Nach zwölf Jahren feiert das vielleicht ikonischste "Call of Duty" ein Comeback: Das "Modern Warfare"-Reboot will mit einer dramatisch aufgeladenen Singleplayer-Kampagne wie ein interaktiver Kriegsfilm wirken und sorgt mit grenzwertigen Szenen - wieder einmal - für jede Menge Gesprächsstoff.

Eine Kritik
von Robert Bannert

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Mit dem vierten "Call of Duty" hat die Shooter-Fabrik Activision einen Meilenstein gesetzt: Um dem festgefahrenen Weltkriegs-Szenario zu entkommen, verlegte das Studio den Schauplatz mit "Modern Warfare" vom frühen 20. auf den Anfang des 21. Jahrhunderts. Anstelle von archaischem Kriegsgerät gab die Waffenkammer jede Menge Hi-Tech-Gerät her - und statt Nazis waren es diesmal Terroristen, die den Spieler auf Trab hielten, während grenzwertige Szenen wie die Sprengung einer Atombombe für Gesprächsstoff in den Medien sorgten.

Die vermutlich heikelste Sequenz der gesamten Serien-Historie - ein durch den Spieler mit-ausgeführtes Massaker unter Zivilisten auf einem Moskauer Flughafen - hob sich Entwickler Infinity Ward allerdings für das zweite "Modern Warfare" auf.

"Call of Duty: Modern Warfare": Provokation hat Methode

Vorweg: Der Methode "Polarisieren und provozieren" ist das Studio bis heute treu geblieben. Nachdem Activision den sonst "Call of Duty"-typischen Single-Player-Modus im letzten Jahr zugunsten von einer Battle-Royale-Ballerei gleich komplett ausgelassen hatte, legte man im diesjährigen Reboot von "Modern Warfare" den Fokus wieder auf großes Ego-Action-Kino.

Die gewohnt filmisch präsentierte und mit gerade mal sechs Stunden knackig kurze Kampagne orientiert sich dafür lose an den Ereignissen des ursprünglichen "Modern Warfare": Während sich Fans über ein Wiedersehen mit bekannten Gesichtern wie dem bärtigen Captain Price freuen, gibt es einmal mehr Schock-Momente zu sehen, die an die Nieren gehen und über die man wochenlang kontrovers diskutieren wird.

Willkommen in Urzikstan

Die Voraussetzungen für sich im Wüstensand auftürmende Leichenberge und ein paar handfeste Kriegsverbrechen liefert das im Mittleren Osten verortete Urzikstan - ein fiktives Miniatur-Land, das außerdem im Einflussbereich der ehemaligen Sowjetunion liegt und um das sich deshalb jede Menge Machtblöcke zanken. Amerikaner, Briten, die Angehörigen anderer arabischer Nationen und natürlich Russland, für dessen bitterböse Darstellung Infinity Ward besonders tief in die bestialische Inszenierungs-Trickkiste greift, haben alle den Finger drauf und wecken damit jede Menge rebellische Aktivitäten.

Um die Drahtzieher eines Giftgasanschlags auf London Dingfest zu machen und darüber den Ausbruch eines Dritten Weltkriegs zu verhindern, stürzt sich der Spieler in die staubigen Straßen, Wüsten und Untergrund-Labyrinthe der fast vollständig ausgebombten Nation - außerdem stehen Kurz-Trips nach England und Russland auf dem Reiseplan.

Während Szenen wie das Erhängen von Rebellen auf offener Straßen oder ein Massaker in der US-Botschaft des Landes schon früh für Entsetzen sorgen, hebt sich Infinity-Ward die schockierendsten Momente für das letzte Spieldrittel auf.

Hier stolpert der Gamer in einer bedrückenden Rückblende in der Rolle eines einheimischen Mädchens durch ihren von Giftgas vernebelten Heimatort, während sie hilflos dabei zusehen muss, wie Freunde und Familie von den Russen ermordet werden. Nicht umsonst hat sich PlayStation-Hersteller Sony dafür entschieden, die PS4-Version des Spiels nicht im russischen Online-Store anzubieten: Die Darstellung von Europas großem Nachbarn birgt ohne Frage Zündstoff.

Kriegskritisch oder kriegsversessen?

Obwohl Infinity Wards Autoren die Chance versäumen, das Gezeigte am Ende kritisch zu reflektieren, schafft die ebenso schonungslose wie eindrückliche Inszenierung eines auf jeden Fall: Sie führt dem Spieler die Grausamkeit von Ereignissen so unmittelbar vor Augen, die nur wenige Flugstunden von uns entfernt längst zum Alltag gehören.

Durch brachialen Heimkino-Sound, einprägsame Bilder und realistischen Grafiken rüttelt "Modern Warfare" den Spieler so brutal wach, dass ihm die "Hurra, Treffer!"-Rufe im Halse stecken bleiben. So verwundert es kaum, dass "Modern Warfare" mit angenehm wuchtigem Waffen-Feedback und präziser Spielmechanik zwar auch als Ego-Shooter einiges auf dem Kasten hat, das pure Gunplay aber schnell hinter der Wucht der Bilder zurückbleibt.

Obwohl sich Infinity Ward sichtlich Mühe gibt, die geradezu klassisch-geradlinige Schießbude spielerisch aufzulockern: Mal schleicht der Spieler durch feindliche Linien, dann wieder lotst er mithilfe von Kameras und Funk eine Kollegin durch die von Gegnern belagerte US-Botschaft oder Fluggeräte in angreifende Hubschrauber. Ein echtes Highlight: die Nachteinsätze, die besonders intensiv sind. Vermutlich macht das nicht jedem Spieler Spaß, aber für Abwechslung sorgt das in den 14 Missionen allemal.

Gemeinsam unterwegs

Wer dagegen besonders viel Wert auf Spielmechanik legt, der tobt sich ohnehin lieber in den verschiedenen Multiplayer-Modi aus: Hier bietet Infinity Ward auf den ersten Blick Altbewährtes, hat dabei aber die Spieler-Anzahl spürbar nach oben geschraubt. So dürfen im "Deathmatch" neuerdings gleich 40 Gamer aufeinander losgehen - ein Experiment, das der Spielbalance nicht immer zuträglich ist.

Etwas besser funktioniert der Rudel-Zock im neuen Modus "Ground War", den die Entwickler erst einen Tag nach Veröffentlichung per Download nachgeliefert haben: Hier brennt die digitale Luft, während zwei Fronten aus je 32 Games-Gladiatoren das Feuer eröffnen. Solche Spieler-Mengen sind sonst die Disziplin von Electronic Arts' Konkurrenz-Serie "Battlefield". Offenbar will Activision den Vorsprung zum Konkurrenten weiter konsequent ausbauen. Den Spieler freut's - denn obwohl sich "Call of Duty" im Jahre 2019 die "Battle Royale"-Schlacht spart, fühlt sich das diesjährige Gesamtpaket dadurch angenehm rund an.

Mit dem "Modern Warfare"-Original oder der überragenden "WW2"-Kampagne von 2017 kann es allerdings nicht ganz gleichziehen. Schmerzhaft für PC- und Xbox-Besitzer: Der Multiplayer-Koop-Modus "Survival" ist vorerst PS4-exklusiv und soll erst in geraumer Zeit nachgeliefert werden.  © 1&1 Mail & Media/teleschau

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