Die Causa Heiko Vogel sagt viel aus über die Sicht auf Frauen im Fußball. Dabei spielt es kaum eine Rolle, ob seine Trainingseinheit mit Frauen Teil der Strafe oder eine freiwillige Buße ist.
Der Spielbericht zur Begegnung der U23 von Borussia Mönchengladbach in der Regionalliga West am 30. Januar gegen den SV Bergisch Gladbach 09 auf der Homepage der Borussia liest sich unauffällig. Nach der ersten halben Stunde wird "ein Aufreger" notiert.
Coach Heiko Vogel darf zur gedrehten Partie bilanzieren: "Wir sind cool geblieben." Dass er selbst nicht cool blieb, verrät eine abschließende Notiz: "Besondere Vorkommnisse: Gelb-Rot gegen Trainer Heiko Vogel (54.)".
Nach dem Verfahren am 9. März gibt der Westdeutsche Fußballverband (WDFV) als Grund hierfür an, Vogel habe sich "in ausfallender Weise" gegenüber Schiedsrichter Marcel Benkhoff sowie den Assistentinnen Vanessa Arlt und Nadine Westerhoff geäußert.
Vogel wegen unsportlichen Verhaltens sanktioniert
Arlt klärt einige Tage später im Interview mit den Westfälischen Nachrichten auf, Vogel habe gesagt, Frauen hätten auf dem Fußballplatz "absolut nichts zu suchen". Das Sportgericht des WDFV hat das "unsportliche Verhalten" Vogels mit zwei Spielen Innenraum-Verbot und einer Geldstrafe von 1.500 Euro sanktioniert, die Borussia addiert eine vereinseigene Geldstrafe.
Coach Vogel wird zudem auferlegt, bis Ende Juni sechs Trainingseinheiten eines Frauen- oder Mädchenteams zu leiten. Daran hat sich in den letzten Tagen eine Diskussion entzündet, klarer Tenor: Es kann nicht angehen, es als Bestrafung zu definieren, Frauen* zu trainieren.
In der Pressekonferenz der Borussia vor dem Spiel gegen Schalke 04 am Freitag bemüht sich
Man missbillige dessen Verhalten. Er wolle aber klarstellen, dass es sich bei den Trainingseinheiten nicht um einen Teil der Strafe handle, vielmehr habe Vogel diese bei den Verhandlungen angeboten, "um auch seine Wertschätzung dem Frauen- und Mädchenfußball gegenüber zu bringen". Aber ist das wertschätzend?
Alexandra Popp: "Wir alle fühlen uns beleidigt"
Die Spielerinnen der 1. und 2. Bundesliga waren mit derlei warmen Worten jedenfalls nicht zu beruhigen. DFB-Spielführerin
Der WDFV kündigte unterdessen bereits am Freitag an, das Urteil des Sportgerichts durchs Verbandsgericht prüfen zu lassen. Vizepräsident Gundolf Walaschewski betonte: "Null Toleranz gegen sexuelle Diskriminierung und null Toleranz gegen Diskriminierung generell."
WDFV erkennt Vogels Verhalten nicht unmittelbar als sexistisch
Der Vorfall zeigt wie unter dem Brennglas den Stand der Dinge für Frauen im Fußball. Zunächst ist es so bezeichnend wie beschämend, dass der WDFV das Verhalten Vogels nicht unmittelbar als diskriminierend und sexistisch erkannt hat.
Wie viel klarer kann eine Herabwürdigung aufgrund gruppenspezifischer Merkmale sein, als die verallgemeinernde Behauptung, Frauen hätten beim Fußball nichts zu suchen? Der Satz könnte geradezu als Negativbeispiel für diese Form der Diskriminierung in einer Aufklärungsbroschüre landen.
Der Verband hätte das sofort feststellen und entsprechend sanktionieren müssen. Die Tatsache, dass dies nicht geschehen ist, sagt viel aus über strukturellen Sexismus im Fußball und wie dieser kleingeredet wird.
