Die Handballprofis hetzen von Spiel zu Spiel, der Kalender ist prall gefüllt. Die hohe Belastung der Spieler bleibt ein Dauerthema – vor allem auch in Deutschland. Eine Lösung für das Problem ist indes nicht in Sicht.

Eine Analyse
Dieser Text enthält eine Einordnung aktueller Ereignisse, in die neben Daten und Fakten auch die Einschätzungen von Michael Schleicher sowie ggf. von Expertinnen oder Experten einfließen. Informieren Sie sich über die verschiedenen journalistischen Textarten.

Europameisterschaft, Liga, Pokal, Champions League: Für viele Handballprofis startete 2024 alles andere als entspannt. Im Gegenteil: Der Terminkalender ist vollgestopft, die Belastung der Profis dadurch immens hoch. Das Thema der (zu hohen) Belastung, das es bereits seit Jahren gibt, bleibt damit weiter aktuell.

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Ein Beispiel, um die Terminhatz der Spieler zu verdeutlichen: Johannes Golla, Kapitän der deutschen Nationalmannschaft, spielte noch am 28. Januar bei der Heim-EM um Platz drei.

Bereits am 3. Februar musste er wieder mit seinem Verein, der SG Flensburg-Handewitt, im DHB-Pokal ran. Zuvor wurde selbstverständlich bereits trainiert. Fünf Tage nach dem Pokalspiel ging es in der Liga weiter (8. Februar). Nach drei weiteren Tagen (11. Februar) folgte das nächste Ligaspiel, ehe nur zwei Tage danach (13. Februar) eine Partie im EHF-Pokal auf dem Programm stand. Zeit für große Pausen bleibt da nicht.

Kretzschmar: Voller Kalender ist eine "Frechheit"

Für Stefan Kretzschmar, der mittlerweile Sportvorstand von Bundesliga-Spitzenreiter Füchse Berlin ist, ist der volle Terminkalender nicht mehr nachzuvollziehen: "Es ist schon eine Frechheit, dass eine Woche nach dem EM-Finale ganz, ganz viele Spieler schon wieder ranmüssen und kaum Zeit haben, sich mal zu erholen oder durchzuatmen", sagte der langjährige deutsche Nationalspieler beim Dyn-Talk "Kretzsche & Schmiso". Die enge Taktung sei "brutal" für die Spieler, stellte Kretzschmar klar.

Liga-Geschäftsführer Frank Bohmann zeigt Verständnis für den Frust über die Terminhatz. "Den Spielern hätte ich noch mehr Pause gewünscht", sagte Bohmann kurz nach dem Ende der EM im Gespräch mit dem sid. Er hält den aktuellen Spielplan aber für "vertretbar. Es liegt an den sportlichen Leitungen, gerade die Topstars dosiert einzusetzen, dass sie nicht überfordert werden."

Sportmediziner Dr. med. Thomas Schramm.
Sportmediziner Dr. med. Thomas Schramm. © DGSP

Ihm zufolge sei der Spielplan, vor allem international, "sehr eng". Deshalb habe die Liga überhaupt keine anderen Möglichkeiten, den Kalender zu entzerren. Eine Streckung des Spielplans bis in den Sommer hinein sei laut Bohmann von den Spielern ausdrücklich nicht gewünscht. Und selbst wenn, wäre es vor allem in diesem Jahr besonders problematisch, stehen doch die Olympischen Spiele in Paris an.

Sportmediziner über Handball-Taktung: "Eigentlich eine zu hohe Intensität"

Die hohe Belastung ist vor allem in Deutschland ein Thema, das bestätigt auch Sportmediziner Thomas Schramm im Gespräch mit unserer Redaktion: "Gerade in Deutschland haben wir im Vergleich zu anderen Handballnationen eine Mehrbelastung, da wir in Bundesliga und Pokal eine höhere Spieldichte als in anderen Handballnationen wie zum Beispiel in Frankreich, Spanien, Polen oder Ungarn haben", erklärt der Arzt.

Entsprechende Analysen hätten bereits gezeigt, dass deutsche Mannschaften teilweise deutlich mehr Spiele in der Saison haben als ihre Champions-League-Konkurrenten.

Laut Schramm falle die enorme Taktung beim Handball vor allem bei großen Turnieren wie einer WM oder zuletzt einer EM auf, Pausen gibt es dann kaum. "In zwei Wochen haben die Spieler teilweise bis zu neun Partien und nach den Großturnieren geht es dann meist schnell wieder in den Ligen weiter", sagt der Kölner Arzt und stellt klar: "Aus sportmedizinischer Sicht ist das eigentlich eine zu hohe Intensität."

Das sagt der DHB zum Thema Belastung

Nicht nur ein Problem im Profihandball, wie Schramm erklärt: "Insgesamt sind wir in vielen Sportarten am und teilweise über dem Limit des sportmedizinisch vertretbaren Rahmens." Das sei vor allem bei Spielern der Fall, die auch in internationalen Wettbewerben und der Nationalmannschaften spielen – hier seien die Belastungen "extrem".

