- Mit "Age of Empires IV" will Microsoft weiter und wieder Strategie-Geschichte schreiben.
- Aber wie nah am Original ist der vierte Teil? Und wie wagemutig geht Relic Entertainment neue Wege?
- Der Test zeigt: Teil 4 huldigt dem Kult um die Reihe und geht nur dezent neue Wege der Modernisierung.
Das Imperium schlägt zurück: Im Oktober 1997 etablierte sich "Age of Empires" als Echzeitstrategie-Spiel mit Kultpotenzial, der Nachfolger gilt bis heute als einer der besten Genre-Vertreter überhaupt.
Über zwei Dekaden und zahlreiche HD-Remakes aller drei bislang veröffentlichten Teile später macht sich Relic Entertainment (bekannt für das Weltkriegsspektakel "Company of Heroes") zur Aufgabe, der Realtime-Strategy-Legende neues Leben einzuhauchen - und dem gesamten Genre gleich mit. Stellt sich nur die Frage, ob das ambitionierte Vorhaben gelingt, Spieler der ersten Stunde ebenso zu beglücken wie Neulinge, die zurecht moderne Features erwarten.
Alles wie früher, oder?
Rohstoffe sammeln, die eigene Basis ausbauen, forschen, Truppen ausheben und epische Schlachten schlagen - von der feinen Verzahnung wirtschaftlicher Kreisläufe mit militärischem Taktieren lebt die "Age of Empires"-Reihe seit ihren Anfängen.
Daran hat Relic Entertainment in Kooperation mit Microsofts Studio World's Edge auch beim vierten Teil nichts geändert. Im Grunde spielt sich der neue Ableger immer noch so wie "Age of Empires 2", was wahrlich als Kompliment zu verstehen ist. Man managt also immer noch jeden einzelnen Arbeiter - und kommandiert ganze Armeen im Verbund. Immerhin fügte man Gameplay-Elemente hinzu, die dem taktischen Vorgehen dienen - beispielsweise, wenn sich die Truppen im Wald verstecken, um das Moment der Überraschung zu nutzen.
Egal, für welche der acht Nationen man sich auch entscheidet: Nahrung, Holz, Gold und Stein waren, sind und bleiben die Grundbausteine für virtuelle Imperien. Auch das bekannte Stein-Schere-Papier-Prinzip in den Schlachten hat seine eherne Gültigkeit beibehalten. Sprich: Speerträger bringen berittene Einheiten schnell zu Fall, die wiederum Bogenschützen den Garaus machen, welche eine Bedrohung für Fußsoldaten darstellen.
Je weiter Einsätze und die darin verwickelten Zivilisationen durch Forschung voranschreiten, desto wichtiger werden taktische Feinheiten wie Formationen und Gruppierungen, Positionen im Gelände (oder auf Befestigungsmauern) und die (auch durch Forschung freischaltbaren) Sonderfähigkeiten der Standard- und Spezialtruppen, die jedes Volk besitzt.
Die nötigen Tastatur-Shortcuts sollte man übrigens im Effeff beherrschen, andernfalls droht bereits auf dem mittleren Schwierigkeitsgrad das eine oder andere Waterloo. Das Zünglein an der Waage können auch Anführer wie der normannische Herzog Wilhelm und andere historische Lichtgestalten sein. Sie verfügen über Talente, die unter anderem das Kampftempo umstehender Einheiten eine Zeitlang erhöhen oder angeschlagene Gefolgsleute heilen.
Um all das dem Spieler von damals und heute schonend beizubringen, hat Relic in den vier Einzelspieler-Kampagnen ein ausführliches Tutorial integriert. Dann klappt's auch mit der Eroberung der mittelalterlichen Welt.
Gibt's gar keine neuen Elemente?
Apropos Schulungsauftrag: In einem Punkt unterscheidet sich "Age of Empires IV" deutlich von den Vorgängern: Realfilm-Elemente und Spielgrafik werden in der Einzelspieler-Kampagne zu einer Art digitalem Geschichtsunterricht und Historien-Dokumentation über die größten Schlachten zwischen 1066 und 1453 vermengt.
Eine Erzählerin stellt vor jeder der rund 35 Missionen den historischen Kontext dar, den Spieler zum einen als Atmosphäre aufsaugen, und der zum anderen der Entscheidungsfindung auf dem Schlachtfeld dienlich sein kann. Nach dem Krieg ist vor dem Krieg: Ist die interaktive Schlacht vorbei, gibt es eine Nacherzählung, welche Folgen die eigenen Entscheidungen hatten. Geschichte wird so neu geschrieben.
