Im Interview mit unserer Redaktion spricht Ex-Schiedsrichter Urs Meier über die Situation der Bundesliga-Referees und den Videobeweis. Für den DFB hat er einen Rat im Konflikt mit Manuel Gräfe.

Ein Interview

Herr Meier, in wenigen Tagen beginnt die neue Bundesliga-Saison. Was wünschen Sie sich für die neue Saison?

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Urs Meier: Ich wünsche mir natürlich, dass wir wieder eine unglaublich interessante Meisterschaft erleben werden, so wie das vergangenes Jahr der Fall war. Sowohl im Abstieg als auch im Kampf um die Meisterschaft war es sehr spannend. Außerdem hoffe ich, dass wir wieder viele interessante Spiele haben und dass wir weniger oder kaum noch über Schiedsrichterentscheidungen diskutieren werden. Es soll weniger um den VAR und den Kölner Keller gehen. Ich würde mir wünschen, dass es endlich darum geht, dass wir Fußball schauen und interessante, attraktive Spiele haben wollen.

Wie sehen Sie allgemein die Bundesliga in Sachen Schiedsrichterwesen aufgestellt?

Ich denke, dass man die Professionalisierung der Schiedsrichter doch einführen müsste. Ich glaube, man ist auf gutem Wege, wie man sich vermarktet. Man ist offener, man ist transparenter, die Schiedsrichter stehen auch zu Fehlentscheidungen. Dieser Weg ist gut, den sollte man beibehalten. Aber es darf das Wichtigste nicht vergessen werden, nämlich dass wir starke Schiedsrichter mit starken Persönlichkeiten haben, die vor allem vom Fußball Verständnis haben. Und gerade in diesem Bereich wünsche ich mir, dass da noch intensiver gearbeitet wird.

Das erwartet Urs Meier von einem Top-Schiedsrichter

Sie meinen Ausstrahlung und Persönlichkeit auf dem Platz. Also nicht nur das Regelbuch abarbeiten, sondern auch eine gewisse Aura zeigen?

Ja. Natürlich gehören Regelwerk und Kondition in den Rucksack eines jeden Schiedsrichters, aber diese Fähigkeiten sind schon lange da. Das ist kein Problem mehr. Wir sprechen nicht mehr über Schiedsrichter, die nicht mehr fähig sind, ein Spiel zu leiten. Sondern der Knackpunkt ist – und das ist schwer zu erlernen – das Fußball-Verständnis. Das Gespür für die Situation, ob es ein Foulspiel ist oder nicht, ob es absichtlich oder unabsichtlich war. Das brauche ich als Schiedsrichter auf dem Platz. Aber natürlich brauche ich das auch als Videoassistent. Denn es ist noch viel schwieriger, anhand von Fernsehbildern eine Entscheidung zu treffen.

Einfach in den Kontext von einem Fußballspiel ein Prinzip reinzubringen. Was sucht der Stürmer, was sucht der Verteidiger, was passiert jetzt dort? Und das erwarte ich eigentlich von einem Top-Schiedsrichter, dass er da dieses Gefühl hat für den Fußball, dass er es eben spürt, ob das jetzt absichtlich war oder nicht. Und wenn du das nicht hast, dann wirst du immer wieder Fehlentscheidungen treffen. Die Fehlentscheidungen passieren nicht durch die Tatsache, dass das Spiel schneller geworden ist, das ist Quatsch. Dieses Spielverständnis muss geschult werden und da ist noch Luft nach oben.

Es gab in den vergangenen Wochen und Monaten einige Vorschläge zur Verbesserung des VAR. Ein Vorschlag war, dass der Video Assistent Referee auch auf dem Bildschirm erscheinen soll, also dass die Menschen im Stadion transparent sehen können, was gecheckt wird. Wie ist Ihre Meinung dazu?

Ich denke, es wäre ein weiterer Schritt hin zu mehr Transparenz. Auch dass Fehlentscheidungen mitgeteilt werden. Bei der Frauen-WM ist der erste Schritt erfolgt, indem sich die Schiedsrichterinnen hinstellen und die Entscheidungen erklären. Der Zuschauer wird nur mitgenommen, so nach dem Motto 'Es ist jetzt keine rote Karte, es ist eine gelbe Karte oder wir annullieren das Tor wegen Abseits'. Aber das nützt dem Zuschauer nicht viel, sondern man müsste es eigentlich mit Bildern aufzeigen. Denn der Zuschauer, der im Stadion sitzt, kriegt eigentlich am wenigsten mit. Er weiß nicht, was passiert. Das wäre gut, wenn man das sehen würde. Es nützt mir auch nichts, wenn ich Videoassistenten sehe. Ich möchte die Bilder sehen.

Ein weiterer Vorschlag, der schon länger diskutiert wird, ist die Trainerchallenge. Diese gibt es bereits im US-Sport und ermöglicht es den Trainern, bestimmte Entscheidungen noch mal per Video prüfen zu lassen. Wäre so etwas denkbar für Sie?

