- Für die Unparteiischen verläuft der erste Bundesliga-Spieltag dieser Saison relativ stressfrei.
- Nur in Köln gibt es etwas mehr Aufregung – aufgrund von gleich drei Eingriffen des Video-Assistenten gegen Schalke. Einer davon war verzichtbar.
Bis zum Anpfiff der letzten Begegnung war der erste Spieltag der Saison 2022/23 in der Fußball-Bundesliga für die Unparteiischen und die Video-Assistenten recht ruhig verlaufen. Wirkliche Kontroversen hatte es nicht gegeben, strittige Entscheidungen mit spielrelevantem Charakter waren selten.
In der finalen Begegnung zwischen dem 1. FC Köln und dem FC Schalke 04 (3:1) am Sonntagabend, die von Robert Schröder geleitet wurde, änderte sich das, und zwar schon nach zehn Minuten.
Da zog der Schalker Rodrigo Zalazar nach einer Freistoßflanke aus dem rechten Halbfeld und einem gescheiterten Klärungsversuch der Kölner von der Strafraumgrenze wuchtig ab. Der Ball schlug im oberen rechten Torwinkel der Hausherren ein.
Der Unparteiische gab den Treffer zunächst, doch dann schaltete sich Video-Assistent Sören Storks ein. Denn beim Torschuss hatte sich Maya Yoshida in einer Abseitsposition befunden.
Zwar hatte der Schalker Kapitän den Ball nicht berührt, sich aber zwei Meter vor dem Kölner Torwart Marvin Schwäbe aufgehalten und dort nach Auffassung des VAR dessen Sicht auf den Ball beeinträchtigt.
Schalkes Kapitän bringt sein Team um das Führungstor
Nach dem Regelwerk ist das ein Abseitsvergehen, sofern ein Gegner – zumeist ist es der Torhüter – dadurch gehindert wird, "den Ball zu spielen oder spielen zu können", wie es im Regeltext heißt.
Es geht dabei nicht um die Frage, ob der Keeper den Ball aufhalten und das Tor damit verhindern kann. Von Bedeutung ist ausschließlich, ob er überhaupt an den Ball kommen kann, auch wenn es einen Treffer nicht verhindert.
Da das hier eine subjektive Entscheidung war, kam es zum On-Field-Review, nach dem sich Referee Schröder seinem Kollegen in der Videozentrale anschloss, auf strafbares Abseits von Yoshida erkannte und das Tor für die Gäste annullierte.
Eine nachvollziehbare Entscheidung, denn die Bilder zeigen, dass der Schalker sich erst nach dem Schuss aus der Sichtlinie des Kölner Keepers bewegte, der seinerseits den Kopf recken musste, um den Ball in den Blick zu bekommen.
Was für die Rote Karte gegen Drexler spricht …
Nach 35 Minuten kam es zur nächsten Intervention aus dem Kölner Video-Assist-Center, nach einer auf den ersten Blick unscheinbaren Situation. Bei einem Zweikampf im Mittelfeld brachte Dominick Drexler den Kölner
Robert Schröder beließ es bei einem kurzen Pfiff, Hector war gleich wieder auf den Beinen, es gab Shakehands mit Drexler, die Kölner wollten den Freistoß schnell ausführen.
Doch der Unparteiische pfiff sie zurück, weil VAR Storks noch dabei war, die Szene zu überprüfen. Als er den Check beendet hatte, kam er zu dem Schluss, dass Drexlers Einsteigen rotwürdig war. Deshalb riet er dem Schiedsrichter zum On-Field-Review.
Auf dem Monitor am Spielfeldrand sah Schröder, dass der Ex-Kölner Drexler seinen früheren Mitspieler mit der offenen Sohle des linken Fußes an der rechten Wade getroffen hatte. Dieses sogenannte Trefferbild sprach für einen Feldverweis, den der Referee schließlich auch aussprach.
… und was sich dagegen einwenden lässt
Allerdings war der Kontakt von recht kurzer Dauer, der Tritt erfolgte außerdem ohne besondere Intensität und Dynamik. Das sind gewichtige Argumente gegen eine Rote Karte. Wenn man zudem bedenkt, dass Hector sofort weiterspielen wollte und konnte, kann man eine Gesundheitsgefährdung ausschließen, was einen Platzverweis ebenfalls als verzichtbar erscheinen lässt.
Vielleicht war es hier die Zeitlupe, die das Urteil beeinflusst hat. Sie lässt das Foulspiel heftiger aussehen als die Realgeschwindigkeit, in der der Schiedsrichter die Szene ebenfalls gezeigt bekommen hat: Der Tritt wirkt brutaler, intensiver, gefährlicher.
Wenn darüber hinaus selbst das Opfer in diesem vom Gegner keineswegs hinterhältig, sondern lediglich engagiert geführten Zweikampf offensichtlich unversehrt geblieben ist und keinerlei Aufhebens um das Foulspiel gemacht hat, ist eine Rote Karte eine zu harte Sanktion.
Der Unparteiische hätte nach dem On-Field-Review die Möglichkeit gehabt, es bei einer nachträglichen Verwarnung zu belassen. Damit hätten vermutlich alle leben können, weil es die angemessenere Strafe gewesen wäre.
Warum das 2:0 für Köln doch noch zählte
Ein drittes Mal intervenierte Video-Assistent Sören Storks nach etwas mehr als einer Stunde. Einen Einwurf von Benno Schmitz verlängerte Skhiri vor das Tor der Schalker, wo Torwart Alexander Schwolow aus seinem Gehäuse eilte und an der Torraumlinie den Ball zu fangen versuchte.
