- Eine Fahrerin mit der Vielseitigkeit Viktoria Rebensburgs fehlt dem DSV seit dem Karriereende der Olympiasiegerin Ende 2020.
- Rebensburg selbst hat aber eine potenzielle Nachfolgerin im Auge.
- Im exklusiven Interview mit unserer Redaktion schätzt die Eurosport-Expertin die deutschen Medaillenchancen bei der seit Montag laufenden Ski-WM ein, spricht über das Phänomen Mikaela Shiffrin und über die Schwierigkeit, während einer Live-Übertragung immer im richtigen Moment das Richtige zu sagen.
Frau
Viktoria Rebensburg: Es ist gar nicht so leicht, zur richtigen Zeit das Richtige zu sagen. Es ist schwieriger, als man glaubt. Man braucht einen Rhythmus und Erfahrung. Es ist wichtig, sich kurz zu fassen, um die Dinge auf den Punkt zu bringen. Als ich selbst aktiv war, habe ich selbst ganz wenig geschaut. Für mich ist es deshalb heute so spannend, die einzelnen Athletinnen und Athleten über die ganze Saison zu begleiten. Aus deren Aussagen, Gesichtsausdruck und Körpersprache lässt sich wahnsinnig viel herauslesen.
Wie nervig war es früher für Sie, oft gleich zum Interview zu müssen, wenn Ihr Puls noch gar nicht wieder unten war?
Manchmal musste es sehr schnell gehen, wenn die Sendezeit endete. Mir war nur immer wichtig, vorher eine Jacke anzuziehen, damit ich nicht friere. Dann war das kein Problem.
Sie hatten aber - egal, ob nach großem Triumph oder bitterer Niederlage - meist keine Zeit, das Rennen zu verarbeiten.
Das ist tatsächlich so. Deswegen verstehe ich beispielsweise Mikaela Shiffrins Reaktion nach ihrem 83. Weltcupsieg, ihrem Rekordsieg. Sie wusste noch gar nicht, was sie dazu sagen soll. Es kann sein, dass das viele Zuschauer nicht verstehen. Ich aber kann ihre Reaktion nachvollziehen. Große Siege zu begreifen und einzuordnen, hat bei mir oft Monate gedauert.
Und was kommt Ihnen aus Ihrer Karriere in der Rückschau heute eher in den Sinn? Die Triumphe oder die Niederlagen?
Da dominieren absolut die Erfolge. Ich durfte viele großartige Dinge in meiner Zeit als Rennfahrerin erleben. Ich habe viele Menschen kennengelernt, Orte auf der ganzen Welt gesehen. Ich habe viel für das Leben danach mitgenommen, Situationen, die mich geprägt haben. Ich bin dankbar dafür, dass ich mein Hobby zum Beruf machen konnte.
Was hat Sie damals besonders geprägt?
Ich habe als junger Mensch gelernt, meinen Tag zu gestalten und eigene Entscheidungen zu treffen. Ich ging damals auf ein Internat. Wie ich mich dort in einer kurzen Zeit persönlich weiterentwickelt habe, war erstaunlich. Im Weltcup musste ich mich dann vor anderen Menschen ausdrücken und ihnen meine Wünsche und Ansprüche vermitteln. Ich hatte schon als junge Fahrerin mein eigenes Team um mich herum. Einen eigenen Servicemann, einen eigenen Trainer, einen eigenen Physiotherapeuten und mein Management, da fühlt man sich schon früh wie eine Jung-Unternehmerin.
Sie gehören zu der Riege der ehemaligen DSV-Stars, die heute kommentieren. Wollte der DSV Sie nie als Trainerin haben?
Konkret kam diese Anfrage nie. Das hat auch seinen Grund. (grinst)
Welchen?
Die Beteiligten wissen, dass das für mich nicht infrage kommt. Sonst hätte ich auch sagen können, ich fahre weiter. Ich habe meine Karriere aus bestimmten Gründen beendet. Die Zeit meiner Karriere war sehr intensiv, und jetzt genieße ich die Zeit, daheim zu sein. Der Blumenstrauß des Lebens hat auch noch andere Blumen.
Gehört
Immer wieder mal, ja. Gerade, wenn sie herausragend fährt. Und ich habe mich auch bei ihr gemeldet, als es letztes Jahr bei den Olympischen Spielen in Peking bei ihr nicht lief. Das kann ich nachfühlen. Und über Social Media ist man auch nahe dran.
Haben Sie geglaubt, dass Shiffrin eine solche Karriere hinlegen und den Rekord an Weltcupsiegen brechen würde?
Ja und nein. Ja wegen ihrer außergewöhnlichen Fähigkeiten und den großen Erfolgen, die sie als sehr junge Athletin bereits eingefahren hat. Nein, weil es ein großer Kraftakt und eine unglaubliche Leistung ist, diese Konstanz über so viele Jahre zu zeigen. Es fehlen mir die Worte, diese Leistung angemessen zu beschreiben. Ich weiß, wie es ist, Favoritin zu sein. Es ist eine herausragende Leistung, dies Jahr für Jahr aufs Neue abzurufen. Die Anzahl ihrer Siege ist unglaublich. Mikaela hat als junge Athletin schon so dominiert im Slalom, dass sie alleine da bereits 52 Weltcupsiege hat. Dies in allen Disziplinen zusammengerechnet zu schaffen, ist normalerweise schon eine Meisterleistung.
Shiffrin hat vom Slalom aus den Schritt in die schnellen Disziplinen gemacht und ist längst auch dort eine Siegfahrerin. Das galt für Sie als ehemals beste deutsche Skiläuferin auch. Das fehlt aber vielen anderen Athletinnen. Warum?