Wie der Deutsche Handballbund (DHB) im Gespräch mit unserer Redaktion mitteilt, entsteht der eigentliche Stress für die Spieler erst in den englischen Wochen, die die Teams größtenteils auch aktuell haben. Teilweise werden dann bis zu drei Spiele in einer Woche absolviert. Neben den 60 Minuten auf dem Handballfeld werde es dann vor allem zur Herausforderung, zwischen den Spielen vernünftig zu regenerieren geschweige denn zu trainieren, erklärt der Verband.

Enger Austausch zwischen DHB und Vereinen

Der DHB betont, dass die eigene medizinische Abteilung mit denen der Vereine in engem Austausch stehe. So weiß das "Medical Team" der Nationalmannschaft, welche Spieler es in welchem Zustand übernimmt. Ebenso findet auch bei der Rückkehr der Spieler zu den Vereinen ein entsprechender Austausch statt. Und auch zwischen der medizinischen Abteilung und dem Trainer würde es eine enge Abstimmung geben, um die Belastung optimal zu steuern.

Dies sei auch laut Schramm besonders wichtig: "Das ist eine große Herausforderung an Trainingsgestaltung, die Physioabteilung und den Spieler selbst. Sowohl das individuelle als auch das Mannschaftstraining werden angepasst." Die Sportmediziner in den Vereinen seien in dieser Hinsicht unabdingbar, führt Schramm weiter aus – sowohl in Sachen Verletzungsprävention "als auch zum Beispiel beim Hinweisgeben an den Trainerstab, dass eine Pause eines Spielers notwendig ist".

"Wichtig ist es zum Schutz der Spieler, die Dichte der Spiele zu begrenzen."

Sportmediziner Thomas Schramm

Die Probleme sind offensichtlich und das seit Jahren, eine Lösung gibt es indes aber weiterhin nicht. "Die Jungs reißen ein Pensum ab, das nicht mehr zu verantworten ist", sagte Kretzschmar zuletzt. "Aber das ist ja ein ständiges Ziehen an den Spielern zwischen Nationalmannschaft und Verein, zwischen Liga, EHF und IHF." Für den ehemaligen deutschen Nationalspieler sei es nur schwer vorstellbar, "dass jemand Abstriche macht".

Handball-Kommentator wütet nach Verletzung auf X

In dieselbe Kerbe schlug zuletzt Handball-Kommentator Nedzad Smajlagic – jedoch mit deutlich drastischeren Worten. Nachdem sich Magdeburg-Profi Magnus Saugstrup beim Pokalspiel gegen Kiel Anfang Februar schwer verletzt hatte, schrieb der Österreicher auf X unter anderem: "Ihr respektiert die Spieler nicht, ihr respektiert das Spiel nicht! Diese und viele weitere Verletzungen gehen euch auf die Seele! Idioten, ignorante A***, die nur Geld wollen."

Der Unmut ist groß, auch bei vielen Spielern. Die Frage ist, ob der Handball-Kalender in Zukunft noch enger getaktet wird. Die internationalen Verbände EHF und IHF blähten ihre Turniere zuletzt immer weiter auf. So waren bei der WM erneut 32 Nationen dabei. Bei der EM spielen mittlerweile 20 Länder mit, was umso mehr Partien für die meisten Beteiligten zur Folge hat. Damit verbunden richtet Schramm einen Appell an die Verantwortlichen: "Wichtig ist es zum Schutz der Spieler, die Dichte der Spiele zu begrenzen."

Keine Verschnaufpause für Handballprofis

Eine weitere Verdichtung des Spielplans würde dem DHB zufolge zu einer Schwierigkeit führen, die es schon im vergangenen Jahr gab: Da hatte sich die Nationalmannschaft Ende April für eine Woche gesehen – und dann erst wieder Ende Oktober. Eine lange Pause, in der es nicht möglich ist, Abläufe und Prozesse innerhalb des DHB-Teams zu entwickeln und festigen.

Aktuell bleibt das Thema Belastungssteuerung und Terminhatz im deutschen Profihandball jedenfalls – auch nach der EM in Deutschland: Nach den letzten Liga-Partien des 25. Spieltags am 10. März kämpft das DHB-Team vom 14. bis 17. März in Hannover um die Olympia-Qualifikation – innerhalb von vier Tagen stehen dann drei Spiele an. Bereits am 21. März geht es dann schon wieder in der Liga weiter. Viel Verschnaufpause bleibt also auch diesmal nicht.

Über den Gesprächspartner

  • Dr. med. Thomas Schramm ist Arzt für Innere Medizin, Kardiologie und Sportmedizin. Der in Köln praktizierende Arzt ist seit 2016 Vizepräsident der Deutschen Gesellschaft für Sportmedizin und Prävention. Zudem ist er empfohlener Untersucher des Deutschen Olympischen Sportbundes sowie Kardiologe des Köln Marathons.

Verwendete Quellen

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