Er konnte ihn aber nicht festhalten und ließ ihn wieder fallen, weil ihm sein Mitspieler Yoshida im Weg war, vor dem sich wiederum der Kölner Dietz befand, der sich passiv verhielt.
Der Ball kam sodann zu Sargis Adamyan, der an Schwolow und im Nachsetzen an Cedric Brunner scheiterte, bevor Florian Kainz ins Tor traf. Doch der Sxchiedsrichter-Assistent hob die Fahne, weshalb Schiedsrichter Schröder dem Treffer die Anerkennung verweigerte.
Es ging um eine Abseitsposition bei Skhiris Hereingabe, wobei sich Dietz am Torraum knapp nicht im Abseits befand, anders als Adamyan, der den Ball anschließend durch Schwolows verunglückte Rettungsaktion erhielt. Robert Schröder gab das Kölner Tor nach Rücksprache mit seinem VAR schließlich doch, es war das 2:0 für die Domstädter.
Absicht oder nicht?
Zu einem On-Field-Review kam es nicht, was den Schluss nahelegt, dass das Schiedsrichterteam ursprünglich fälschlicherweise Dietz im Abseits gesehen und sein Verhalten als ahndungswürdig bewertet hatte. Da der Kölner sich aber nicht im Abseits befand, war es auch nicht nötig, dass sich Schröder am Monitor selbst ein Bild machte.
Bei Adamyan war die Sachlage etwas komplizierter. Er war bei Skhiris Hereingabe im Abseits, was aber erst relevant hätte werden können, als er den Ball vom Schalker Torwart Schwolow erhielt.
Die Frage war hier, ob es sich bei Schwolows gescheiterten Versuch, den Ball zu fangen, um ein "absichtliches Spielen des Balles" – der englische Begriff "deliberate play" hat sich inzwischen auch in Deutschland eingebürgert – handelte oder nur um ein unkontrolliertes Ablenken des Balles. Bei einem "deliberate play" wäre das Abseits aufgehoben gewesen, bei einem unkontrollierten Ablenken nicht.
Geänderte Auslegung der "deliberate play"-Regelung
Die Regelhüter vom International Football Association Board (Ifab) und die Fifa haben kürzlich die Auslegung der deliberate-play-Regelung geändert. Weiterhin gilt zwar: Das Abseits eines Angreifers ist aufgehoben, wenn dieser den Ball von einem gegnerischen Spieler erhält, der ihn absichtlich spielt.
Geändert hat sich aber die Definition, was unter einem "absichtlichen Spielen" zu verstehen ist: Wenn der betreffende Spieler den Ball kontrolliert oder die Möglichkeit dazu hätte – etwa in Form eines Passes zum Mitspieler, der Ballannahme oder einer Klärungsaktion –, dann liegt ein "deliberate play" vor.
Bis dato wurde die Abseitsstellung eines Gegners bereits durch das beabsichtigte, aber unkontrollierte Spielen des Balles aufgehoben, wie etwa bei einer Grätsche mit dem Mute der Verzweiflung.
War Schwolows erfolgloser Versuch, den Ball zu fangen, ein "deliberate play" und Adamyans Abseitsposition damit aufgehoben? Einiges spricht dafür: Der Ball kam nicht überraschend, nicht aus kurzer Distanz, nicht mit großer Geschwindigkeit und nicht aus einer unerwarteten Richtung, sondern er war eine Weile unterwegs, und Schwolow hatte ihn fest im Blick.
Er hatte Zeit, seine Körperbewegungen zu koordinieren, und hat nicht reflexartig und nicht unkontrolliert reagiert. Der Schlussmann hätte nach dem gezielten Herauslaufen den Ball problemlos mit den Fäusten aus dem Strafraum befördern können, also die Möglichkeit einer kontrollierten Aktion gehabt. Doch er blieb aus eigenem Verschulden aufgrund einer falschen Entscheidung an seinem Mitspieler Yoshida hängen.
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Schlechtes Timing von Schwolow
In den geänderten Anweisungen des Ifab heißt es, dass ein "deliberate play" auch dann gegeben ist, wenn die Möglichkeit besteht, eine kontrollierte Aktion wie eine Klärung oder einen Pass auszuführen, die Ausführung selbst aber ungenau ist oder misslingt, etwa aufgrund einer technischen Schwäche oder eines schlechten Timings. Das war bei Schwolow der Fall.
Auch aus diesem Grund lag kein strafbares Abseits vor, weshalb der Treffer zum 2:0 für den 1. FC Köln zu Recht zählte. Allerdings hätte sich Schiedsrichter Robert Schröder die Szene eigentlich noch einmal im On-Field-Review ansehen müssen, weil es sich wiederum um eine subjektive Entscheidung handelte.
So standen am Ende drei Eingriffe des Video-Assistenten mit drei daraus resultierenden geänderten Entscheidungen zu Buche, sämtlich gegen die Schalker. Nicht nötig war dabei der zweite, der zu einem sehr harten Feldverweis gegen Drexler führte; für die anderen beiden Interventionen gab es gute Gründe.
Robert Schröder wäre gleichwohl wahrscheinlich froh, wenn es für ihn im weiteren Verlauf dieser Saison ähnlich liefe wie in der vergangenen: Da griff der VAR bei seinen Spielen kein einziges Mal ein.
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