Alexander Zverev ist der beste deutsche Tennisspieler - und steckt dennoch in einer Dauerkrise. Nicht nur Boris Becker übt derzeit Kritik am Hamburger. Bei den Australian Open will Zverev es aber wieder wissen. Seine Form gibt allerdings wenig Anlass zur Hoffnung.

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Das Jahr begann für Alexander Zverev mit einer Enttäuschung. Oder besser gesagt: Es waren gleich drei Enttäuschungen. Beim ATP Cup in Brisbane verlor der 22-Jährige nämlich alle drei Spiele. Dabei ist es doch sein großer Wunsch gewesen, das schwierige Jahr 2019 hinter sich zu lassen und 2020 wieder durchzustarten.

Der 22-Jährige offenbarte gesundheitliche Probleme, die ihn beim ATP Cup in Brisbane beeinträchtigt hätten. "Ich war auch krank, ich war erkältet, ich habe Husten gehabt", sagte er. Auch seine Augen hätten ihm nach der Operation im Dezember noch Probleme bereitet.

Das vergangene Jahr war von vielen Baustellen abseits des Tennisplatzes geprägt. Es gab den Streit mit seinem ehemaligen Manager Patricio Apey, das Aus mit seiner Freundin Olga Sharypova und die Trennung von seinem Trainer Iven Lendl.

Die privaten Probleme wirkten sich negativ auf sein Spiel aus: Die ehemalige Nummer drei der Weltrangliste fiel auf Rang Sieben zurück, wo der gebürtige Hamburger noch immer steht.

Kein Kandidat für einen Grand-Slam-Sieg

Montag beginnen nun die Australian Open in Melbourne. Zverev schlägt Alarm. "Ich habe noch nie vor einem Grand Slam so schlecht gespielt", sagte er dem SID.

Im vergangenen Jahr gelangte Zverev ins Achtelfinale von Melbourne, scheiterte dann aber in drei Sätzen klar am Kanadier Milos Raonic. Bei fünf Teilnahmen erreichte er dort nie die Runde der besten Acht.

Überhaupt ist Zverev kein Spieler, der regelmäßig bei den Grand-Slam-Turnieren auftrumpft. Lediglich bei den French Open erreichte er in den vergangenen beiden Jahren jeweils das Viertelfinale – sonst nie.

Das hat offenbar Gründe. "Momentan ist Sascha (Spitzname von Alexander Zverev, Anm.d.Red.) für mich kein Kandidat für einen Grand-Slam-Turniersieg", sagte Tennis-Legende und TV-Experte Mats Wilander der Sport Bild. "Taktisch ist Sascha den Topspielern unterlegen. Er spielt zu passiv und zu wenig variabel."

Auch die deutsche Tennislegende Boris Becker übt Kritik. "Er ist irgendwo in einem dunklen Zimmer gefangen und sucht den Lichtschalter", sagte er der Frankfurter Allgemeinen Zeitung. "Er muss erkennen, dass er auf der falschen Straße ist."

Becker erinnerte aber auch daran, dass sich Zverev in die vergangenen French Open und US Open "reinbeißen konnte. Etwas Ähnliches erwarte ich von ihm auch jetzt wieder in Melbourne", sagte der als Experte für den TV-Sender Eurosport tätige Becker.

Der Vater ist der Trainer – eine schwierige Konstellation

Möglicherweise ist das Umfeld von Zverev ein Problem. Seitdem sich Zverev im vergangenen Sommer von seinem Trainer, der Tennis-Ikone Ivan Lendl, getrennt hat, wird er von seinem Vater trainiert. Eine Konstellation, die Becker als nicht ideal empfindet.

Becker empfiehlt Zverev, sich schnellstmöglich einen neuen Coach zu suchen. Seine Begründung: "Ich glaube, solange der Vater eine so dominante Rolle auf dem Trainingsplatz spielt, wird es letztendlich immer nach seinem Kopf gehen." Zverev allerdings lehnt einen Trainerwechsel ab. "Es liegt alles an mir", sagte Zverev.

Dabei scheint das Verhältnis zwischen Vater und Sohn angespannt zu sein. Davon konnte sich die Öffentlichkeit beim ATP Cup überzeugen, als Zverev mitten im Spiel seinen Vater in der Box lautstark anmeckerte. "Halt die Klappe, was zum Teufel redest du da", brüllte er ihm bei eingeschalteten Mikros entgegen: "Ich habe keinen Aufschlag mehr, und du erzählst mir irgendeinen Scheiß."

Die große Schwachstelle: Der Aufschlag

Tatsächlich entwickelt sich der Aufschlag zur großen Schwachstelle von Zverev. Beim ATP Cup unterliefen ihm in seinen drei Matches 31 Doppelfehler. Im Jahre 2019 waren es insgesamt fast 400 Doppelfehler. Das sind mehr als zweimal so viele wie noch im Jahr zuvor gewesen.

Es ist kaum vorstellbar, dass der beste deutsche Tennisspieler plötzlich das Aufschlagen verlernt hat. Das Problem dürfte vielmehr der Kopf sein. "Er kann mit seinen ganzen Emotionen nicht umgehen", glaubt Markus Hornig, der früher als Tennis-Profitrainer auf der ATP-Tour war.

sportschau.de sagte der Coach: "Bei Spielern wie Djokovic oder Federer sieht man zwischen den Ballwechseln nur wenig Emotionen, höchstens in Extremsituationen wie nach einem gewonnenen Breakball."

Zverev hingegen sei jemand, der nach verlorenen Ballwechseln mit sich hadert und sich von schlechten Schlägen herunterziehen lässt.

Zverev auf der Suche nach seinem Spiel

Für seinen Auftaktgegner, den auf Platz 76 stehenden Italiener Marco Cecchinato, dürfte die aktuelle Form noch genügen. Doch die Aufgaben werden schwieriger.

Die Top-Favoriten in Melbourne sind der siebenfache Turniersieger Novak Djokovic, die beiden Superstars Roger Federer und Rafael Nadal, der Aufsteiger Daniil Medvedev und der ATP-Finals-Sieger Stefanos Tsitsipas. Zverev ist eher in der Rolle des Underdogs.

"Ich muss ein Stück weit zu meinem Tennis zurückfinden und auch einen frischen Start haben", hatte Zverev zum Saisonstart 2020 gesagt. Bislang konnte er dieses Ziel nicht erreichen. Umso intensiver hat er sich auf die Australian Open vorbereitet:

"Ich habe hart gearbeitet. Ich habe in dieser Woche mehr trainiert als jeder andere, fünf, sechs, sieben Stunden täglich." Somit bleibt die Hoffnung, dass die Australian Open ein Neustart für ihn sein werden.


Quellen:

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