• Ex-Biathlet Michael Rösch spricht im Exklusiv-Interview mit unserer Redaktion über deutschen Chancen bei der Heim-WM in Oberhof.
  • Dabei hängt aus Sicht des Olympiasiegers von 2006 viel vom ersten Rennen ab.
  • Dominator Johannes Thingnes Bö aus Norwegen kann laut Rösch "fast nur verlieren".

Mehr News zum Thema Wintersport

Herr Rösch, die Biathlon-Saison steuert auf Ihren Höhepunkt zu, die Weltmeisterschaft in Oberhof. Was erhoffen Sie sich von diesem Event?

Michael Rösch: Wenn ich am Morgen die Gardine öffne, soll immer schönes Wetter sein, so wie jetzt (lacht). Ich weiß aber nicht, ob das Wetter das zwei Wochen lang durchhält. Sonst wünsche ich mir eine tolle Stimmung und vielleicht schon eine deutsche Medaille zum Auftakt in der Mixed-Staffel. Dann ist alles möglich. Ich glaube, es wird eine super Weltmeisterschaft, für mich ist es auch die erste Heim-WM, leider nicht als Sportler. Jetzt bin ich als Begleiterscheinung dabei.

Wie bewerten Sie das deutsche Team für die Heim-WM?

Bei den Frauen sind Denise Herrmann-Wick und Vanessa Voigt die Führungsfiguren und bei den Männern sind dies Roman Rees sowie Benedikt Doll. Aber auch dahinter sehe ich das deutsche Team gut aufgestellt, auch wenn es für viele eine ganz neue Situation ist. Sie werden besonderen Druck verspüren, wenn sie am Start stehen, aber auch voller Vorfreude sein. Die bisherigen Ergebnisse in dieser Saison zeigen, dass durchaus Medaillen drin sind, denn man kann aus eigener Kraft aufs Podest laufen. In den Staffeln war man regelmäßig auf dem Podium. Um den Sieg mitzulaufen, wird allerdings vor allem bei den Männern schwer, angesichts der Stärke der norwegischen Mannschaft. Es darf auch nicht erwartet werden, dass in jedem Rennen eine Medaille eingefahren wird, denn es gehört auch eine Portion Glück dazu und am Tag X muss alles passen. Viel hängt vom ersten Rennen ab, wenn da eine Medaille gewonnen wird, entsteht eine Euphorie im und außerhalb des Teams. Dadurch könnte eine Erfolgswelle entstehen.

Warum wird der Druck für die DSV-Athleten in Oberhof ein anderer sein als möglicherweise für den Rest des Feldes?

Ich habe in den vergangenen Tagen einige Stimmen aus dem deutschen Lager gehört, wo von der Stimmung in Ruhpolding geschwärmt wurde. Jetzt ist es aber noch einmal eine Nummer größer, mit mehr Zuschauern und der Tatsache, dass es sich um eine WM handelt. Für die jungen Sportlerinnen und Sportler ist es auch die erste Weltmeisterschaft vor einer solchen Kulisse. Das erzeugt natürlich schon eine Menge Stress. Ihnen könnte es helfen, die entstehende Energie aufzusaugen und in positive Energie zu verwandeln. Das ist natürlich leichter gesagt als getan, aber sollten sie in einen Flow kommen, können sie auf einer Euphoriewelle reiten.

Rösch über Bö: "Sehr schwer, ihn zu schlagen"

Was spricht dagegen, dass Johannes Thingnes Bö der Superstar der WM wird?

Natürlich glauben viele, dass er jedes Rennen gewinnen wird, wobei er es bei den Staffeln nicht nur selbst in der Hand hat. Aber durch äußere Einflüsse, wie zum Beispiel den berüchtigten Oberhofer Nebel, kann es auch ihm passieren, dass er viele Fehler schießt. Das öffnet dann anderen Sportlern die Tür, wie bei Olympia 2018, als sich alles auf das Duell zwischen Bö und Martin Fourcade fokussierte und am Ende Arnd Peiffer Olympiasieger wurde. Es wird aber sehr schwer, ihn zu schlagen, da er im Laufen quasi unschlagbar ist und im Schießen sehr konstant unterwegs ist. Als Ex-Sportler finde ich seine Leistungen aber sehr faszinierend und würde ihm die Weltmeister-Titel gönnen. Er selber sagt aber auch, dass die Menschen erwarten, dass er jetzt "fällt". Er kann also fast nur verlieren, da seine Siege zur Selbstverständlichkeit geworden sind und beinahe schon erwartet werden.

Wie viel Prozent der Medaillen holen Norwegens Männer?

Das ist schwierig, aber nach dem bisherigen Saisonverlauf ist zu 99,9 Prozent klar, dass mindestens ein Norweger in jedem Rennen auf dem Podium stehen wird. Denn jeder Starter aus dem Team ist in der Lage eine Medaille zu gewinnen.

Wer wird bei den Frauen das Gesicht der WM?

Ich freue mich fast mehr auf die Frauen-Rennen als auf die der Männer. Allein im Sprint gab es fünf verschiedene Siegerinnen, das macht es unberechenbar. Es ist ein extrem ausgeglichenes Feld unter den Top 20. Es gibt dort keine Athletin, die sich in einer der beiden Teildisziplinen verschlechtert hat. Daher sind zahlreiche Athletinnen im Favoritenkreis neben Denise Herrmann-Wick, wie zum Beispiel das schwedische Team oder eine Marketa Davidova oder eine Lisa-Theresa Hauser. Aber auch die Italienerinnen Dorothea Wierer und Lisa Vitozzi sowie die Norwegerinnen Marte Olsbü Roiseland und Ingrid Landmark Tandrevold sind dort dabei.

Rösch liefert sich in Oberhof Duell mit Peiffer und Lesser

Wie sehr juckt es Sie, dort noch einmal am Start stehen zu könnnen?

Überhaupt nicht, weil ich absolut keine Form dafür habe. Wenn ich noch eine richtig gute Form gehabt hätte, wäre ich wahrscheinlich nicht zurückgetreten. Daher bin ich nicht traurig, ich finde es nur schade, dass ich in meiner aktiven Zeit immer eine Heim-WM verpasst habe und dieses Gefühl, vor eigenem Publikum eine WM zu laufen, nicht erleben durfte. Als kleine Entschädigung werde ich mir in der zweiten Woche mit Arnd Peiffer und Eric Lesser ein Duell an einem Anstieg auf der Strecke liefern, um dieses Gefühl zumindest ein bisschen aufsaugen zu können.

Wie werden Sie die WM verfolgen?

Ich werde die Weltmeisterschaft als Experte für verschiedene TV-Sender begleiten, zudem bin ich noch im Einsatz für einen Sponsor und arbeite im lokalen Organisationskomitee mit. Ich springe also überall rum und erlebe die Weltmeisterschaft hautnah mit.

Über die Person: Michael Rösch ist 2006 Olympiasieger mit der deutschen Biathlon-Staffel geworden. Der gebürtige Altenberger startete ab 2014 für Belgien und beendete 2019 seine Karriere. Inzwischen arbeitet der 39-Jährige als TV-Experte und begleitet in dieser Funktion auch die Biathlon-WM in Oberhof.
Interessiert Sie, wie unsere Redaktion arbeitet? In unserer Rubrik "So arbeitet die Redaktion" finden Sie unter anderem Informationen dazu, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte kommen. Unsere Berichterstattung findet in Übereinstimmung mit der Journalism Trust Initiative statt.
JTI zertifiziert JTI zertifiziert

"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.