Besonders durch die letzten Spieltage der Nations League konnte die körperliche und auch mentale Belastung der Profifußballer beobachtet werden. Es kam zu mehr Muskelverletzungen, Ausfällen und Absagen. In seiner Kolumne äußert sich Holger Badstuber kritisch über die geringe Zeit der Regeneration und die extreme Belastung.
Servus Fußball-Freunde!
Bevor ich zu einem riesigen Problem des heutigen Fußballs komme, muss ich euren Blick kurz in die Vergangenheit lenken.
Es war der 1. Dezember 2012. Allianz Arena. Spitzenspiel zwischen dem FC Bayern und Borussia Dortmund. Mario Götze hatte sich durch unser komplettes Mittelfeld gedribbelt und kam mit Tempo auf mich zu. Diesen Zweikampf darf ich nicht verlieren, dachte ich mir und verteidigte aggressiv nach vorne. Ich stoppte ihn, spielte den Ball und brachte ihn zu Fall. Aber was folgte, war ein brutaler Schmerz. Mein Kreuzbandriss war eine Zäsur in meiner Karriere.
Zunächst begriff ich nicht, warum ich mir diese Verletzung zugezogen habe. Ich war in Topform, hatte zwei Saisons mit mehr als 50 Pflichtspielen absolviert, mit Dreifachbelastung, mit einer WM und einer EM, ich strotzte vor Kraft und Selbstbewusstsein. Überbelastung kannte ich nicht, spürte ich nicht, ignorierte ich. Es war eben Alltag drei Mal pro Woche zu spielen.
Hohes Risiko für Verletzungen
Mit etwas Abstand wurde mir jedoch klar, dass das eventuell eine Ursache war. Mein Kopf war voll. Wenn du dich mental nicht mehr regenerieren kannst, steigt die Gefahr, sich eine Verletzung zuzuziehen. Das Risiko wird zu hoch und lässt sich schwer einschätzen.
Aktuell gibt es im Fußball viele Warnzeichen dafür, dass die Belastung für die Spieler am Anschlag ist. Körperlich und mental. Zuletzt musste Bundestrainer Julian Nagelsmann in der Nations League gegen Bosnien-Herzegowina und die Niederlande kräftig improvisieren.
Apropos Niederlande, die wiederum traten mit allen Stars an und waren trotzdem ein Schatten ihrer selbst. Dabei ist jeder Wettbewerb doch der wichtigste, in jedem sollen die Stars glänzen. Aber das tritt immer öfter nicht mehr ein. Stattdessen gibt es zahlreiche Muskelverletzungen, Ausfälle und Absagen. Wenn Stars wie Kevin De Bruyne oder Trainer wie Jürgen Klopp den Spielplan kritisieren, nehme ich das ernst. Das sollten auch die Verbände tun.
In keiner anderen Sportart ist die Belastung so hoch und gleichzeitig die Zeit für Regeneration so gering wie im Fußball. Dieser hat ein Problem, wenn die Balance zwischen Gesundheit und Performance nicht mehr stimmt. Geht es so weiter, werden diese Entwicklungen nicht ohne Folgen bleiben. Das heißt konkret: Es wird einen Qualitätsverlust geben.
Mehr Mittelmaß durch zu hohe Belastung?
Fußball auf höchstem Niveau wird bis zu einem Alter von circa 30 Jahren möglich sein, es wird noch mehr Verletzungen geben, die Kader der Vereine werden größer und gehen in Richtung 25 plus x Spieler, um über eine Saison verteilt zwei Mannschaften bilden zu können. Die Durchlässigkeit aus der eigenen Jugend wird höher. Das ist prinzipiell nicht schlecht, aber mehr Mittelmaß ist dadurch natürlich auch möglich.
So wie es aktuell ist, darf es nicht bleiben. Die Zweikämpfe waren schon immer intensiv, aber der ganze Fußball-Apparat ist aufgebläht, mit Pflichtterminen neben dem Rasen, die zusätzlich Energie ziehen. Irgendwann ist das Limit erreicht. Dieser Zeitpunkt ist jetzt. Uefa und Fifa müssen sich mit den Spielervereinigungen an einen Tisch setzen und neue Konzepte erstellen, sonst wird es knallen.
Größerer Fokus auf mentale Gesundheit
Beim Thema mentale Gesundheit sehe ich indes die Vereine in der Pflicht, da muss investiert werden. Zu meiner Zeit war es anders, mittlerweile gibt es einige sehr gut fundierte Methoden um die Spieler dahingehend zu unterstützen.
Der Spieler muss geschützt und vor allem individuell betreut werden, damit er sich bestmöglich erholt. Das erfordert in vielen Klubs ein Umdenken. Selbst wenn sich fünf bis zehn Spiele mehr pro Saison wenig anhören, spurlos gehen sie nicht an einem vorüber.
Die Gesundheit der Spieler, der Menschen, sollte immer über finanziellen Interessen stehen.
In diesem Sinne sportliche Grüße!
Euer
"So arbeitet die Redaktion" informiert Sie, wann und worüber wir berichten, wie wir mit Fehlern umgehen und woher unsere Inhalte stammen. Bei der Berichterstattung halten wir uns an die Richtlinien der Journalism Trust Initiative.