Vogels Aussage ist nämlich nichts, was jemandem ohne eine entsprechende Haltung einfach so rausrutscht – man möge mich an der Stelle vom ewigen Gequatsche über die Emotionalität im Fußball verschonen. Das eine hat mit dem anderen nichts zu tun.
Wer im Eifer des Gefechts die Beherrschung verliert, schimpft vielleicht über die Maße auf andere Beteiligte – und genau dafür wäre die ausgesprochene Strafe angemessen. Niemand entwickelt aber mal eben eine sexistische Einstellung. Will heißen, wer Frauen im Fußball als gleichberechtigt betrachtet und respektiert, kommt im Moment der Wut auch nicht auf eine solche Diskriminierung.
Strukturelle Probleme werden durch die Causa Vogel deutlich sichtbar
Vogels Einstellung setzt sich übrigens nahtlos fort im Angebot, Frauen- und Mädchenteams zu trainieren. Wieso sollten die nach seinem Verhalten auch nur ansatzweise Lust dazu haben, sich gerade von ihm irgendetwas beibringen zu lassen?
Wäre es ihm ernst und hätte Vogel die Problematik seiner Aussagen erkannt, wäre umgekehrt ein Schuh daraus geworden, indem er beispielsweise anbietet, eine Trainerin könne sein Team anleiten, während er als ihr stiller Co davon lernt, wie sie arbeitet.
Wäre das zugrundeliegende Problem der Causa nicht strukturell, hätte irgendwer erkannt, wie daneben Vogels Vorschlag ist. Man hätte ihm raten können, eine Anti-Diskriminierungsschulung zu durchlaufen oder sich von Frauen aus dem Fußball, die dazu bereit sind, darlegen zu lassen, wie beschwerlich es ist, jeden Tag gegen derlei Gedankengut anzukämpfen mit der eigenen Arbeit. Lernen statt belehren, zuhören statt reden.
Soweit die bedauerliche Seite dieses Vorfalls, der hoffentlich bei der Überprüfung des Urteils Rechnung getragen wird. Was sich unter dem Brennglas aber in Sachen "Stand der Dinge für Frauen im Fußball" auch zeigt, ist, dass solche Vorkommnisse nicht mehr einfach durchgehen – und das ist eine sehr gute Entwicklung.
Sexismus herrscht im Fußball weiter vor
Der Offene Brief der Spielerinnen der 1. und 2. Liga ist ein kraftvolles, wichtiges Zeichen hierfür und auch die schnelle, eindeutige Wortmeldung von DFB-Vizepräsidentin Hannelore Ratzeburg ist eine gute Nachricht. Unterstützung kommt aber nicht nur von weiblicher Seite, auch Spieler wie Andreas Luthe (Union Berlin), der sich im Sportstudio erfreulich klar äußert, wehren sich gegen den herrschenden Sexismus.
Die Sichtbarkeit von Frauen im Fußball hat in den vergangenen Jahren nicht zuletzt deswegen zugenommen, weil Spielerinnen wie Popp in den sozialen Medien ohne jegliches Gatekeeping ihre Meinung äußern können und das auch eindrucksvoll tun. Bündnisse wie „F_in – Netzwerk Frauen im Fußball“ tragen auf Fanseite zu dieser Sichtbarkeit bei und gemeinsam entwickeln all diese Frauen eine Solidarität, deren Ziel ein diskriminierungsfreier, fairer Fußball ist. Bisher bewegen sich die Verbände und Vereine noch viel zu langsam in Reaktion auf diese Bande.
Die Erschütterungen rund um die Causa Vogel sind aber nicht das erste Beispiel der jüngeren Vergangenheit, das nachdrücklich belegt: Frauen im Fußball sind nicht bereit, Diskriminierung still zu erdulden. Sie haben eine Stimme und werden sie weiter lautstark nutzen. Denn es muss sich endlich strukturell und nachhaltig etwas bewegen, um solche Denkweisen zu verbannen.
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