Nach wie vor gibt es in Sportverbänden und -vereinen ein Problem mit Gewalt und Missbrauch. Seit einigen Monaten gibt es die Ansprechstelle "Safe Sport", die Betroffenen hilft.

Ein Interview

Die Geschäftsführerin von "Safe Sport", Ina Lambert, erklärt im Interview, welche Hilfsmöglichkeiten sie bieten können, was es mit dem sogenannten "Täterhopping" auf sich hat und wo sich bereits positive Änderungen feststellen lassen.

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Frau Lambert, seit rund zehn Monaten gibt es die Ansprechstelle "Safe Sport", deren Geschäftsführerin Sie sind. Was sind die Ziele?

Ina Lambert: Unser Ziel ist es, den Sport bundesweit sicherer zu machen. Konkreter gesagt sind wir für die Beratung im juristischen oder psychologischen Sinne von Betroffenen von interpersoneller Gewalt im Sport zuständig. Das heißt, Menschen, die Gewalt erlebt oder beobachtet haben, entweder im Spitzensport oder im Breitensport, können sich an uns wenden. Telefonisch, in der Online-Beratung oder vor Ort. Dann versuchen wir, die Anliegen zu klären und die Menschen zu unterstützen, die sich hier Hilfe holen wollen.

Wie viele Anfragen bekommen Sie in etwa?

Im Moment ist es so, dass wir ungefähr drei neue Anfragen pro Woche bekommen. Vielleicht klingt das gar nicht so viel, aber zum einen führen wir nicht nur einmalige Gespräche, sondern es sind oft Beratungsprozesse über Wochen, manchmal auch über Monate, bei denen wir Ratsuchende begleiten. Zum anderen muss man sich auch vorstellen, dass häufig nicht nur eine Einzelperson betroffen ist. Zum Beispiel, weil eine ganze Mannschaft betroffen ist, wenn die Gewalt durch einen Trainer ist oder durch eine andere mitarbeitende Person ausgeübt wird. Am häufigsten sind Kinder und Jugendliche von Gewalt betroffen. Wenn wir dann von einem neuen Fall oder eben von drei neuen Fällen pro Woche erfahren, hängen da ja einfach wirklich viele Einzelschicksale dran. Das muss man sich klarmachen.

"Mittlerweile berichtet knapp die Hälfte der Ratsuchenden von Fällen sexualisierter Gewalt."

Ina Lambert, Geschäftsführerin von "Safe Sport e.V."

Welche Fälle kommen am häufigsten vor?

Sportartspezifisch können wir nichts wirklich sagen. Es zieht sich durch sämtliche unterschiedliche Sportarten. Inhaltlich sind die meisten Fälle, von denen uns berichtet wird, Fälle psychischer Gewalt. Wobei man sagen muss, es geht ja häufig auch mit den anderen Gewaltformen, also physischer und oder sexualisierter Gewalt einher. Und mittlerweile berichtet knapp die Hälfte der Ratsuchenden von Fällen sexualisierter Gewalt. Das kann von verbaler Gewalt bis hin zu gravierenderen körperlichen Übergriffen gehen.

Welche Hilfsmöglichkeiten können Sie Betroffenen bieten?

Das kommt immer auf das Anliegen an. In der juristischen Beratung ist es zum Beispiel so, dass wir eine Einordnung der Vorkommnisse machen können. Also ob wir uns beispielsweise unterhalb oder oberhalb der Strafbarkeitsschwelle bewegen, ob es also möglich wäre, Strafanzeige zu stellen oder ob es möglich wäre, vielleicht auch sportintern eine Meldung zu machen beim entsprechenden Fachverband und oder beim Landessportbund. In der psychologischen Beratung können wir erst mal Entlastung bieten und vielleicht beim Sortieren helfen. Man kann gemeinsam überlegen, was die Handlungsmöglichkeiten sind oder wie wir in der Situation unterstützen und stabilisieren können. Manchmal braucht eine Person darüber hinaus auch eine Psychotherapie.

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"Täterhopping" als bekanntes Problem für Sportvereine

Ein bekanntes Problem in dem Bereich ist das sogenannte "Täterhopping". Können Sie erklären, was damit gemeint ist?

Damit ist gemeint, dass potenziell Beschuldigte, beispielsweise Trainer, nach einem Vorfall einfach den Verein wechseln. Der neue Verein erfährt dann möglicherweise gar nicht von den Vorfällen zuvor. Hier ist ein Problem, dass bisher kein einheitliches Meldesystem existiert. Natürlich haben Beschuldigte aber auch Rechte und das auch zurecht.

Gut ist es, wenn Vereine zum Beispiel darauf achten, ein erweitertes Führungszeugnis anzufordern, wobei man da dazu sagen muss, dass darin nur entsprechend verurteilte Straftaten auftauchen. Aber nur weil das Führungszeugnis keine Einträge hat, heißt es ja auch nicht, dass sich die Person im Vorfeld nichts hat zuschulden kommen lassen. Noch schwieriger wird es beim Thema Täterhopping. Es gibt auch Beschuldigte, die dann sogar die Sportart oder das Bundesland wechseln, weil das vielleicht noch im Landesverband bekannt geworden ist. Dann verliert sich schlimmstenfalls die Spur komplett.

