Frank Schmidt hat mit dem 1. FC Heidenheim die Klasse gehalten und den Europapokal erreicht. Wie war das möglich? Wir haben mit dem Experten Sebastian Kneißl darüber gesprochen.

Eine Analyse
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Der 1. FC Heidenheim hat nach dem sensationellen Aufstieg in die Bundesliga noch einen draufgelegt: Der Klub konnte in der vergangenen Saison nicht nur die Klasse halten, sondern schaffte auch noch die Europapokal-Qualifikation. Wir haben uns mit dem Fußball-Experten Sebastian Kneißl über die Gründe für den überraschenden Erfolg unterhalten.

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Es gibt viele Trainer, die einem besonderen Anlass Rechnung tragen. Sie ziehen bei Europapokal-Spielen zum Beispiel einen Anzug an. Und dann gibt es die Coaches, die sich trotz der speziellen Umstände treu bleiben. Wie Frank Schmidt, den man nach dem sensationellen Einzug des 1. FC Heidenheim in die Playoffs der Conference League nicht im feinen Zwirn an der Seitenlinie sehen wird. Schmidt im Anzug "gab es mal während meiner Banklehre und später in der Zeit, als ich noch für die Paul Hartmann AG gearbeitet habe", sagte Schmidt der Schwäbischen Zeitung, "Aber das ist Geschichte. Als Trainer habe ich nicht vor, mich anders zu präsentieren, als ich es sonst mache. Egal ob nun Europapokal ist oder nicht". Punkt. Nein, Ausrufezeichen.
Denn in Heidenheim ticken die Uhren bekanntlich ein wenig anders, was auch an Schmidt liegt.

Es verwundert nicht, dass der 50-Jährige den Klassenerhalt und die Europapokal-Quali durch einen achten Platz in der ersten Saison nach dem Aufstieg nicht an die große Glocke hängen möchte. Dabei könnte er das, denn beides ist angesichts der Umstände durchaus als Sensation zu bezeichnen. Schließlich hatte der Klub aus dem 50.000-Einwohner-Städtchen am nordöstlichen Rand der Schwäbischen Alb den zweitkleinsten Etat der Liga, keine Topstars und eigentlich nicht die Voraussetzungen für ganz große sportliche Sprünge.

Schmidt hat mal wieder gezaubert

Doch Schmidt, der bereits seit 2007 in Heidenheim Trainer ist, hat mal wieder gezaubert. Mit dem Aufstieg konnte er mit dem Verein bereits einen Quantensprung hinlegen. Und er hat es geschafft, 2023/24 mit seiner Mannschaft sportlich noch einen draufzusetzen. Doch wie konnte der Klub so eine Saison spielen? "Indem du nicht den Kopf verlierst, sondern bei dir bleibst, auch wenn die Aufgabe größer wird", sagt der frühere Profi Sebastian Kneißl im Gespräch mit unserer Redaktion.

Denn es gibt Klubs und Mannschaften, die in einem solchen Fall durchdrehen und den bisherigen Erfolgsweg verlassen. "Ich merke ganz oft, dass Mannschaften, Spieler, Trainer, nur weil sie auf einmal auf allerhöchster Ebene performen dürfen, den Kopf verlieren und meinen, sie müssen etwas Außergewöhnliches machen", sagte Kneißl. Was er an Frank Schmidt liebt: "Dass er weiß, dass sie bei sich bleiben und die Tugenden weiterhin auf den Platz bringen müssen." Es gehe es um tiefes Vertrauen, aber natürlich auch Taktik, Überzeugung, Dynamik und auch Gegnervorbereitung, Gegneranalyse, so Kneißl: "Aber sie stehen zu dem, wie sie Fußball spielen. Und das hat in der ersten Saison ganz gut geklappt."

Wenig Ballbesitz, viel Laufleistung

Interessant dabei: Von allen Klubs hatte Heidenheim den wenigsten Ballbesitz (43 Prozent), legte aber mit im Schnitt rund 120 Kilometern pro Spiel die drittbeste Laufleistung hin. Weitere Erfolgsfaktoren waren "Dynamik, oder die gefährlichen und erfolgreichen Standardsituationen, die Flanken von Jan-Niklas Beste. Es ist ein No-Brainer, dass du mit Tim Kleindienst vorne jemanden hast, der ein super Abschlussspieler ist in allen möglichen Situationen. Das passt, da werden die Stärken perfekt eingesetzt", so Kneißl.

Eren Dinkci brachte Tempo in das Spiel, in die Umschaltsituationen, er ging zudem in die Dribblings, sorgte so für Überraschungsmomente. "Mir gefällt dieser Ansatz, proaktiv Fußball zu spielen und nicht nur hinten drinzustehen", so Kneißl über den mutigen Heidenheimer Stil. Schwer zu knacken waren sie, weil es für den Gegner kaum auszurechnen war, "wann sie in die Zweikämpfe kommen, wann sie die Kompaktheit verlassen, wann sie wieder in die Kompaktheit zurückkehren, wann sie verschieben. Deshalb war es auch so schwierig, da durchzukommen", so Kneißl.

