Fans von Österreich und Ungarn feiern in Bordeaux in Einigkeit. Keine Spur von Europareife jedoch beim rot-weiß-roten Team - und den französischen Öffis.

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"Schlimmer hätte es nicht werden können. Erst eine Runde gespielt und wir sind schon Letzter." Eine kleine Runde österreichischer Fans hat sich nach dem Match des ÖFB-Teams in einem Lokal in der Innenstadt von Bordeaux versammelt, um sich die kommenden Gruppengegner Portugal und Island im TV anzusehen.

Die Enttäuschung ist ihnen ins Gesicht geschrieben. Das Bier schmeckt schal. Denn sportlich ist an diesem Tag für die Österreicher alles danebengegangen.

Rotes Fan-Meer

Das Resultat schmälert das einmalige Erlebnis freilich, bei einem EM-Spiel von David Alaba, Christian Fuchs und Co. dabei zu sein. In Erinnerung bleiben dennoch fantastische Eindrücke.

Schon tagsüber ist das Zentrum von Bordeaux rot eingefärbt. Auf den ersten Blick sind die Fans von Österreich und Ungarn kaum zu unterschieden: Beide tragen rote Dressen, stimmen Schlachtgesänge an, Bier fließt in Strömen.

Es herrscht wenig Rivalität, mehr Vorfreude auf den Anpfiff. "Unsere Teams schicken Portugal nach Hause", tönen Österreicher und Ungarn unisono. Vielleicht eint die gemeinsame Geschichte doch.

"Ich hoffe, wir können von der Tradition profitieren. Denn Österreich hat Ungarn schon lange nicht mehr besiegt. Diese Tradition ist heute eine unserer größten Stärken." Was der ungarische Sportreporter László Szilágyi vor dem Match mehr scherzhaft meint, soll wenige Stunden später traurige Wahrheit werden.

Polizei im Hintergrund

Noch knapp drei Stunden bis zum Anpfiff. Die Straßenbahn der Linie C - sie führt direkt zum neu gebauten Stadion Matmut Atlantique - füllt sich immer mehr.

Das Geräusch von Hubschraubern wird lauter. Das Stadion wird großräumig überflogen. Der Gedanke, dass jedes EM-Match auch ein potenzielles Terrorziel ist, lässt sich nicht unterdrücken. Die Polizei ist präsent, hält sich aber im Hintergrund.

Plötzlich geht nichts mehr. Nicht nur die Gewerkschaft streikt in Frankreich, offensichtlich auch die Maschinen: Die Straßenbahn steht. Warten? Zu Fuß weitergehen?

Die meisten Fans entscheiden sich für zweiteres. "Das sind sicher nur zwei Kilometer. Dann sind wir wenigstens richtig aufgewärmt." Was sie nicht ahnen: Der Fußmarsch zum Stadion dauert knappe eineinhalb Stunden.

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Sauna auf Schienen

Entwarnung nach rund 20 Minuten: Die Tram fährt wieder. Aufgrund des langen Ausfalls sind die Waggons jedoch so voll, dass sich die Fans beider Teams noch näher kommen als beim vorherigen Biergelage. Die Straßenbahn wird zur Sauna auf Schienen.

Eine positive Überraschung dann vor dem Stadion: Die aufgrund der angekündigten strengen Sicherheitskontrollen befürchteten Warteschlangen fallen aus. Die Organisation läuft flüssig. Kurzer Check der Spielkarte. Anschließend Leibesvisitation. Und schon ist der Weg frei.

Lockere Atmosphäre. Die Polizei hält sich weiter im Hintergrund. Man bekommt den Eindruck, dass jedes Wiener Stadtderby stärker bewacht wird.

42.000 Zuseher fasst das EM-Stadion. Österreichische und ungarische Fans teilen es sich zur Hälfte. Happel-Stadion-Atmosphäre kommt auf, als die inoffizielle Österreich-Hymne "I am from Austria" eingespielt wird. Die Tormänner betreten den Rasen zuerst, wärmen sich vor dem österreichischen Fansektor auf. Fans und Team begrüßen sich wie alte Freunde.

Österreich siegt beim Lautstärke-Test

Und Österreich gewinnt! Zumindest das Lautstärke-Duell der Fans, das vor Anpfiff offiziell in Dezibel gemessen und live verkündet wird.

Die Leistung des österreichischen Teams und die Geschehnisse am Spielfeld lassen die österreichischen Anhänger jedoch immer leiser werden. Der ungarische Fanblock gegenüber zeigt eindrucksvoll, welches Temperament in den Nachbarn steckt.

Ein paar ÖFB-Fans bleiben selbst nach dem Gegentreffer und dem Ausschluss von Aleksandar Dragovic optimistisch. "Eines schießen wir sicher noch. Der Alaba drückt den Ball schon irgendwie über die Linie."

Entsetzen und Fassungslosigkeit nach dem 0:2. Die ersten Fans verlassen das Stadion noch vor Abpfiff. Andere sitzen noch lange nach Spielende versteinert auf ihrem Platz, ihr Blick geht ins Leere.

Straßenbahn ist schon wieder kaputt

Die Öffi-Probleme gehen nach dem Match weiter. Nur wenige Busse stehen bereit, die Abfahrt mit der Tram verläuft mehr als schleppend. Ein weiterer Fußmarsch Richtung Zentrum steht an.

Unterwegs zuzusteigen, ist unmöglich. Zu vollgestopft ist jeder einzelne Waggon. Nach einer Stunde Fußmarsch endlich ein freier Platz! Und wieder passiert es: "Broken!", schreit der Tramfahrer, alle müssen raus.

Die Ungarn sind weiter in Feierlaune, die Österreicher versuchen, die Niederlage zu verarbeiten. "Harnik ist vom Nationalteam zurückgetreten. Er spielt jetzt in der zweiten ungarischen Liga", mault jemand. Ein Sündenbock ist immer schnell gefunden.

Ein Funken Hoffnung bleibt: "Gegen Portugal wird es ein ganz anderes Spiel. Das liegt uns mehr." Am Samstag wissen wir, ob sich diese Hoffnung erfüllt.

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