da bin. Denn ich werde nicht wieder weggehen.
Gibt es ein bestimmtes Ritual oder vielleicht auch einen Ort, der dir dabei hilft, bei großen Belastungen wieder Mut und Hoffnung zu schöpfen?
Ich habe tatsächlich keine Situation parat, wo ich das gebraucht hätte. Ich bin ein Glückskind, auch wenn das viele nicht nachvollziehen können. Ich weiß auch nicht, warum das so ist. Vielleicht haben mich meine Eltern einfach sehr naiv erzogen.
Es gibt natürlich Situation im Berufsleben die schwierig sind, zum Beispiel wenn es um Dinge geht, mit denen ich mich nicht beschäftigen möchte. Doch die sind harmlos. Ich bin tatsächlich wahnsinnig glücklich und dankbar dafür, das machen zu können, was mir Spaß macht, und dabei auch noch Erfolg zu haben.
Was möchtest du jenen mitgeben, die noch nicht das Glück haben, die Person zu sein, die sie gerne wären?
Gerade als Jugendlicher macht man sich oft Sorgen: "Wenn ich das oder jenes mache oder sage, verliere ich vielleicht meine Freunde oder meine Familie." Ich weiß, dass - egal, was passiert - die Liebe einen findet. Dass Menschen zu einem kommen, die einen ein Leben lang unterstützen werden.
Wenn man das Glück hat, dass das die eigene Familie ist, ist das großartig. Aber wenn dem nicht so ist, kann man darauf vertrauen, dass man woanders Menschen findet, die einen so akzeptieren, wie man ist. Das ist das, woran ich glaube.
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