In Leverkusen verschuldet der Torhüter einen indirekten Freistoß – weil er eine Regel nicht kennt, die es seit fast 27 Jahren gibt.
Rune Jarstein war nach Spielende immer noch ein wenig perplex. "Ich wusste nicht, dass ich das so nicht machen kann", sagte der Torwart von Hertha BSC im Anschluss an den 2:0-Sieg seiner Mannschaft bei Bayer 04 Leverkusen.
"Ich habe den Ball erst nur berührt, nicht festgehalten. Ich habe das so mein ganzes Fußballerleben gemacht und nie hat jemand gepfiffen." Jetzt aber wisse er um die betreffende Regel. "Zum Glück ist nichts passiert."
Was den Schlussmann der Berliner so konsterniert hatte, war die Entscheidung von Schiedsrichter Patrick Ittrich, in der 70. Minute einen indirekten Freistoß gegen ihn zu verhängen – sieben Meter vor seinem Tor. Wegen einer kuriosen Regelübertretung von Jarstein.
Geschehen war zuvor dies: Weil sich der Berliner Per Skjelbred verletzt hatte, spielte Jarstein den Ball absichtlich ins Seitenaus, um seinem Mitspieler eine Behandlung zu ermöglichen. Die war dann allerdings doch nicht nötig.
Der Leverkusener
Als sich der Leverkusener Lucas Alario näherte, nahm Jarstein den Ball auf, um ihn abzuschlagen. Doch dagegen hatte der Unparteiische etwas. Um zu begreifen, warum das so war, ist ein Blick in die Geschichte der Fußballregeln sinnvoll.
Eine Regel, die das Spiel beschleunigen soll
Noch zu Beginn der 1980er Jahre war den Torhütern eine Spielweise gestattet, die das Zeitspiel erheblich begünstigte: Zwar mussten die Keeper den Ball, wenn sie ihn mit den Händen kontrollierten, nach höchstens vier Schritten freigeben. Sie konnten ihn danach aber gleich wieder aufnehmen und weitere vier Schritte mit ihm laufen, womit das Spielchen von vorne begann.
Weil das oft zu einem nervtötend langen Halten des Balles durch die Torleute führte, modifizierte das International Football Association Board (Ifab) die Regel gleich mehrmals.
Ab 1985 durfte der Torwart den nach einer Kontrolle freigegebenen Ball erst dann wieder mit den Händen spielen, wenn ein Mitspieler das Leder außerhalb des Strafraums berührt hatte oder ein Gegenspieler irgendwo auf dem Feld. Das machte das Spiel jedoch nur unwesentlich schneller, weil sich meist ein Mannschaftskollege an der Strafraumgrenze zum Rückpass bereitfand.
Außerdem umgingen viele Torhüter die neue Regel, indem sie einfache, harmlose Bälle kurz mit den Händen stoppten oder bewusst abklatschen ließen, statt sie festzuhalten. Dadurch war ja keine Kontrolle gegeben, sodass sie den Ball aufnehmen durften, wenn sich ein gegnerischer Spieler näherte.
Diesem Trick schob das Ifab jedoch 1991 einen Riegel vor. Nun hieß es: "Zum Ballbesitz zählt es auch, wenn der Torwart den Ball absichtlich von der Hand oder dem Arm abprallen lässt." Absichtlich bedeutete: gezielt, planmäßig – so, wie es Jarstein tat.
Verstöße sind selten geworden
Dass der Hertha-Keeper von dieser Regelung, die seit fast 27 Jahren gilt, nichts wusste, mag daran liegen, dass nur noch selten ein Torhüter gegen sie verstößt. Dementsprechend muss sie kaum angewendet werden und ist ein wenig in Vergessenheit geraten. Erstaunlich wäre es, wenn die Referees bei Jarstein bislang ein Auge zugedrückt hätten – die Anordnung lässt ihnen so gut wie keinen Ermessensspielraum.
Seit das Gesetzeswerk des Fußballs im Sommer 2016 deutlich verschlankt wurde, sucht man dort die Formulierung, die 1991 in den Regeln ergänzt wurde, übrigens vergeblich. Als bewusste Streichung wurde sie allerdings nicht kenntlich gemacht.
Dass das absichtliche Abprallenlassen des Balles durch den Torhüter auch eine Form des Ballbesitzes ist, wird vielmehr als bekannt vorausgesetzt.
Die "Rückpassregel" revolutionierte das Torwartspiel
Ein Jahr nach der Einführung jener Regelung, die Jarstein übertrat, entschloss sich das Ifab zu einer Änderung, die das Torwartspiel geradezu revolutionieren sollte: Seit 1992 verursacht der Torhüter einen indirekten Freistoß, wenn er im Strafraum den Ball, den ihm ein Mitspieler absichtlich mit dem Fuß zugespielt hat, mit der Hand berührt.
Diese sogenannte Rückpassregel nahm den Schlussleuten nicht nur eine weitere Möglichkeit, auf Zeit zu spielen, sie zwang sie auch zur Verbesserung ihrer fußballerischen Qualitäten.
Seit 1997 dürfen sie den Ball zudem nicht mehr länger als sechs Sekunden mit den Händen kontrollieren – eine Regelung, die von den Unparteiischen allerdings überaus großzügig ausgelegt wird.
Die Vier-Schritte-Regel kippte schließlich im Jahr 2000. Seitdem dürfen die Keeper mit dem Ball in den Händen innerhalb der sechs Sekunden so viel laufen, wie sie können und wollen.
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