Erzählt werden die vier Kampagnen wie ein Roman in Kapiteln. Los geht es mit Harald II., dem König der Angelsachsen im England des Jahres 1066, der sich mit der normannischen Invasion herumschlagen darf. Später wechselt man zu den Franzosen im Hundertjährigen Krieg, zu den Russen, zum Sultanat von Delhi und zu den Mongolen unter der Führung von Dschingis Khan, der die Chinesische Mauer einreißt - in Teilen zumindest.
Trotz aller gebotener Historie - es mangelt an einer Geschichte mit Anfang und Ende, rotem Faden, Helden und Schurken. Stattdessen gibt's wie bei ARTE und dem History Channel jede Menge Infos in Form aufwendig produzierter, hochauflösender Videos oder Animationen darüber, wer Kaiserin Mathilda war, wie weiland Jagdfalken transportiert wurden, wie viele Menschen zum Spannen einer Armbrust benötigt wurden, wie Kettenhemden entstanden sind oder wie man früher Hinterhalte legte. Spannend - ja, packend - eher nicht.
Grelles Mittelalter
Auf den blühenden Wiesen grasen Rehe. Zwischen den Bauernhäusern, die zur Erhöhung des Einheitenlimits dienen, entdeckt man bei genauerem Hinsehen dekorative Zäunchen und Blumenkästen. Und auf den Marktplätzen herrscht reger Betrieb. "Age of Empires IV" hat gewiss schöne Seiten. Ein optisches Feuerwerk ist es trotz feiner Details, schimmernder Wasserdarstellung und 4K-Auflösung allerdings nicht - im Gegenteil. Die Grafik wirkt etwas aus der Zeit gefallen, überfordert dafür aber selbst betagte Rechner nicht.
Zudem beklagte im Vorfeld der Veröffentlichung so manch einer die grellen Farben und den etwas comic-haften Look des Spiels. Doch die etwas verschobenen Proportionen zwischen eher schlicht gehaltenen Einheiten, Waffen und Gebäuden sind allein der Übersicht und der Spielbarkeit geschuldet.
Unbestreitbar nervig: Die künstliche Intelligenz (KI) der Truppen lässt wie früher mitunter zu wünschen übrig. Da laufen Speerträger blindlings an den zu attackierenden Reitern vorbei - oder wollen sich allesamt nur auf den einen feindlichen Ritter stützen, den man mit der Maustaste auserkoren hatte. Gleichzeitig muss man nicht selten die eigenen Einheiten per Tastendruck zum Stillstand verdonnern, damit diese - einmal durch Pfeilbeschuss der Belagerer gereizt - nicht ihren Posten auf der Stadtmauer verlassen und blindlings (und allein) ins Verderben laufen.
Multiplayer-Modus macht Tempo
Dass die Vorgänger in erster Linie nicht wegen ihrer Kampagnen, sondern wegen des Mehrspielermodus eine außerordentliche Langlebigkeit bewiesen, war auch den "Age of Empires IV"-Machern klar. Entsprechend gut haben sie ihre Hausaufgaben in diesem Bereich gemacht. Die deutlich hektischeren Online-Geplänkel haben noch dieselbe Anziehungskraft wie einst, als man nächtelang mit Freunden im Keller bei einer - Achtung - LAN-Party saß und mit Tempo den Ausbau der eigenen Zivilisation forcierte.
Die bislang "nur" acht vorhandenen Völker (weitere dürften per Update nachgereicht werden) unterscheiden sich zum Glück so deutlich in ihrer Spielweise, dass hier nicht allzu schnell Langeweile aufkommen dürfte.
Übrigens: Für die Online-Duelle im Multiplayer-Modus ist der Computer ein mehr als dankbarer Sparrings-Partner. Bereits auf einfachem Schwierigkeitsgrad ist es eine echte Herausforderung, Schritt zu halten und nicht überrannt zu werden.
Fazit
"Age of Empires IV" gelingt das nahezu Unmögliche: Es tritt im Guten (wie auch im Schlechten) das Erbe der Reihe an und beweist eindrucksvoll, dass das Genre der Echtzeitstrategie noch am Leben ist. Jedenfalls zockten am Startwochenende allein bei Steam fast 80.000 Nutzer gleichzeitig den Titel. Nostalgiker werden jedenfalls schnell Feuer und Flamme für den neuerlichen Eroberungsfeldzug durchs Mittelalter sein. Das Beste jedoch: Das Spiel ist vom Start weg kostenlos in Microsofts Game Pass enthalten.
(tsch) © 1&1 Mail & Media/teleschau
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