Der Anwalt Ingo Bott entwickelt Jugendschutzkonzepte für Vereine der Fußball-Bundesliga und hat einen Krimi-Roman über Missbrauch im Jugendfußball geschrieben. Im Interview spricht er über Spielerberater und Missbrauchsvorwürfe im Turnen. Er erklärt auch, worauf Eltern achten sollten.
Missbrauch im Sport ist ein ebenso aktuelles wie sensibles Thema, immer wieder sind Sportlerinnen und Sportler in den vergangenen Jahren mit ihren Erfahrungen an die Öffentlichkeit gegangen.
In den letzten Monaten haben mehrere ehemalige Leistungsturnerinnen Vorwürfe gegen den Deutschen Turner-Bund (DTB) erhoben. Ingo Bott kennt solche Fälle als Strafverteidiger aus seiner Berufspraxis. Der Anwalt ist mit seiner Kanzlei "Plan A" als Ombudsstelle im Sport tätig und entwickelt unter anderem Jugendschutzkonzepte für Vereine der Fußball-Bundesliga. Aber auch als Krimiautor hat sich der Anwalt mit dem Thema Missbrauch im Sport auseinandergesetzt.
Im Interview mit unserer Redaktion spricht Bott über Missbrauch im Fußball und die aktuellen Vorwürfe gegen den DTB. Außerdem erklärt er, worauf Eltern bei den Vereinen ihrer Kinder achten sollten.
Ingo Bott, Sie haben einen Krimi geschrieben, in dem es um Missbrauch im Fußball geht. Wie viel davon ist True Crime und wie viel ist Fiktion?
Ingo Bott: Der Krimi ist grundsätzlich Fiktion. Aber was an Missbrauchsgefahr dahintersteht, die Art und Weise der Über- und Unterordnungsverhältnisse, das ganze System "Profisport" ist ein Gefahrenfeld, das es im wahren Leben gibt. Das hat sicherlich einiges an Authentizität. Es geht um junge Spieler, die sich bewähren wollen, die sich beweisen wollen, die unter Druck stehen. Die versuchen, gefällig zu sein, und glauben, dass sie das auch müssen. Da kann man dann sowohl beim Spielerberater als auch in den Vereinen in Machtverhältnisse geraten, die zu Missbrauch führen können.
Ganz allgemein gefragt: Ist Missbrauch ein großes Problem im Jugendfußball?

Neben der Gefahr von physischen oder psychischen Übergriffen spielen etwa Persönlichkeitsrechte kaum mehr eine Rolle, wenn Jugendspieler wie eine Ware durch die Gegend geschoben werden. Diese Art des modernen Menschenhandels kommt auch in meinem Buch vor. Natürlich gibt es an der Stelle auch gute, engagierte, redliche Spielerberater. Aber es gibt auch solche Fälle, bei denen auch richtige Schäden entstehen, wenn minderjährige Spieler einfach verschoben und auch den eigenen Eltern geradezu entzogen werden.
Im Moment steht der Deutsche Turner-Bund (DTB) in der Kritik, unter anderem die ehemalige Spitzenturnerin Tabea Alt sprach in einem Instagram-Post davon, am Olympia-Stützpunkt Stuttgart "systematischen körperlichen und mentalen Missbrauch" erfahren zu haben. Ist Turnen eine Sportart, die besonders betroffen ist?
Jede Art von Sport enthält ein Grundrisiko. Es geht dabei um körperbetonte Tätigkeiten, bei denen zum Beispiel Nähe entsteht, wenn Übungen gezeigt werden. Dazu kommt, dass Trainer und Sportler sehr viel und sehr intensiv Zeit miteinander verbringen. Es ist dabei wichtig, dass klare Regeln nicht nur für den Sportplatz, sondern auch für das Miteinander bestehen. Außerdem muss es möglich sein, sich an jemanden zu wenden, wenn mal was ist. Dazu braucht es wirkungsvolle Schutzkonzepte und eine neutrale Ombudsstelle. Das ist meine Aufgabe als Anwalt. Zuletzt habe ich mich beispielsweise viel mit Kinder- und Jugendschutzkonzepten für die Bundesliga befasst. Als Autor habe ich parallel dazu mit "Pirlo - Doppeltes Spiel" ein Buch darüber geschrieben, das zeigt, was passieren kann, wenn genau diese Konzepte fehlen – so, wie es bisher leider im echten Leben noch häufig der Fall ist.
"Deshalb müssen junge Sportlerinnen und Sportler unbedingt wissen, was noch okay ist und was schon übergriffig ist."
Sie entwickeln Jugendschutzkonzepte für Vereine der Fußball-Bundesliga. Wie funktionieren diese?
Wichtig ist die Frage danach, wo es Risikobereiche gibt, wo Übergriffe passieren könnten. Dann gilt es, für diese Risikobereiche zu sensibilisieren, die Menschen zu schulen und ihnen zu sagen: Seid da bitte achtsam! Es ist wichtig, dass klar wird, wo die Grenzen sind. Als Anwalt ist es die Aufgabe, die Rechtslage im Blick zu behalten. Hier hat sich zum Beispiel seit der Kölner Silvesternacht 2015/16 einiges verändert. Das Konzept muss dann ganzheitlich so umgesetzt und mit Leben gefüllt werden, dass sich jeder darauf verlassen kann. Dazu gehört eine externe Stelle wie unsere Kanzlei, an die man sich wenden kann, falls doch etwas passiert oder auch, wenn man sich nicht ganz sicher ist, ob etwas wirklich in Ordnung war.
Hat ein solches Schutzkonzept beim DTB gefehlt?
