Der Streit um ein generelles Tempolimit auf Autobahnen tobt seit Jahren. Immer wenn es schwere Unfälle gibt, flammt er wieder auf. Doch auch wenn vieles dafür spricht, so fehlen doch aktuelle belastbare Studien, beklagt Verkehrsexperte Prof. Jürgen Follmann. Fast alle Parteien sind gegen ein Tempolimit - mit ein paar Ausnahmen.

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Geht es um ein generelles Tempolimit auf der Autobahn, wird es in Deutschland meist sehr emotional. Befürworter und Gegner stehen sich unversöhnlich gegenüber. Im einzigen europäischen Land ohne generelles Tempolimit ist das schnelle Fahren äußerst beliebt. Kein Wunder also, dass die Diskussionen um Geschwindigkeitsbeschränkungen sich seit Jahren im Kreis drehen. Am Ende behielten bislang immer die Gegner eines generellen Tempolimits die Oberhand: Freie Fahrt für freie Bürger.

Doch immer wieder kommt es durch überhöhte Geschwindigkeit zu schweren Unfällen. Dann flammt regelmäßig die Diskussion neu auf. Wir haben den Verkehrssicherheitsexperten Professor Dr.-Ing. Jürgen Follmann von der Hochschule Darmstadt um seine Einschätzung gebeten. Der Experte leitet bei der Forschungsgesellschaft für Straßen- und Verkehrswesen den Ausschuss Verkehrssicherheitsmanagement.

Autobahnen sind sehr sicher

"Bei diesem emotional besetzten Thema gibt es Argumente Für und Wieder. Aber, wenn es nach mir ginge, gäbe es ein generelles Tempolimit von 130", sagt Prof. Follmann. Allgemein seien Autobahnen sehr sichere Verkehrswege, wenn man die Anzahl der Verkehrstoten als Maßstab nehme. "Wenn es allerdings Unfälle gibt, dann sind es wegen der hohen Geschwindigkeiten oft schwere Unfälle mit Toten und Verletzten", berichtet der Experte.

Insgesamt starben 2016 im Straßenverkehr laut Statistischem Bundesamt 3.206 Menschen. Davon wurden 1.853 Verkehrsteilnehmer auf den Straßen außerhalb geschlossener Ortschaften getötet, die 393 Opfer von Unfällen auf Autobahnen sind in dieser Zahl nicht berücksichtigt.

Innerhalb geschlossener Ortschaften ereigneten sich 74 Prozent aller Verkehrsunfälle, dabei starben 960 Menschen; außerhalb geschlossener Ortschaften wurden 26 Prozent aller Unfälle gezählt, dabei starben aber 2.246 Menschen.

Unterschiedliche Geschwindigkeiten sind gefährlich

Allerdings würden diese statistischen Angaben dadurch relativiert, weil Autobahnen eine besondere Art von Straßen seien, wo es keinen Gegenverkehr, keine Radfahrer und keine Fußgänger gäbe. "Diese Verkehrsteilnehmer sind weniger geschützt als Autofahrer und haben dadurch ein großes Risiko, bei einem Unfall zu sterben oder schwer verletzt zu werden", so der Experte.

Hohe Geschwindigkeiten an sich, seien nicht so problematisch, die Gefahr ginge von den großen Geschwindigkeitsdifferenzen aus, erläutert Prof. Follmann. "Das Überholen ist dann schwierig, das kennt ja jeder, wenn ein Fahrzeug 100 km/h fährt und das andere 200 km/h." Ein Tempolimit könne zur Harmonisierung führen, Überholen werden leichter, der Verkehrsfluss sei besser, es gebe weniger Staus, das Fahren insgesamt sei entspannter und Unfälle wären weniger schwer. Und es würde auch der Umwelt zugutekommen, Lärm, Feinstaub und CO2-Ausstoß würden verringert.

Und wenn die Autobahn leer ist?

Es fehle allerdings an belastbaren, aktuellen Studien aus Deutschland, die bestätigten, dass eine geringere Geschwindigkeit sich positiv auf die Verkehrssicherheit auswirke, so der Verkehrssicherheitsexperte. "Immerhin gibt es gute Erfahrungen mit Verkehrsleitsystemen, die die Geschwindigkeit regulieren", berichtet Prof. Follmann. Dabei sei die Zahl der schweren Personenschäden um 30 Prozent gesunken.

Die Nachteile eines generellen Tempolimits lägen auf der Hand. "Viele Verkehrsteilnehmer sehen Geschwindigkeitsbeschränkungen als eine Einschränkung ihrer persönlichen Freiheit", das mache die Akzeptanz schwierig, besonders wenn die Autobahn leer sei. Auch die persönliche Reisgeschwindigkeit werde sich wahrscheinlich verringern.

Tempolimit und Elektroautos

"Wenn wir in Zukunft mehr Elektroautos haben, wird sich die Frage eines Tempolimits sowieso ganz anders stellen", so Follmann. Elektrofahrzeuge haben zwar eine hohe Beschleunigung, doch ihre Reichweite sinkt dramatisch, wenn man länger die Höchstgeschwindigkeit fährt. "Ich glaube, dass die Bevölkerung längst bereit ist für ein Tempolimit. Meine Studenten legen keinen Wert auf schnelles Fahren, im Vordergrund steht, sich sicher fortbewegen zu können und ein aus ihrer Sicht innovatives Fahrzeug".

Parteien zum Tempolimit

Schaut man in die Wahlprogramme zur Bundestagswahl, so lehnen fast alle Parteien ein generelles Tempolimit auf Autobahnen ab.

Die CDU/CSU will die Straßen sicherer machen und gezielt die Zahl der schweren Unfälle und Verkehrstoten reduzieren. Dabei sollen gezielte Geschwindigkeitsbegrenzungen an Gefahrenstellen helfen.

Die SPD setzt auf flexible Tempobeschränkungen, die die Faktoren Verkehrsaufkommen und Witterungsbedingungen berücksichtigen. So sollen schwere Unfälle verhindert und die Umwelt geschont werden.

Die Grünen wollen die Zahl der Verletzten und Getöteten im Straßenverkehr reduzieren und den Klimaschutz voranbringen. Sie fordern ein generelles Tempolimit auf Autobahnen.

Die FDP lehnt ein generelles Tempolimit auf Autobahnen sowie die weitere Absenkung allgemeiner Höchstgeschwindigkeiten ab. Sie setzt auf den Ausbau intelligenter Verkehrsbeeinflussungsanlagen.

Die Linke will durch Tempolimits Menschen und Klima schützen. Sie fordert 120 km/h auf Autobahnen und eine Regelgeschwindigkeit von 30 km/h in Ortschaften.

Die AFD will keine weitere Bevormundung der Bürger und lehnt Tempolimits auf Autobahnen ab.

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