TikTok hat es geschafft, dass sich junge Menschen wieder für Bücher begeistern. Aber wie konnte es passieren, dass dort plötzlich literarische Werke begeistert rezensiert und geteilt werden? Wir erklären das Phänomen BookTok.

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Eine junge Frau hält ein Buch in der Hand. Sie sitzt unter ihrer Lichterkette auf ihrem Bett. Plötzlich schaut sie an ihrem Buch vorbei, geradeaus in die Kamera, wirft ihren Kopf zurück und fängt an zu weinen. Auf diese Weise vermittelt sie die überwältigende Wirkung des Buches.

Das Video hat mittlerweile mehr als 2 Millionen Aufrufe. Dies ist nur ein kleiner Einblick in die Welt von BookTok. Doch was verbirgt sich eigentlich hinter diesem Phänomen?

BookTok ist der Bereich auf TikTok, der sich ausschließlich mit Büchern und der Inszenierung des Lesens befasst. Unter dem Hashtag #BookTok werden aktuell über 28 Millionen Beiträge gelistet. Dort wird rezensiert, diskutiert, dramatisiert und heiß geliebt.

Dabei handelt es sich schon lange nicht mehr um eine kleine Nische der App, sondern eine gewinnbringende Bücher-Bubble, die vorwiegend von der Generation Z erschaffen wurde. Im Online-Shop der Buchhandelskette "Thalia" steht BookTok an erster Stelle in der Kategorie Bücher. Auch im stationären Buchhandel hat sich der BookTok-Aufsteller längst zu Fantasy und Bestsellern gesellt.

TikTok erlebt eine Art intellektuellen Aufschwung

Durch seine leidenschaftliche Bücher-Community erlebt TikTok also eine Art intellektuellen Aufschwung. Die Community schloss sich im Lockdown zusammen und wurde immer größer. Kommentare wie "Hätte ich vorher gewusst, wie cool Bücher sind, hätte ich in der Schule mit mehr Begeisterung gelesen", begeistern heute sicherlich einige Pädagogen.

Frankfurter Buchmesse

  • Im Rahmen der Frankfurter Buchmesse 2020 präsentierte die GfK Daten zum Mediennutzungs- und Kaufverhalten. In der Altersgruppe 10–19 lasen fast ein Drittel (32 Prozent) häufiger als vor der Pandemie, während in der Altersgruppe 20–29 mehr als ein Viertel (26 Prozent) vermehrt zum Buch griffen.

Zuerst eroberten New-Adult-Bücher die App. An erster Stelle stand dabei das wohl bekannteste BookTok-Buch "Nur Noch Ein Einziges Mal" von Colleen Hoover, welches aktuell sogar verfilmt wird. Inzwischen gesellten sich jedoch zahlreiche andere Buchgenres hinzu, darunter Krimis, Fantasy und japanische Literatur – die Vielfalt nimmt stetig zu. Neben Belletristik werden auch Sachbücher im Bereich Selbstoptimierung und Spiritualität von der Community geteilt.

Besonderes interessant: Auch Klassiker gehen auf BookTok viral. Unter dem Begriff "Dark Academika" teilen vorwiegend junge Frauen ihre Buchempfehlungen, die hauptsächlich alte literarische Werke, wie "Anna Karenina" von Leo Tolstoi oder "Stolz und Vorurteil" von Jane Austen beinhalten.

Dark Academika

  • Dark Academia ist ein in den sozialen Medien entstandener ästhetischer Stil, der seine Inspiration aus einer romantischen Betrachtung des klassischen Mode- und Einrichtungsbilds englischer Eliteuniversitäten bezieht.

Wer einmal den Algorithmus des Bücheruniversums erobert hat, bekommt neben Buchempfehlungen und begeisternden Rezensionen auch regelmäßig Kafka- oder Dostojewski-Zitate ausgespielt. Die Ästhetik spielt dabei eine große Rolle: Zitate werden auf romantische Hintergründe gelegt, die Buchrezensionen werden aufwendig geschnitten und beschriftet.

