"Die gesamte moderne Literatur geht auf ein Buch von Mark Twain zurück. Es trägt den Namen Huckleberry Finn …", schrieb Ernest Hemingway. "Was davor war, zählt nicht. Was danach kam, war nicht annähernd so gut." Zum 130. Mal jährt sich am 18. Februar die Erstveröffentlichung von Twains Meisterwerk im Land seiner Entstehung, den Vereinigten Staaten von Amerika. Welche großen Abenteuergeschichten sich dann doch danach und davor zum Kanon der Weltliteratur gesellten, lesen Sie hier.
Mark Twain: Die Abenteuer des Huckleberry Finn (1884)
Neben den zwei großen Mythen von der Eroberung des Westens, zu Pferd und auf der Schiene, wird ein Dritter gerne vergessen: die Flussfahrt, sei es den Arkansas runter oder den Yukon rauf. Als Mark Twain in den 1870ern begann, die Geschichte vom Waisenknaben Huck und dem entlaufenen Sklaven Jim niederzuschreiben, waren die glorreichen Heldenlieder des Wilden Westens bereits verklungen. Ein Floß wird zum Fluchtfahrzeug der zwei Freunde, ein Stück Freiheit mitten auf dem Mississippi. Twains Emanzipationsroman wird gelesen als Ode an die Kindheit, an die große Weite und an die Abenteuerlust.
Daniel Defoe: Robinson Crusoe (1719)
Als Mutter des Abenteuerromans darf wohl die Mythologie gelten. Bereits Homers "Ilias" und die "Odyssee" erzählen von großen Reisen und lebensgefährlichen Abenteuern. Die muss auch der Held des ersten englischen Abenteuerromans bewältigen, nachdem er in die Fremde aufbricht. Robinson Crusoe strandet auf einer Insel und kämpft dort jahrelang ums Überleben – und gegen die Isolation. Dabei steht ihm sein Gefährte Freitag zur Seite, ein Eingeborener. Die Geschichte wurde schnell zum Klassiker und inspirierte eine ganze Reihe von Erzählungen, die inzwischen eine eigene literarische Gattung bilden, die Robinsonaden.
Herman Melville: Moby Dick (1851)
Eine wahre Blüte erlebte die Abenteuerliteratur im 19. Jahrhundert, inspiriert vom Forscherdrang solcher Männer wie Charles Darwin und dem Pionier- und Zeitgeist der großen Expeditionen. Ein Buch, das sich aus der Masse abhebt, handelt vom Rachefeldzug des Kapitäns Ahab, der wie besessen auf der Jagd nach jenem weißen Wal ist, welcher ihn einst zum Krüppel machte. Eine Hass-Liebe, anders kann man Melvilles Roman nicht nennen. Wer seitenlange detaillierte Beschreibungen vom Leben auf einem Walfänger übersteht und im Klang und Rhythmus der Sprache Schönheit entdeckt, der schaut am Ende hinter nichts anderes als den Vorhang namens Leben.
Jules Verne: In 80 Tagen um die Welt (1872)
Der Franzose Jules Verne bescherte dem Abenteuerroman fantastische neue Ziele: zum Mittelpunkt der Erde, auf den Mond oder zwanzigtausend Meilen unter das Meer. Die Geschichte des wohlhabenden Fortschritts-Enthusiasten Phileas Fogg, der wettet, die Erde dank moderner Transportmittel in nur 80 Tagen umrunden zu können, bedarf keiner Elemente der Science-Fiction, um Hochspannung zu erzeugen. Auch in Zeiten unbegrenzter Mobilität noch ein Lesegenuss.
Karl May: Der Schatz im Silbersee (1894)
Es hat alle Elemente einer Räuberpistole mit Wildwest-Aroma, und doch ist Mays Jugendbuch nicht als Trivialroman zu verachten. Der gebürtige Sachse und geistiger Vater Winnetous erzählt von Trappern, Zugüberfällen, Silberminen, Indianerschätzen und dem nicht ganz gewaltfreien Kampf zwischen Gut und Böse. Als Autor von Abenteuergeschichten war May nicht nur einer der produktivsten des Genres, ein Bericht der UNESCO bestätigt auch seinen Status als einer der am häufigsten übersetzten deutschen Schriftsteller.
Joseph Conrad: Herz der Finsternis (1899)
Die Sehnsucht nach dem Unbekannten ist es, die den Seemann Marlow ins Herz Afrikas treibt, in die Tiefen des kolonialisierten Kongo. Doch je tiefer er sich in den Dschungel vorwagt, desto klarer wird: Es ist eine Reise in die Abgründe des Bösen und der menschlichen Seele. "The horror! The horror!", lautet die berühmte eindringliche Zeile, die Francis Ford Coppola in "Apocalypse Now" zitiert; sein Antikriegs-Drama war stark von Conrads "Herz der Finsternis" geprägt.
Jack London: Ruf der Wildnis (1903)
Aus der Sicht eines Schlittenhundes schildert Jack London den Goldrausch zu Beginn des 20. Jahrhunderts in Alaska - ein stilistischer Geniestreich. Im Gegensatz zur zähen Herausforderung einer "Moby Dick"-Lektüre will man dieses Buch kaum wieder aus der Hand legen, so spannend und plastisch erzählt es vom harten Leben in der Kälte. Ob bei Twain oder bei London: Zivilisationskritik wird hier in Hinwendung zur Natur geübt, in der Wiedererweckung der Urinstinkte - ob beim domestizierten Wolf oder beim Waisenkind.
Antoine de Saint-Exupéry: Wind, Sand und Sterne (1939)
"Vollkommenheit entsteht offensichtlich nicht dann, wenn man nichts mehr hinzuzufügen hat, sondern wenn man nichts mehr wegnehmen kann." Dieses Buch ist Reisebericht, Poesie und Philosophie zugleich. Es beruht auf den Erlebnissen des Piloten und Abenteurers Saint-Exupéry und wurde mit dem "Grand Prix du Roman" ausgezeichnet. Der französische Autor, der für seine Erzählung "Der kleine Prinz" weltberühmt ist, stürzte 1935 über der Sahara ab. Während die Hoffnung auf ein Überleben in der Wüste schwindet, wachsen in Saint-Exupéry Gedanken über den Sinn des Lebens und wie man es führen sollte.
Paul Theroux: Moskito-Küste (1981)
Der 14-jährige Charlie wandert mit seiner Familie nach Honduras aus. Die Aussteiger suchen in der Wildnis nach dem einfachen Leben in Harmonie mit der Natur. Vor allem Vater Allie, ein genialer Erfinder, ist enttäuscht von der amerikanischen Gesellschaft. Doch der Traum vom besseren Dasein im Dschungel ist nur von kurzer Dauer. Theroux erklärte in einem Interview, seine Vaterfigur (Allie) sei von Huckleberry Finns Papa inspiriert, einem weltfremden Trinker und Vagabunden. Es scheint, als habe jeder moderne Reiseliterat Twain gelesen.
Wolfgang Herrndorf: Tschik (2010)
Mit diesem Roman feierte Wolfgang Herrndorf (1965 – 2013), früherer Autor des Satiremagazins "Titanic", in Deutschland seinen schriftstellerischen Durchbruch. Kritiker lobten Herrndorfs Coming-of-Age-Geschichte von Maik und Tschik, die in einem alten Lada den "Wilden Osten" erkunden, und zogen den naheliegenden Vergleich zu Mark Twains Helden Tom (Sawyer) und Huck. © Glutamat
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