Ende gut, alles gut? Anders als von manchen befürchtet, gerät der Unparteiische Manuel Gräfe beim Abstiegsduell zwischen Hamburg und Wolfsburg nicht in die Kritik – weil er dem Druck souverän standhält. Doch sein Einsatz war heikel.

Alex Feuerherdt, Schiedsrichter
Eine Kolumne
Diese Kolumne stellt die Sicht von Alex Feuerherdt dar. Informieren Sie sich, wie unsere Redaktion mit Meinungen in Texten umgeht.

Nach dem Schusspfiff wurde Markus Gisdol deutlich. Obwohl Schiedsrichter Manuel Gräfe das entscheidende Spiel zur Vermeidung der Relegation zwischen dem Hamburger SV und dem VfL Wolfsburg (2:1) sehr sicher geleitet hatte, sparte der Trainer der Gastgeber auf der Pressekonferenz nicht mit Kritik an der Ansetzung des Unparteiischen.

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Diese Kritik richtete sich jedoch nicht gegen Gräfe, sondern vielmehr an den Deutschen Fußball-Bund. Der Berliner Referee sei von den Zuständigen des Verbandes in eine "extrem schwierige Situation gebracht" worden, fand der Coach. Ja, der DFB habe geradezu "verantwortungslos gegenüber dem Schiedsrichter" gehandelt.

Hintergrund für Gisdols Äußerung war das Relegations-Rückspiel des HSV beim Karlsruher SC vor zwei Jahren. Gräfe hatte damals kurz vor dem Ende beim Stand von 1:0 für den KSC nach einem Handspiel einen umstrittenen Freistoß für die Gäste gegeben, der zum Ausgleich verwandelt wurde.

In der Verlängerung setzte sich der Erstligist durch und schaffte den Klassenerhalt. Dass derselbe Unparteiische nun erneut eine Alles-oder-nichts-Partie der Hamburger leiten sollte, sahen deshalb viele kritisch –darunter beispielsweise auch die früheren FIFA-Referees Markus Merk und Bernd Heynemann.

Bemerkenswerte Zurückhaltung von Gisdol und Jonker

Sie befürchteten, dass die Vorgeschichte das Spiel belasten und den Schiedsrichter unnötig in den Mittelpunkt rücken könnte. Denn bei weiteren zweifelhaften Entscheidungen zugunsten des HSV hätte man Gräfe womöglich unterstellt, Sympathien für den "Liga-Dino" zu haben, also nicht neutral zu sein.

Bei fragwürdigen Pfiffen zum Vorteil der Wolfsburger wiederum hätte es vielleicht geheißen, er habe aus schlechtem Gewissen gehandelt. Unter diesen Voraussetzungen hätte Manuel Gräfe stets im Fokus gestanden und nur verlieren können, unabhängig von seiner wirklichen Leistung.

"Das war eine unglaublich schlechte Entscheidung vom DFB", wurde Markus Gisdol deshalb nach dem Spiel deutlich. Vor der Begegnung dagegen hatte er sich – wie auch sein Gegenüber Andries Jonker – bewusst zurückgehalten, um die Diskussion nicht noch zu befeuern.

Man mag das für selbstverständlich halten. Andererseits gibt es immer wieder Spiele, vor denen Spieler, Trainer oder Funktionäre über die Medien Druck auf die Unparteiischen ausüben, um sie in ihrem Sinne zu beeinflussen. Deshalb waren Gisdols und Jonkers leise Töne bemerkenswert.

Abgeklärter Gräfe trotzt dem Druck

Noch bemerkenswerter war es, wie Manuel Gräfe mit der Situation umging. Sicherlich hatte er auch das Glück, dass es gar nicht erst zu kritischen Szenen kam, bei denen seine Entscheidungen den Ausgang des Spiels beeinflussten.
Dennoch waren die Ruhe, mit der er diese streckenweise hitzige und hektische Partie leitete, seine Nervenstärke und seine unaufgeregte Art, seine Konsequenz und Akzeptanz beachtlich – vor allem angesichts der für ihn so schwierigen Umstände.
Gräfe kühlte die Gemüter immer wieder mit kurzen Ansprachen und klarer Gestik ab. Taktische Fouls, beispielsweise von HSV-Kapitän Gōtoku Sakai und dem Wolfsburger Vieirinha, ahndete er rigoros mit Gelben Karten. Kyriakos Papadopoulos wurde für seinen Ellbogencheck gegen Paul-Georges Ntep ebenfalls zu Recht verwarnt, wie auch Josuha Guilavogui, der Nicolai Müller ein Bein stellte.
Dazu kamen richtige Entscheidungen des Referees in potenziell heiklen Szenen – wie etwa, keinen Elfmeter für Wolfsburg zu geben, als Albin Ekdal den Ball in der 51. Minute mit der Hand spielte, von Yannick Gerhardt vorher jedoch geschubst worden war.

Genügend Alternativen vorhanden

Am Ende ging also alles gut, der Schiedsrichter hatte das Spiel mit seiner ganzen Persönlichkeit und Erfahrung bewältigt. Auch beim DFB dürfte man deshalb hörbar aufgeatmet haben.

Zur Begründung für die Ansetzung von Gräfe hieß es vor dort, andere Top-Referees stünden gerade nicht zur Verfügung oder seien – wie Deniz Aytekin mit dem DFB-Pokal-Endspiel oder Felix Brych mit dem Champions-League-Finale – schon mit der Leitung von ebenfalls entscheidenden Spielen betraut.

Besonders überzeugend war dieses Argument allerdings nicht. Schließlich hätte es auch unter den verbleibenden Bundesliga-Schiedsrichtern genügend Alternativen gegeben. Wie zum Beweis wurde auch in den anderen Stadien an diesem letzten Spieltag der Saison 2016/17 kaum einmal über die Entscheidungen der Unparteiischen debattiert. Und das, obwohl vielerorts noch eine Menge auf dem Spiel stand.

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