Ein Gegenentwurf, der funktioniert

Weitere essenzielle Komponenten für den Erfolg sind Ehrgeiz, Emotionen, Konstanz, Zusammenhalt und ehrliche Arbeit. Dazu steht der ganze Verein für Bodenständigkeit, Homogenität, Identifikation und eine gewachsene Struktur, was im schnelllebigen Milliarden-Geschäft Fußball grundsätzlich ein ungewöhnlicher Gegenentwurf ist, in Heidenheim aber funktioniert. Das hat Gründe, weiß Kneißl.

"Das Wichtigste ist, dass jeder in dieser Mannschaft, jeder in diesem Verein verstanden hat, dass man sich selbst nur ins Rampenlicht spielen kann, wenn man seine Stärke in die Mannschaft einbringt", sagte Kneißl. Vereine wie Heidenheim oder zum Beispiel auch der SC Freiburg wissen, was möglich ist und was nicht. Es kommt nicht von ungefähr, dass die Amtszeit der Trainer bei solchen Klubs dann auch auf echte Langfristigkeit ausgelegt ist und auch tatsächlich so umgesetzt wird.

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Trainer spielt eine große Rolle

"Es gibt Mannschaften, die hochkommen und wieder absteigen, weil sie intern das Problem haben, dass sie sich selbst ins Schaufenster spielen wollen oder dann denken: ‚Jetzt sind wir bei den Großen dabei und wir können wieder unser eigenes Ding machen‘, und so die Gemeinschaft verlieren", so Kneißl. Und da spiele der Trainer wieder eine große Rolle, so der 41-Jährige, "immer wieder daran zu erinnern, demütig, gleichzeitig aber auch überzeugt von der eigenen Qualität plus der Qualität der Gruppe zu sein".

Das Gute: Schmidt weiß den Erfolg realistisch einzuschätzen. "Natürlich hat Leverkusen uns durch ihren Titel geholfen, aber wir haben die 42 Punkte geholt. In den letzten Jahren hätten diese nicht zu Platz 8 in der Liga gereicht, aber eben in dieser und das hätten ja auch andere erreichen können", sagte Schmidt, der betonte, dass man immer an den Grenzbereich gehen musste. Die große Herausforderung wird es daher sein, nun im zweiten Jahr mit den begrenzten Mitteln die Klasse zu halten. Typisch Schmidt: Er bezeichnet das Erreichte als "phänomenal", allerdings solle man sich jetzt "schnell davon wegbewegen, allzu lange zu träumen und es als Sensation zu betiteln, sondern einfach weitermachen".

Wie geht es weiter?

Beim "einfach Weitermachen" lauten die großen Fragen laut Kneißl: "Was passiert auf dem Transfermarkt? Was passiert mit Schlüsselspielern, und können sie das auffangen?" Er gehe nicht davon aus, und das sei auch vollkommen in Ordnung, dass Heidenheim nächste Saison noch einmal diesen Tabellenplatz erreichen werde, so Kneißl: "Den Klassenerhalt traue ich ihnen, je nachdem, was auf dem Transfermarkt passiert, zu." Dinkci verlässt den Klub in Richtung Freiburg, andere Leistungsträger wie Beste oder Kleindienst haben Begehrlichkeiten geweckt.

Es wird daher einfaches Unterfangen, doch Schmidt kennt diese Herausforderungen schon, schließlich sind es die gleichen wie jedes Jahr. "Wir haben schon, als wir in die 3. Liga oder auch die 2. Bundesliga aufgestiegen sind, gehört: ‚Wenn ihr jetzt nichts ändert, dann wird es schwer‘", so Schmidt. Man bleibe beim bewährten und erfolgreichen Weg und denke positiv, so der Coach: "Ich sage immer: Man muss mit allem rechnen, auch mit dem Guten." Nur mit Frank Schmidt im Anzug sollte man nicht rechnen.

Über den Gesprächspartner

  • Kneißl wagte 2000 mit nur 17 Jahren als vielversprechendes Talent (U19-Vize-Europameister) den Sprung ins Ausland von Eintracht Frankfurt zum FC Chelsea, kam dort aber nicht bei den Profis zum Einsatz. Er spielte anschließend unter anderem für Fortuna Düsseldorf und Wacker Burghausen. 2014 beendete Kneißl aufgrund einer Sportinvalidität seine Profikarriere. Seit 2016 ist er unter anderem beim Sport-Streaminganbieter Dazn als Experte tätig.

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