Das DFB-Team ist in der Vorrunde der Weltmeisterschaft ausgeschieden. Nach dem Spiel taten sich die Verantwortlichen schwer mit einer Analyse, doch die muss es in den kommenden Tagen und Wochen geben.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Justin Kraft sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

"Ich bin da ganz entspannt." Das war das Mantra in der Berichterstattung des "ZDF" vor dem entscheidenden Gruppenspiel der Deutschen gegen Südkorea. Tabea Kemme beispielsweise erklärte am Spielfeldrand gelassen, dass man nach dem Spiel gegen Kolumbien sowieso alles analysiert habe und jetzt den vollen Fokus für die letzte Partie habe.

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Die fünf Worte fielen bei ihr ebenso wie bei Expertin Kathrin Lehmann. Die Kommentatorinnen Josephine Henning und Claudia Neumann zeigten sich gegen Ende des 1:1 gegen Südkorea dementsprechend schockiert darüber, wie wenig Deutschland im Spiel nach vorne einfiel. Auch weit nach der Partie war die Rede davon, dass das Team ja wenigstens Moral bewiesen, sich gezeigt habe.

Doch war das wirklich so? Die DFB-Frauen umgibt seit ihrer Ankunft in Australien und Neuseeland, vor allem aber seit dem deutlichen 6:0-Auftaktsieg gegen Marokko eine Aura der Unantastbarkeit. Positive Stimmung, wenig öffentliche Selbstkritik – nicht mal nach dem verdienten 1:2 gegen Kolumbien wurden die Probleme klar angesprochen.

DFB-Team: Hinten und vorne ohne Linie

Eine Schwachstelle ist die Defensive, die vor allem auf den Außenbahnen extrem wackelig ist. Sie wurde dadurch nicht stabiler, dass Spielerinnen, die diese Position bereits gespielt haben, auf der Bank saßen oder gar nicht erst mitgereist sind.

Oder die Offensive, die derart auf Alexandra Popp fokussiert ist, dass irgendwann in der zweiten Halbzeit nur noch mit der Brechstange agiert wurde. Ein hoher Ball jagte den nächsten, entweder hinten aus dem Spielaufbau heraus, weil die Anspielstationen fehlten oder eben von der Außenbahn. Immer auf Popp, immer mit der Attitüde "jetzt rette uns doch bitte".

Beinahe wäre das gelungen. Einmal köpfte die Wolfsburgerin an die Latte, ein weiteres Mal stand sie beim vermeintlichen 2:1 knapp im Abseits. Verdient gewesen wäre das nicht. Deutschland präsentierte keine Lösungen, hatte keine Idee, wie die klug verteidigenden Südkoreanerinnen geknackt werden können.

Abschneiden bei den Weltmeisterschaften seit 1991 © dpa-infografik GmbH

Bittere Erkenntnis für das DFB-Team: Die WM ist nicht die EM

Ein Muster. Gegen Kolumbien lief es ähnlich, in zahlreichen Spielen in der Vorbereitung auf dieses Turnier ebenfalls. Die Weltmeisterschaft ist eben nicht die Europameisterschaft 2022. Damals konnte sich Deutschland in der Mehrzahl der Spiele darauf verlassen, dass der Gegner selbst Ballbesitz möchte. In der Gruppenphase waren das Dänemark und Spanien, gegen Finnland konnte man schließlich erleichtert aufspielen.

Im Viertelfinale hatte Deutschland gegen Österreich wiederum zu kämpfen, biss sich aber ins Halbfinale, wo mit Frankreich wieder ein Gegner wartete, der Räume anbot. Der vermeintlich schwere Weg liegt dem DFB-Team besser – weil die Last der Favoritenrolle nicht auf den Schultern zu tragen ist.

Klammert man diese erfolgreiche EM aber aus, ist die Gesamtentwicklung besorgniserregend. Am mangelnden Talent kann es nicht liegen. Zwar gibt es vor allem in der Defensive Positionen, die nicht mit Weltklassespielerinnen besetzt sind, doch offensiv verfügt der DFB über herausragende Fußballerinnen.

Martina Voss-Tecklenburg muss sich nach diesem Turnier einige Fragen gefallen lassen. Warum konnte dieses trotz Ausfällen hochkarätig besetzte Team nicht mehr Spielwitz, mehr Ideen zeigen? Expertin Lehmann argumentierte, dass es im Zeitalter der Detailanalysen zu viele vorgefertigte Lösungen gäbe – und zu wenig Straßenfußballerinnen.

Dem DFB-Team fehlt die Struktur

Die Spielerinnen würden zu selten eigene Entscheidungen treffen müssen. Entgegnen könnte man, dass das Problem umgekehrt gelagert ist. Die Spielerinnen müssen zu viele Entscheidungen treffen, weil sie im Schnitt zu lange am Ball sind. Das Freilaufverhalten im Mittelfeld war in allen drei Spielen nicht wirklich gut. Anspieloptionen blieben so in entscheidenden Situationen aus.

Straßenfußball sieht man durch Jule Brand, Klara Bühl oder auch durch die eingewechselte Sydney Lohmann. Spielerinnen, die gerne ins Eins-gegen-eins gehen. Was aber fehlt, sind Einbindung, Struktur und Unterstützung. Zu viele Spielerinnen verstecken sich, statt Bälle zu fordern. Zu wenig wirkt aufeinander abgestimmt.

Dementsprechend könnte es sein, dass die Spielerinnen nicht zu viele, sondern zu wenige vorgefertige Lösungen haben. Gegen Südkorea gipfelte das in einer zweiten Halbzeit, in der ständig Spielerinnen mit dem Kopf durch die Wand wollten, weil es keine Alternative gab.

Man muss sich beim DFB jetzt kritischer hinterfragen

Es verwundert daher auch nicht, dass die Spielerinnen ratlos auf die Geschehnisse reagierten, keine wirklichen Antworten liefern konnten. Hat sich das Team nach der erfolgreichen EM überschätzt?

Die zahlreichen Probleme konnten seitdem nicht behoben werden. Umso wichtiger wird es sein, jetzt in die Detailanalyse zu gehen, auch Schlüsselfiguren des Erfolgsteams vor einem Jahr zu hinterfragen. Voss-Tecklenburg hat nachvollziehbarerweise auf das vertraut, was beim vorherigen Turnier etabliert war. Und dabei vielleicht übersehen, dass es auch schon damals Anzeichen für Schwierigkeiten gab, die jetzt die K.-o.-Phase der WM gekostet haben.

In den nächsten Jahren muss der DFB beweisen, dass die Europameisterschaft keine positive Ausnahme war. Man muss raus aus der Komfortzone, die Probleme klar benennen. Der Zusammenhalt und der Teamgeist zeichnen die DFB-Frauen aus. Doch darüber hinaus braucht es offenbar etwas Reibung. Diese WM-Leistung ist in jedem Fall ein herber Rückschlag. Aber sie holt den DFB vielleicht zurück in die Realität.

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