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Bookfluencerinnen wie Valentina Vapaux, die selbst "Kreatives Schreiben" an der Uni Heidelberg studiert und Bestseller-Autorin ist, schaffen es, ihre Community mit Emotionen von den Büchern zu begeistern. So erzählt Vapaux ihren 84.000 Followern von Gefühlsausbrüchen auf Lesungen oder herzzerreißenden Leseerlebnissen.

Im nächsten Moment nimmt sie ihre Zuschauerinnen mit, wenn sie an ihrem eigenen Roman oder einem Uni-Projekt arbeitet. "We love a intellectual queen" schreiben ihre Fans unter die Videos. "Du bist ein absolutes Vorbild", feiern sie die junge Bookfluencerin.

Kurze BookTok-Videos statt ellenlange Rezensionen

BookTok umgeht das stundenlange Lesen von langatmigen Buchrezensionen und widmet sich eher kurzen, gebündelten Informationen, die circa 15 Sekunden Zeit der Überzeugung bieten. Rubriken reichen von "Bücher für Menschen mit ADHS" bis zu "Bücher für Menschen, die mit dem Lesen anfangen möchten" hin zu: "Bücher für Menschen, die in einem toxischen Elternhaus aufgewachsen sind."

Hat der Algorithmus einmal herausgefunden, was man liest, spuckt er das aus, was man zu brauchen scheint. Und so switchen die Buchbegeisterten zwischen der Notizen-App, um sich die ständig neuen Empfehlungen aufzuschreiben, und TikTok, dem Ort, an dem sie die Inspiration finden. In dem kleinen TikTok-Zeitfenster bleibt nicht viel Platz für Komplexität. Jedoch ausreichend, um mit kurzen Worten, schönen Covern und Mimik andere Menschen fürs Lesen zu begeistern.

Auch die Buchhandlungen lieben BookTok

Besonders Buchhandlungen und Verlage dürften sich über die literarische Entwicklung auf TikTok freuen. Denn BookTok ist schon lange keine bloße Internet-Bubble mehr, sondern auch ein gewinnbringender Einfluss für die Buchindustrie.

Auf den Buchmessen in Leipzig und Frankfurt werden seit 2022 laut "Börsenblatt" BookTok-Bühnen eröffnet und stark von der Generation Z frequentiert. Zudem nutzen Buchhändler die App für das eigene Marketing und erstellen unterhaltenden Content, mit dem sie genau das Herz der Community treffen.

Kritik und Kontroversen

Die Kritik an TikTok dreht sich hauptsächlich um den vermeintlichen Mangel an inhaltlicher Tiefe. Langjährige Literaturkritiker fühlen sich durch die BookTok-Community in ihrer literarischen Wertschätzung beleidigt und schreiben lange Rezensionen zu den Lieblingsbüchern der BookTok-Community.

Einige meinen, dass die Indie-Autorinnen wie Colleen Hoover und andere unabhängige Schriftstellerinnen keine echte Literatur darstellen und sogar das literarische Schaffen beeinträchtigen könnte. Insbesondere die Leichtigkeit der Literaturinhalte, die Verwendung von Klischees in den Handlungen, der als wenig anspruchsvoll empfundene Schreibstil sowie die finanzielle Fülle der Schriftstellerinnen sind Gegenstand intensiver Kritik.

Doch die Community lässt sich davon nicht beirren. Schließlich lässt sich schwer kritisieren, wenn junge Menschen eine solche Begeisterung für Bücher zeigen. Über die App erhalten sie Empfehlungen aus verschiedenen Teilen der Welt, teilen ihre eigenen Erfahrungen und Meinungen und finden Gleichgesinnte, mit denen sie sich stundenlang über ihre Lieblingsszenen aus Büchern austauschen können. Und wer hätte schon gedacht, dass Franz Kafka es auf TikTok schafft?

Verwendete Quellen

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