Es ist eine Frage des Talents, vor allem aber ist das Mentale ein entscheidender Faktor. Viele Athletinnen und Athleten fahren im Training super. Aber der Wettkampf ist eine andere Hausnummer. Man muss dann performen, wenn es zählt.
Die Entscheidung, in allen Disziplinen an den Start zu gehen, bedeutet Terminstress, erhöht aber auch die Siegchancen. Wo ist denn im deutschen Team Ihre Nachfolgerin?
In den einzelnen Disziplinen haben unsere Mädels super Potenzial, um längerfristig Podestplatzierungen einzufahren. Nehmen wir Kira Weidle in der Abfahrt. Bei ihr muss die mentale Komponente passen. Sie muss sich wohlfühlen. Dazu gehört auch das Material. Dann ist ihr bei der WM zuzutrauen, ganz vorne reinzufahren. Im Slalom hat
Es fehlt aber im DSV die große Allrounderin, die überall antritt und gewinnen kann, wie früher beispielsweise eine Martina Ertl, Katja Seizinger, Maria Höfl-Riesch oder auch Sie.
Sehr gute Anlagen, in diese Richtung zu gehen, hat Emma Aicher. Sie ist aber noch sehr jung. Die Kunst ist, ihren Weg behutsam aufzubauen.
Rebensburg zu geringen Medaillenchancen im Riesenslalom: "Das ist nicht erst seit gestern so"
In Ihrer einstigen Paradedisziplin, im Riesenslalom, haben wir ausgerechnet die geringsten Medaillenaussichten bei der WM.
Das ist nicht erst seit gestern so. Dieses Problem ist bekannt. Selbst zu meiner Zeit war ich oft die einzige deutsche Fahrerin, die es in den zweiten Lauf geschafft hat. In erster Linie fehlt es am Nachwuchs.
Der Riesenslalom ist im alpinen Rennsport aber die Kerndisziplin, von der alles ausgeht. Es ist insofern verwunderlich, dass in dieser einstigen Paradedisziplin in Deutschland so ein Loch entsteht.
Das sehe ich auch so. Die Gründe dafür sind vielschichtig. Diese schwierige Frage kann aber sicherlich der Nachwuchschef im DSV besser beantworten, da er einen umfassenden Überblick bezüglich der Strukturen hat.
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Zurück zum Slalom, in dem Lena Dürr zu den Medaillenkandidatinnen bei der WM zählt. Mit 31 Jahren hat sie ihren ersten Weltcupsieg geholt. Sie ist einen weiten Weg gegangen. Zu Ihrer Zeit aber flog sie sogar vorübergehend aus dem DSV-Kader. Wie haben Sie Lena Dürr damals erlebt?
Das war für sie eine wahnsinnig schwierige Zeit. Sie musste plötzlich lernen, für sich selbst Verantwortung zu übernehmen und eigene Entscheidungen zu treffen, was gut für sie ist und was sie im Training braucht. So ist Lena auch persönlich nochmals gereift und das war - aus meiner Sicht - bei ihr letztendlich der Schlüssel zum Erfolg.
Und letzten Endes gewinnt oder verliert der Kopf das Rennen.
Das kommt dazu, und Lena hatte eine Phase, in der ein Rennen schwieriger war als das andere. Es ist Gift für das Selbstvertrauen, wenn sich die Spirale immer weiter nach unten dreht. Dann kam auch noch ein Materialwechsel hinzu. Umso beeindruckender ist, dass sie drangeblieben ist und immer an sich geglaubt hat. Das ist eine der schönsten Botschaften, die sie durch ihren Weltcupsieg vermittelt.
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Und im Slalomteam ist sie so etwas wie die "Mutter der Kompanie".
Aufgrund ihres Erfolgs und ihrer Erfahrung zieht sie die Jüngeren mit. Und in dem Team herrscht eine gute Stimmung. Das ist enorm wichtig.
Im Team der deutschen Abfahrer kämpft sich gerade Thomas Dreßen, der Kitzbühel-Sieger von 2018, nach einer langen Verletzungspause zurück an seine alte Form. Wozu ist er bei der WM in der Lage?
Er ist gut in die Saison gestartet und war happy, selbst nach Wengen. Auch, wenn das Ergebnis noch nicht das von außen erwartete war. Aber er fühlte sich gut. Und das ist für den Athleten das Wichtigste und die Grundlage für Erfolge. Er war lange weg und er hat nach wie vor körperliche Probleme. Wenn du immer wieder gezwungen bist, Trainingspausen einzulegen oder in einem reduzierten Umfang zu trainieren, dann hinterlässt das auch bei einem so mental starken Athleten wie Thomas Spuren. Wenn er aber wieder einen gewissen Rhythmus hat und in Teilabschnitten schnell ist, dann baut er sein Selbstvertrauen wieder auf und kommt Schritt für Schritt zurück an die absolute Spitze.
Weil ich die Frage auch Fritz Dopfer in unserem Interview gestellt habe: Wie empfanden Sie als Rennläuferin es, wenn Sie auf einem Kunstschneeband gefahren sind und drumherum gab es keine Winterlandschaft?
Für den Athleten liegt der Fokus ganz klar auf dem Rennen und auf dem, was man zu tun hat. Das Wetter und die Verhältnisse kann man als Athlet nicht beeinflussen. Daher bringt es mir für mein Rennen nichts, sich darüber aufzuregen. Als Hobbyskifahrerin habe ich natürlich viel mehr Spaß, wenn ringsherum Schnee liegt und man wirklich merkt, es gibt ein "Winter Wonderland". Es darf auch gern Powderschnee sein. Das habe ich als Aktive nicht so oft erlebt. Aber auch auf Kunstschnee fühlt sich Skifahren gut an.
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