Dortmunds Dembélé steigt Herthas Weiser unsanft auf den Knöchel, der spielt daraufhin den sterbenden Schwan. Beide sehen Gelb, und im Internet gibt es einen Shitstorm. Dabei hat der Schiedsrichter mit Augenmaß gehandelt.
Die 90. Minute im Berliner Olympiastadion: Im Spiel zwischen Hertha BSC und Borussia Dortmund führen die Hausherren denkbar knapp mit 2:1. Die Gäste drängen vehement auf den Ausgleich, es kommt noch einmal richtig Feuer in die Partie. Vor allem wegen einer Szene.
Nach einem Foul des Berliners
Weiser geht daraufhin – nach kurzem, aber spürbarem Zögern – zu Boden und windet sich, als hätte er soeben einen glatten Bruch erlitten. Im Nu entsteht eine Rudelbildung.
Die Herthaner sind sauer auf Dembélé und sein Foul, die Dortmunder auf Weiser und seine Theatralik. Der Unparteiische beruhigt die Gemüter, dann ruft er die beiden Hauptstreithähne zu sich und zeigt ihnen die Gelbe Karte. Weiser bekommt sie fürs Wegschlagen des Balles, Dembélé für seinen Tritt auf das Bein seines Gegners.
"Shitstorm" gegen Weiser
In den sozialen Netzwerken finden vor allem BVB-Fans, dass der Berliner eigentlich auch noch Gelb-Rot hätte sehen müssen – wegen Schauspielerei. Es gibt einen regelrechten "Shitstorm" gegen ihn.
Weiser verhehlt nach dem Schlusspfiff nicht, die Folgen von Dembélés Einsatz übertrieben zu haben. "Ich mache nur das, was er auch immer macht", versucht er sich zu rechtfertigen. "Wenn man ihn mit den eigenen Waffen schlägt, dann ist es okay."
Über Twitter verbreitet Hertha BSC allerdings auch ein Foto, das den lädierten Fuß des 22-Jährigen zeigt. Es ist offensichtlich, dass die zu sehenden Abschürfungen von Dembélé stammen. Weiser war gerade erst von einer mehrmonatigen Verletzungspause auf den Rasen zurückgekehrt.
Einerseits gab es also tatsächlich ein schmerzhaftes Foulspiel, das mit der Gelben Karte gewiss nicht zu hart bestraft wurde. Andererseits hat der Gefoulte so getan, als wäre er gerade einer lebensgefährlichen Blutgrätsche zum Opfer gefallen.
Gebot der Verhältnismäßigkeit
Das Ziel dieser Schauspieleinlage war es offensichtlich, den Schiedsrichter dazu zu bringen, eine Rote Karte zu zeigen. Diesen Versuch kann man mit einigem Recht für eine Unsportlichkeit halten, und darauf stünde eine weitere Verwarnung.
Dass es der Schiedsrichter dennoch bei einer Gelben Karte hier wie dort beließ, hatte vor allem zwei Gründe. Zum einen folgte Robert Hartmann schlicht und ergreifend dem Gebot der Verhältnismäßigkeit. Immerhin ging die einzige Aktion in dieser Szene, die wirklich weh tat, von Dembélé aus. Da wäre es schwer zu vermitteln gewesen, ausgerechnet den Geschädigten mit Gelb-Rot vom Feld zu schicken.
Allerdings hatte Weiser die ganze Hektik mit seinem provokativen Ballwegschlagen ja erst ausgelöst. Gelb für beide Spieler war deshalb salomonisch und genügte. Die Entscheidung wurde auf dem Rasen auch allgemein akzeptiert.
Schiedsrichter mit Augenmaß
Zum anderen ist es nach den Regeln zwar theoretisch denkbar, einem gefoulten Spieler sowohl einen Freistoß zuzusprechen als auch eine Gelbe Karte zu zeigen, wenn er die Folgen des Fouls an ihm schauspielerisch übertreibt. Doch in der Realität passiert das fast nie, weil es die Klarheit einer Entscheidung in Zweifel ziehen und für unnötige Verwirrung und Proteste sorgen würde.
Man stelle sich etwa vor, ein Angreifer würde im Strafraum gefoult, bekäme aber nicht nur einen Elfmeter, sondern auch eine Verwarnung – weil sein Sturz zwar unvermeidlich war, von ihm aber auch theatralisch verstärkt worden wäre.
Der Schiedsrichter würde sich noch heftigeren Diskussionen ausgesetzt sehen als ohnehin schon. Denn die Spieler würden ihm das als Unsicherheit oder Unentschlossenheit auslegen. Deshalb heißt es auf dem Platz: Entweder Foul oder Simulation – es geht nicht beides auf einmal.
Daher bekam Mitchell Weiser nur Gelb – genau wie Ousmane Dembélé – und nicht auch noch Gelb-Rot. Damit waren beide gut bedient. Der Referee hat mit Augenmaß gehandelt.
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