Es gibt Themen, an denen scheiden sich auf ewig die Geister. Wenn beispielsweise Fleischesser mit Vegetariern diskutieren, prallen Welten aufeinander. Wir haben die Nase voll von Pro und Kontra und versuchen einen anderen Weg.
Lieber Vegetarier,
dauernd musst du teilweise wildfremden Menschen erklären, warum du dich dafür entschieden hast, kein Fleisch zu essen. Vielleicht hat dich ein Bericht über Massentierhaltung dazu gebracht oder einer der vielen Lebensmittelskandale. Oder es sind religiöse Gründe. Vielleicht schmeckt dir Fleisch auch einfach nicht. Was auch immer deine Beweggründe sein mögen: Ich finde deine Entscheidung großartig.
Ich bewundere dich, weil du bei Familienfeiern deiner kopfschüttelnden Oma jedes Mal wieder geduldig erklärst, dass du immer noch kein Fleisch isst – nein, auch kein Hühnchen. Du stehst zu deiner Überzeugung und nimmst dafür bereitwillig in Kauf, zum Außenseiter zu werden. Du lächelst nur gequält, wenn zum x-ten Mal jemand dieselben Sprüche bringt: "Aber, was isst du denn dann noch?" und "Das ist doch total ungesund." Dabei kann ich es gut verstehen, dass du dich ärgerst, wenn im Restaurant mal wieder nur der Beilagensalat für dich auf der Karte steht.
Du hast dich längst daran gewöhnt, im Supermarkt auf jeder Packung erst die klein gedruckte Zutatenliste zu entziffern, bevor ein Produkt in deinem Einkaufswagen landet. Zu oft versteckt sich in der "vegetarischen" Gemüsesuppe eben doch noch Hühnerbrühe. Oder Gelatine im Frischkäse. Ich bewundere deine Ausdauer, mit der du diesen alltäglichen Schwierigkeiten begegnest, statt Kompromisse einzugehen. Und wie muss es nerven, wenn Freunde oder Kollegen Dinge sagen wie: "Man schmeckt doch gar nicht, ob da wirklich Fleisch drin ist." Ich weiß, dass es für dich um mehr geht, als den Geschmack deines Essens. Du hast dich für ein fleischloses Leben entschieden und gehst diesen Weg mit beeindruckender Konsequenz.
Manchmal, wenn du zum Beispiel in der Mittagspause die selbstgebackene Speck-Quiche deiner Kollegin ablehnst, fühlen sich Menschen auf den Schlips getreten. Dann wird dir vorgeworfen, du müsstest jedem auf die Nase binden, dass du Vegetarier bist. Und angeblich willst du ohnehin alle Welt bekehren. Was für ein Unsinn! Du begegnest Fleischessern meist sehr viel verständnisvoller, als sie mit dir umgehen. Und dafür bewundere ich dich aufrichtig.
Viele Grüße,
ein Fleischesser
Lieber Fleischesser,
wahrscheinlich hat dich noch in deinem Leben noch nie jemand gefragt, wann und warum du dich dafür entschieden hast, Fleisch zu essen. Dabei hast du - ebenso wie - ich irgendwann eine Entscheidung getroffen.
Der Sonntagsbraten war für dich ein ebenso vertrautes Familienritual wie für mich, und irgendwann hast auch du sicher angefangen, darüber nachzudenken, wo das Fleisch auf deinem Teller eigentlich herkommt. Vielleicht hast du sogar ein paar Wochen lang probiert, vegetarisch zu leben. Aber du hast schnell gemerkt, dass dieser Lebensentwurf für dich nicht in Frage kommt. Und dazu stehst du auch.
Vermutlich denkst du, dass ich dich deswegen verurteile, aber das tue ich nicht. Ich bin sicher, dass auch du Massentierhaltung und Tiertransporte nicht befürwortest, aber du glaubst nicht daran, dass du mit einem Verzicht auf ein paar Schnitzel daran etwas ändern kannst. Vielleicht hast du sogar Recht damit. Trotzdem wirst du oft angegriffen. Manche Menschen können einfach nicht verstehen, wie man heutzutage überhaupt noch Tiere essen kann.
Doch du musst dich nicht rechtfertigen. Du genießt dein Leben, und Genuss beim Essen gehört für dich dazu. Wenn du deswegen beim Grillen lieber in eine saftige Bratwurst als in ein trockenes Tofuwürstchen beißt, ist das verständlich.
Trend-Veganer erklären dir bei jeder Gelegenheit, wie schrecklich dein Fleischkonsum doch sei. Doch du bleibst ruhig und begegnest ihren Argumenten mit einem Lächeln. Schließlich weißt du, dass die CO2-Bilanz deines Steaks vom regionalen Metzger niedriger ist, als das von weit her transportierte Seitan-Gulasch deines Kritikers.
Trotzdem fängst du keine Diskussionen über deinen Fleischkonsum an. Für dich ist es völlig normal, dass es unterschiedliche Lebensentwürfe gibt. Wenn deine Vegetarier-Kollegin nicht möchte, dass ihre Pizza mit demselben Messer geschnitten wird, das gerade deine Salami-Pizza zerteilt hat, dann ist das für dich keine hysterische Spinnerei, sondern eine Selbstverständlichkeit.
Denselben Respekt hast auch du als Fleischesser verdient. Dein Lebensstil mag für mich nicht funktionieren. Das ändert aber nichts daran, dass ich dich als Mensch achte.
Viele Grüße,
ein Vegetarier
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