Wie könnte man erfolgreich dagegen vorgehen?

Es soll perspektivisch einen Safe-Sport-Code geben, einen bundeseinheitlichen und sportartenübergreifenden Verhaltenskodex. Es gibt auch jetzt schon Verhaltensregeln in vielen Sportarten, beispielsweise über die Fachverbände. Auch bieten zum Beispiel die Landessportbünde Fortbildungen zum Thema Kinder- und Jugendschutz. Ziel wäre aber, dass so ein Verhaltenskodex entwickelt wird, der dann auch umgesetzt wird und wo sich dann auch konkrete Sanktionen, wie zum Beispiel ein Trainerlizenzentzug, anschließen. Das ist in Planung, aber bislang leider noch nicht durchgesetzt.

Woran hängt es und mit wem muss man sowas abstimmen? Ist es eine politische Frage oder ist es eine Frage des Aufwands?

Sowohl als auch. Natürlich muss der organisierte Sport da mitziehen und die Politik genauso. Um das in die Breite zu tragen, braucht man auf jeden Fall auch die Landessportbunde, die Fachverbände, übergeordnet auch den Deutschen Olympischen Sportbund und die Deutsche Sportjugend. Es braucht im Grunde alle, die da mitsteuern können, die sich darauf verständigen, dass das auch bis in die Breite so durchgesetzt wird. Das heißt am Ende auch, dass es für die Thematik engagierte Ehrenamtliche in kleinen Vereinen braucht. Das ist bei ungefähr 87.000 Sportvereinen bundesweit eine große Aufgabe, aber etwas, was überfällig ist aus Sicht der Betroffenen.

Ein Kinderschutzsiegel soll helfen

Gibt es als konkretes Beispiel einen Verein, der bereits ein gutes Vorgehen erarbeitet hat?

Beispielsweise hat der Landessportbund Berlin, wie auch einige andere Landes- und Kreissportbunde, ein Kinderschutzsiegel für Berliner Vereine und Verbände entwickelt. Der Erhalt dieses Siegels ist an bestimmte Voraussetzungen geknüpft. Und auf deren Website sieht man eine ganze Reihe von Verbänden und Vereinen mit Kinderschutzsiegel. Das sind längst noch nicht alle Berliner Vereine, aber schon einige. Und die zumindest weisen dann gewisse Kriterien nach. Zum Beispiel, dass regelmäßig Führungszeugnisse überprüft werden oder dass Kinderschutzbeauftragte benannt und geschult werden müssen. Es sind schon viele Vereine, die vieles tun, aber es gibt auch noch einige Vereine, die noch Nachbesserungsbedarf haben.

Können Sie nach den ersten Monaten "Safe Sport" ein Zwischenfazit ziehen? Was funktioniert bereits gut, wo gibt es noch Verbesserungsbedarf?

Ich finde, was schon ganz gut läuft ist, dass es viele Engagierte im Bereich Gewaltprävention und auch -intervention gibt, die auch unser Angebot in die Breite tragen. Das sehen wir an der Anzahl der Menschen, die sich an uns wendet. Die Notwendigkeit eines sportspezifischen psychologischen und juristischen Angebots für Betroffene wird also gesehen und nachgefragt. Das würde ich auf jeden Fall als sehr positiv bewerten.

Es ist wichtig, die Sensibilität für dieses Thema zu erhöhen: Dass es im Sport natürlich viele positive Aspekte gerade für Kinder und Jugendliche gibt, aber dass er für manche auch ein Ort der Gewalt sein kann. Noch ausbaufähig ist, wie bereits angesprochen, das Thema der Durchgriffsmöglichkeiten. Die fehlen häufig noch und es ist bis dato noch nicht oft genug möglich, zu sanktionieren und Leute wirklich aus dem System herauszunehmen.

Auch im Bereich Aufarbeitung, wenn es einen Fall in einem Verein oder Verband gab, muss noch viel mehr getan werden: Dass kritisch geschaut wird, was denn dazu geführt hat, was man daraus für die Zukunft lernen und verbessern muss, damit Gewalt nicht nochmal vorkommt. Da tun sich viele Verantwortliche nach wie vor schwer.

Zur Person

  • Ina Lambert ist Psychologin und Geschäftsführerin des eingetragenen Vereins "Safe Sport". Der Trägerverein wurde auf der Sportministerkonferenz am 03.11.2022 gegründet und fungiert seit Juli 2023 als unabhängige Ansprechstelle für Betroffene sexualisierter, psychischer und physischer Gewalt. Zu erreichen ist "Safe Sport" unter anderem telefonisch unter 0800 11 222 00.
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