Für mich ist das ein guter Vorschlag. Weil das Problem, das wir jetzt momentan haben, ist, dass pausenlos nach Fehlern gesucht wird im Videokeller. Ich habe das auch so miterlebt. Gab es ein Handspiel, gab es ein Foulspiel? Und im Prinzip denke ich, wenn niemand etwas will, wenn die Spieler und die Trainer sich beschweren, wenn jetzt nur beim Gefühl einer Fehlentscheidung unterbrochen wird, dann hilft das dem Spielfluss, wie es beim Tennis oder beim American Football zu sehen ist.

Fußball lebt von der Dynamik und diese Dynamik wird im Prinzip mit den Videoassistenten oft unterbrochen. Wie es dann bei einer erfolgreichen Challenge aussieht und wie viele Challenges jedem Team zur Verfügung stehen, muss dann natürlich noch geregelt werden. Aber so bekommt man auch Mannschaft und Trainer in die Verantwortung und es liegt nicht mehr nur bei den Schiedsrichtern. So kann sich bei einer strittigen Szene in der 90. Minute nicht mehr beschwert werden, wenn die Challenges bis dahin aufgebraucht sind.

Urs Meier: "Man möchte die Schiedsrichter der Bundesliga etwas schützen"

In der neuen ARD-Dokumentation "Unparteiisch" bekommt man Einblicke in den Funkverkehr der Schiedsrichter untereinander und erfährt dabei interessante Details und bekommt mit, wie eine Entscheidung getroffen wird. Was halten Sie von solchen Einblicken?

Man möchte die Schiedsrichter der Bundesliga etwas schützen und hofft durch diese Maßnahme auf mehr Verständnis bei Zuschauern und Spielern zu stoßen. Es soll weniger Kritik geübt werden und mehr Einblicke in die stressigen Momente als Schiedsrichter gewährt werden und wie schnell Entscheidungen getroffen werden müssen. Wenn es zu mehr Verständnis dafür führt, dann ist es wunderbar.

Interessant zu beobachten waren auch die verschiedenen Ansätze der Schiedsrichter, wie sie in eine Partie gehen. Vom Versuch totaler Kontrolle bis zur Anpassung an das Spielgeschehen war alles zu sehen.

Ja, das hat sehr viel mit Sicherheit zu tun, womit gerade jüngere Referees am Anfang noch ein Problem haben. Sie versuchen mit einer strengeren Linie niemals die Kontrolle zu verlieren. Oftmals geht es dann aber genau in die andere Richtung. Der richtige Weg ist es, situativ zu reagieren, denn es kann durchaus passieren, dass man bereits in der ersten Minute eine Rote Karte zeigen muss. Da hilft dann auch jede vorher zurechtgelegte Taktik nichts mehr. Es gilt vor Ort zu spüren, wie sich das Geschehen entwickeln könnte. Früher durften wir noch eine Stunde vor dem Spiel in die Kabine gehen und die Mannschaft im Prinzip kontrollieren.

Irgendwo habe ich das geliebt, da reinzugehen, eine Stunde vor dem Spiel, weil du da spürst, wie die Mannschaft drauf ist. Sind die Spieler angespannt? Sind sie zu locker? Was läuft in der Mannschaft? Wie ist das Verhältnis in der Mannschaft? Wie ist das Verhältnis zum Trainer? Und all das spiegelt sich dann im Spiel wider. Aus einem leichten Spiel kann dann schnell ein schweres werden und umgekehrt. Ich erwarte von einem guten Schiedsrichter, dass er ein Gefühl dafür hat, aber das hat auch mit Erfahrung zu tun. Aber in diesen Bereichen muss gearbeitet werden.

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Der DFB und die deutschen Schiedsrichter und auch die Führung der deutschen Schiedsrichter wurden in letzter Zeit häufig kritisiert. Einer der größten Kritiker ist Ex-Schiedsrichter Manuel Gräfe, der vor allem die Struktur bemängelt. Wie sehen Sie diesen Konflikt?

Es gibt bei Manuel Gräfe eine Menge Herzblut für das Thema Schiedsrichter. Es wäre, von außen betrachtet, wichtig, Gräfe in das Ganze einzubinden. Er macht sehr vieles für die Sache. Aktuell gibt es jedoch Vorwürfe und Attacken von allen Seiten, was nicht gut ist und niemandem hilft. Ich habe in der Vergangenheit bereits den Vorschlag gemacht, dass man versuchen sollte, die Spitzenschiedsrichter wie Felix Brych, Deniz Aytekin und Manuel Gräfe zusammenzubringen, um gemeinsam für den DFB etwas voranzubringen.

Es würde dem DFB gut zu Gesicht stehen, die Hand auszustrecken und Gräfe zurückzuholen, sodass man dieses Fachwissen und diese Persönlichkeit in positive Energie ummünzen kann. Dafür müsste man eingestehen, dass er auch in gewissen Punkten recht hat, damit dann auch langfristig die nachfolgenden Schiedsrichter von der Erfahrung profitieren können. Es sollte aber immer nur um die Sache gehen und nicht um einzelne Personen.

Zur Person: Urs Meier war Fifa-Schiedsrichter und zeigte Michael Ballack bei der WM 2002 eine Gelbe Karte im Halbfinale, sodass dieser im Finale gesperrt fehlte. Inzwischen arbeitet Meier als TV-Experte, wo er bei der WM 2006 einem breiten Publikum im ZDF an der Seite von Jürgen Klopp auffiel.
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