Ernst Jandl, deutsches Liedgut, völkische Ideologie und ein Brandanschlag: Die Hessen kreuzten im "Tatort" mutig Weltanschauungsunterricht mit absurdem Humor. Das klappt ganz gut.
Was hat die Flüchtlingskrise aus Deutschland gemacht? Ein geschändetes Paradies, in dem immer mehr ausländische Kriminelle die Zahnlosigkeit des Rechtsstaats ausnutzen? Oder doch nur eine Nation fremdenfeindlicher Paranoiker?
Janneke (
Was ist geschehen?
Eine junge Friseurin ist elendig verbrannt. Jemand hatte in der Nacht einen Molotowcocktail in den Salon geschmissen. Wusste der Feuerteufel nicht, dass sich die Auszubildende im zugesperrten Geschäft befand? Oder war's ein gezielter Mord? Letzteres suggerierte eine Kollegin der getöteten Frau.
Vera Rüttger (
Doch die "Zeugin" entpuppte sich als reichlich befangen. Wollte die in rechten Kreisen verkehrende Frau den Schwarzafrikanern im Viertel die Tat anhängen?
Ergab die Story Sinn?
Als gesellschaftlicher Kommentar: unbedingt! Das Spannungsfeld von Fremdenhass und Willkommenskultur, von vermeintlicher Naivität und vermeintlicher Sorge ums Wohl der Nation wurde treffend umrissen. Angenehm, dass dies nicht übertrieben moralisierend geschah, sondern aufgelockert durch viele heitere, absurde Sequenzen.
Wie realistisch ging es zu?
Tatsächlich ist "Land in dieser Zeit" wieder ein HR-Krimi, der die Gemüter spalten dürfte - nicht nur inhaltlich, sondern auch stilistisch. An den komplett abgedrehten Big-Data-"Tatort: Wendehammer" vor drei Wochen reicht's zwar nicht ganz ran. Dennoch kostete der fleißige Regisseur Markus Imboden (drei "Tatort"-Erstsendungen binnen vier Sonntagen) die vielen skurrilen Drehbuchvorlagen weidlich aus.
Dass Ermittler und Zeugen urplötzlich im Kanon deutsches Liedgut schmetterten ("Auf der Mauer, auf der Lauer", "Froh zu sein bedarf es wenig") musste man einfach so hinnehmen. Ebenso, dass der neue Kripoleiter mit dem schönen Namen Fosco Cariddi (der Schweizer Bruno Cathomas ersetzt seinen Landsmann Roeland Wiesnekker) einmal anlasslos Ernst Jandls tragikomisches Lautgedicht "etude in f" vor den verdutzten Mitarbeitern inbrünstig rezitierte. Fahnfitzig!
Wie überzeugend waren die Ermittler?
Der bizarre Stil, der spätestens mit den letzten zwei Fällen Einzug beim Frankfurter "Tatort" gehalten hat, steht den beiden Ermittlerin ganz gut zu Gesicht. Wolfram Koch brilliert als Kommissar Brix vor allem in den kleinen, skurrilen Szenen - etwa wenn in seiner Bleibe gestrandete Flüchtlinge das Bad blockieren.
Margarita Broichs Anna Janneke hingegen ließ sich irgendwann zu einer moralischen Gardinenpredigt hinreißen: Unter den Mördern, die sie berufsmäßig überführe, seien alle Hautfarben vertreten. Unter den Vergewaltigern und den Kinderschändern auch. Wahre Worte.
Wie furchteinflößend war der Mörder?
Wenn man das nur wüsste ... Tatsächlich reiht sich "Land in dieser Zeit" in die übersichtliche Tradition jener "Tatorte" ein, in denen der Täter am Ende nicht überführt wird.
Der verheerende Brandanschlag konnte nicht aufgeklärt werden, der Flammentod der jungen Friseurin bleibt ungesühnt. Frustrierend, aber sicherlich keine Seltenheit im Alltag deutscher Kriminalpolizisten.
Darüber wird zu reden sein ...
Im Zentrum des Krimis aus der Feder dreier Autoren (Khyana el Bitar, Dörte Franke und Stephan Brüggenthies) stand mehr und mehr eine von Anna Brüggemann gespielte Juristin mit verquerem Gedankengut.
Die Ethnien dürfen sich nicht vermischen, dozierte jene Juliane Kronfels - so lehrten es die "Kongruenten". Die Kongru-was? Wir meinen: eine nicht sehr gut chiffrierte Anspielung auf die Identitäre Bewegung, jene rechtsextreme Spielart, die den Hass hinter einer intellektuellen Hipster-Fassade kredenzt.
Wie gut war der "Tatort"?
Die vielen ins Absurde rutschenden Szenen irritierten anfangs, ergaben aber im Verlauf 90 sonderbarer Krimiminuten immer mehr Sinn. In Anbetracht des tosenden Irrsinns auf Erden sind Ernsthaftigkeit und Empörung ja längst keine Allheilmittel. Ein skurriler Krimi, aber einer mit Haltung und guter Attitüde.
Wir vergeben eine glatte Zwei.
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