Der DTB ist nicht mein Mandant. Der Fall ist daher schwer zu bewerten. Die Vorwürfe scheinen in die Richtung zu gehen, dass es Übergriffe gegeben haben soll und dafür niemand ansprechbar war. Anscheinend wussten die Betroffenen nicht, an wen man sich hätten wenden können oder was man hätten machen können. Es sind genau diese Fragen, um die es auch in meinem Roman geht. Was ist im Umgang noch okay, was ist noch normal? Was ist übergriffig? Wo sind die Grenzen? Als junge Spielerin oder als junger Spieler oder als Turnerin oder Turner will man gefallen. Man will die Unterstützung. Deshalb müssen junge Sportlerinnen und Sportler unbedingt wissen, was noch okay ist und was schon übergriffig ist. Und es muss auch bei den Betreuerinnen und Betreuern, bei den Trainerinnen und Trainern ankommen.
Worauf gilt es beim Erstellen solcher Konzepte zu achten?
Du kannst dich auf jeden Fall nicht als Jura-Quadratschädel hinstellen und sagen: So wird das jetzt gemacht, weil es eben im Gesetz steht. Ein sinnvolles Konzept muss so gestaltet sein und umgesetzt werden, dass man die Menschen erreicht und mitnimmt. Dazu muss es gemeinsam mit einem Verein und den dort tätigen Menschen erarbeitet werden, um zu erreichen, dass dann auch mit Überzeugung gelebt wird. Mein Job ist es dabei, den rechtlichen Rahmen zu vermitteln und dann dabei zu helfen, das Ganze umzusetzen.
Wie gut funktioniert das in der Praxis?
Es funktioniert gut. Natürlich gibt es aber auch Herausforderungen. Einerseits setzt man Selbstverständlichkeiten um. Dass Kinder und Jugendliche zu schützen sind, muss man nicht lange diskutieren. Hier sind die Vereine auch absolut motiviert. Die Frage ist eher, wie man jede Person im Verein mitnimmt, wie man so kommuniziert, dass allen alles klar ist und dass alle an einem Strang ziehen. Neben der klaren Rechtslage geht es dabei auch um die Struktur des Vereins selbst, also die Frage, wer sind wir, wer wollen wir sein und wie setzen wir Veränderungen um. Jeder Verein hat da seine Eigenheiten. Genau deswegen ist mein Job an der Stelle aber auch so spannend.
Wie beurteilen Sie die Entwicklung in diesem Bereich in den letzten Jahren?
Um mal ein bisschen Optimismus zu verbreiten: Wir leben in Bezug auf dieses Thema wirklich in einer guten Zeit, weil eben dieses Bewusstsein für Missbrauchsthemen da ist. Der professionelle Fußball wird oft zu Recht kritisiert. Wenn der Videoassistent-Referee in einem Spiel zum zehnten Mal eingreift, macht das wahrscheinlich die wenigsten glücklich. Was Konzepte und Schutz anbelangt, entwickelt sich aber vieles zum Guten. Die Deutsche Fußball Liga (DFL) hat Kinder- und Jugendschutzfragen beispielsweise sogar zu einem lizenzrelevanten Kriterium gemacht.
"Wichtig sind bei der Aufklärung immer Gespräche auf Augenhöhe mit den Sportlerinnen und Sportlern."
Wir sprechen bis jetzt von Bundesliga-Vereinen und Top-Talenten. Wie gehen Amateur-Vereine mit dem Thema Missbrauch um? Worauf müssen Eltern achten?
Vor allem auf gute, klare Kommunikation, und zwar sowohl gegenüber den Kindern als auch gegenüber dem Verein. Was ist im Umgang okay? Was sind Warnsignale? Wie geht man damit um? Wen kann man ansprechen, wenn man Zweifel hat oder einen klaren Verstoß melden will? Ich stehe dazu auch für kleinere Vereine oder die Verbände, in denen sie unterwegs sind, als Ombudsstelle zur Verfügung.
Nochmal zurück zum DTB: Worauf muss bei der Aufarbeitung der Vorwürfe geachtet werden?
Wichtig sind bei der Aufklärung immer Gespräche auf Augenhöhe mit den Sportlerinnen und Sportlern. Von Seiten eines Verbandes geht es darum, bei dem, was geschildert wird, wirklich hinzuhören und tatsächlich aufklären zu wollen. Die eigenen Strukturen sollten hinterfragt werden, es handelt sich ja nicht nur um Einzelfälle. Alles muss aufgearbeitet werden, es muss transparente Lösungen geben, die wirklich eine nachhaltige Veränderung zum Guten herbeiführen.
Wäre das ein Fall für den Strafverteidiger Anton Pirlo aus Ihren Büchern?
(lacht) Ich glaube, er würde "Ja" sagen. In jedem Band der Reihe sind Anton Pirlo und seine Partnerin Simone Mahler in einem anderen Bereich unterwegs. Jetzt geht es um Kriminalität im Sport, von daher wäre das vielleicht auch etwas für Pirlo und Mahler.
Über den Gesprächspartner
- Prof. Dr. Dr. Ingo Bott leitet die auf Strafrecht und Sport spezialisierte Kanzlei "Plan A" in Düsseldorf. Er verteidigte Mandanten in großen Fällen wie dem Loveparade-Unglück oder dem Cum-Ex-Prozess. Der Anwalt entwickelt Nachhaltigkeits-, Kinder- und Jugendschutzkonzepte für Vereine der Fußball-Bundesliga und unterrichtet Strafrecht und Menschenrechte als Professor in Peru. Zur Entspannung schreibt er die im Verlag S. Fischer/Scherz erscheinenden Pirlo-Krimis.