Julia Görges erlebt ein Karrierehoch. Nach dem Turniersieg in Auckland ist sie als Weltranglistenzwölfte die neue deutsche Nummer eins, seit Mitte Oktober ist sie ungeschlagen. Bei den anstehenden Australian Open gilt sie daher als Geheimfavoritin. Daran war bis vor Kurzem noch nicht zu denken.

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Glaubt man den Eintragungen auf ihrer Homepage, sieht der perfekte Tag im Leben der Julia Görges so aus: Aufwachen zur Musik von Lieblingssängerin Rihanna, zum Frühstück ein Film mit den Lieblingsschauspielern Hugh Grant und Liam Neeson und im Anschluss ab nach Ruhpolding oder Antholz oder wo auch immer der Biathlon-Zirkus gerade Halt macht, um den Norwegischen Ex-Dominator Ole Einar Björndalen anzufeuern.

Um den Tag ausklingen zu lassen, werden dann noch ein paar Bälle mit Vorbild Martina Hingis geschlagen - in Australien, ihrem Traumreiseziel.

Auf dem Weg nach Australien - von Bad Oldesloe aus

Dort reist sie auch jetzt - um Bälle zu schlagen.

Kommende Woche starten in Melbourne die Australian Open und Görges ist nach 14. gewonnen Matches und drei Turniersiegen in Serie Deutschlands größte Titel-Hoffnung.

Bis vor Kurzem hätte man ihr einen Grand-Slam-Titel kaum zugetraut. Doch das hat sich geändert.

Mit dem Tennisspielen hat die mittlerweile 29-Jährige im Alter von fünf Jahren begonnen. Beim THC BW Bad Oldesloe, jenem Club ihrer Geburtsstadt, dem auch die Eltern angehörten.

Ihr Talent war schon in früh erkennbar, erste Erfolge kamen im Teenager-Alter.

Als Jugendliche wird sie unter anderem U14-Landesmeisterin in Schleswig-Holstein, im Alter von 17 Jahren holt sie denselben Titel bei den Frauen.

Im selben Jahr, 2005, taucht Görges zum ersten Mal in der WTA-Weltrangliste auf.

Ihre Anfänge im Profitennis macht die damals 17-Jährige hauptsächlich bei ITF-Turnieren innerhalb Deutschlands. Insgesamt sechs Titel holt sie.

Der steile Aufstieg

Görges qualifiziert sich mit 19 Jahren zum ersten Mal für ein WTA-Turnier. In Doha kommt sie durch eine Wildcard ins Hauptfeld und scheitert erst im Achtelfinale an der damaligen Nummer fünf der Welt, Swetlana Kusnezowa.

Es folgt eine Halbfinalteilnahme beim Turnier in Stockholm und das Grand-Slam-Debüt bei den US Open. Dort scheidet sie allerdings bereits in der ersten Runde gegen Justine Henin ausscheidet.

Görges schließt das Jahr 2007 als deutsche Vizemeisterin ab, ein Jahr später debütiert sie im Fed Cup.

Dann gelingt ihr auch der Einzug unter die besten 100 Tennisspielerinnen der Welt.

2010 geht es weiter steil bergauf. Ihre erste Top-50-Saison und ihr erster Sieg auf einem WTA-Turnier in Bad Gastein sind die Highlights des Jahres. Ein Jahr später siegt sie in Stuttgart und erreicht die Top 20.

Der Hype um Görges nimmt zu - auf Kosten der Leistungsfähigkeit. Ihre bis dahin makellose Karriere bekommt einen deutlich Knick.

Sechs schwere Jahre und der Kampf zurück

Die Schleswig-Holsteinerin verschwindet plötzlich im Mittelmaß, fällt in der Weltrangliste weit zurück, kurzzeitig sogar aus den Top 100.

Eine Verletzung an der Hand, die sie sich 2013 zuzieht, behindert sie über Monate. Die Erfolgserlebnisse bleiben aus, Selbstbewusstsein und Glaube an die eigene Stärke leiden. Die Folge ist Stagnation. Und die hält lange an.

Ende 2015 entscheidet sich Görges für einen Neuanfang. Nach sieben gemeinsamen Jahren erklärt sie die Zusammenarbeit mit Trainer Sascha Nensel für beendet und zieht nach Regensburg.

"Es war eine tolle Zeit. Jetzt sind wir beide der Meinung, einen neuen Weg einschlagen zu müssen“, sagt sie damals über die Trennung.

Der neue Mann an ihrer Seite ist Michael Geserer. Unter ihm spielt sie variabler, legt in Sachen Fitness zu und kann so ihr kraftvolles Spiel länger auf den Platz bringen. 400 Asse im vergangenen Jahr sind der Beweis.

"Physisch bin ich so gut drauf wie noch nie. Das Gesamtpaket stimmt einfach – die Athletik, das Spielerische und die Taktik", freut sich Görges am Ende der vergangenen Saison und fügte hinzu: "Das ist einfach eine andere Jule inzwischen."

Der Grund dafür sitzt in ihrer Box. "Ich kann es gar nicht fassen. Ich möchte vor allem meinem Team von Herzen danken. Wegen euch stehe ich hier und schaue auf ein Jahr mit zwei Turniersiegen zurück", sagt sie sichtlich bewegt nach dem Turniersieg in Zhuhai, China.

Über den gut sechsjährigen Kampf zurück in die Weltspitze spricht sie nüchtern und aufgeräumt: "Als Spielerin ist es manchmal nicht einfach, dem Entwicklungsprozess wirklich Zeit zu geben."

Die Frau der Stunde

Ende 2017 ist das sechsjährige Warten auf den nächsten Titel dann vorbei.

Auf den Turniersieg in Moskau (Finale gegen Daria Kasatkina) folgen Titel in Zhuhai (Finale gegen Coco Vandeweghe) und Auckland (Finale gegen Caroline Wozniacki).

Seit dem 16. Oktober 2017 hat sie kein Spiel mehr verloren. 14 Siege in Serie.

Das Ergebnis der jüngsten Erfolgsserie ist ein Karrierebestwert in der Weltrangliste. Görges klopft aktuell als Nummer zwölf an die Tür der besten zehn Spielerinnen der Welt und kann diese in Melbourne aufstoßen.

Bisher hat sie bei keinem der vier Majors (Australian Open, French Open, Wimbledon und US Open) das Viertelfinale erreichen können. Immer war spätestens in der Runde der besten 16 Schluss.

Doch in diesem Jahr haben sich die Vorzeichen geändert. Görges ist in der Form ihres Lebens und hat einen, auch für ihre Gegnerinnen, beängstigenden Lauf. Wenn sie diesen nutzt, wer weiß, was dann möglich ist?

Sie selber will vor dem ersten Saisonhighlight keine konkreten Ziele ausgeben: "Ich möchte einfach in Ruhe hart arbeiten und weiterhin mein Spiel entwickeln. Das ist mir eigentlich viel wichtiger."

Und wenn am Ende das nächste deutsche Australian-Open-Märchen steht, umso besser.

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