Die K-Frage bei der SPD ist geklärt: Martin Schulz fordert bei der Bundestagswahl im September Bundeskanzlerin Angela Merkel heraus. Der bisherige EU-Parlamentspräsident soll auch neuer SPD-Chef werden. Amtsinhaber Sigmar Gabriel erklärte überraschend seinen Verzicht. Damit steigen die Chancen der SPD auf ein gutes Ergebnis.

Bundestagswahl 2017: Parteien, Umfragen, Kandidaten

Als Sigmar Gabriel (57) am Dienstagnachmittag in einer Sitzung der SPD-Fraktion energisch für Martin Schulz (61) als Kanzlerkandidaten warb, honorierten die Parlamentarier seinen Schlussappell mit stehenden Ovationen. Die Rede des Parteivorsitzenden und Vizekanzlers glich einem politischen Erdbeben: Der Niedersachse verzichtet überraschend darauf, bei der Bundestagswahl im September gegen Angela Merkel anzutreten.

Stattdessen macht er den Weg für den bisherigen EU-Parlamentspräsident Martin Schulz frei. "Wenn ich jetzt anträte, würde ich scheitern und mit mir die SPD", sagte Gabriel dem "Stern". Sein Kontrahent habe "die eindeutig besseren Wahlchancen" und stehe "für einen Neuanfang. Und darum geht es bei der Bundestagswahl", erklärte Gabriel weiter.

Gabriel: Pflicht, Schulz aufzufordern

Die Entscheidung hat emsiges Stühlerücken zur Folge: Auch den SPD-Parteivorsitz soll Schulz übernehmen, Gabriel wird für den designierten Bundespräsidenten Frank-Walter Steinmeier (SPD) ins Außenministerium wechseln. Seine bisherige Staatssekretärin Brigitte Zypries wird neue Wirtschaftsministerin.

Gabriel, der trotz seiner mäßigen Beliebtheit lange als Favorit für die Kandidatur galt, begründete die Entscheidung laut "Zeit Online" auch mit privaten Gründen und einer von ihm in Auftrag gegebenen Umfrage unter SPD-Sympathisanten. Dort sah eine große Mehrheit mit Schulz bessere Chancen gegen Merkel. Es sei daher seine "Pflicht als Vorsitzender" gewesen, seinen Kontrahenten zur Kandidatur aufzufordern. Präsidium und Parteivorstand müssen noch zustimmen.

Auch in bundesweiten Umfragen hatte Schulz bessere Zustimmungswerte als der Noch-Parteichef. "Wenn wir 2017 nicht gut abschneiden, dann geht 2021 erst recht nichts", sagte Gabriel der SPD-Fraktion und betonte, er halte Schulz für einen "exzellenten Politiker". Dass der SPD-Boss seine persönlichen Ambitionen hinten anstellt, hat ihm viel Respekt bei den Genossen eingebracht.

Der Politikwissenschaftler Jörg Siegmund von der Akademie für Politische Bildung in Tutzing sagte die jetzige Entscheidung bereits Ende November des Vorjahres voraus. "Gabriel geht es nicht um persönliche Eitelkeiten, sondern um das Land", erklärte Siegmund im Gespräch mit unserer Redaktion. "Bei ihm wird möglicherweise die Erkenntnis reifen, dass die SPD mit einem anderen Kandidaten, nämlich Martin Schulz, besser fährt."

Die Erkenntnis ist nach monatelangem Ringen tatsächlich gereift. Obwohl Gabriel den Kandidaten eigentlich erst am Sonntag bekannt geben wollte.

Bessere Chancen mit Schulz

Mit seinem Alleingang überraschte er nicht nur die Genossen - und erwies ihnen möglicherweise einen großen Dienst.

"Martin Schulz hat die besten Chancen, Merkel zu schlagen - abhängig vom Programm und den Wahlkampfthemen", ist Jörg Siegmund sicher. "Schulz kann Begeisterung entfachen, er sprüht vor Energie für die Politik. Und er wird von vielen Menschen als authentisch wahrgenommen. Als Politiker, der für etwas steht", sagt der Experte.

Für den gebürtigen Rheinländer spricht außerdem, dass er sich als Europapolitiker noch nicht im innenpolitischen Kleinklein aufgerieben hat. Der 60-Jährige weckt Neugierde. Ein weiterer Vorteil: Schulz kann Merkel glaubwürdiger attackieren als Gabriel, der als Minister der Regierung angehört. Im Dezember stand die SPD laut einer Forsa-Umfrage nur noch bei 20 Prozent.

Gesundheitsexperte Karl Lauterbach sieht in Gabriels Verzicht ein klares Signal gegen eine erneute große Koalition: "Mit Martin Schulz haben wir in dieser Zeit bessere Chancen", sagte Lauterbach dem WDR. Die SPD sei von der großen Koalition enttäuscht. "Wir wollen einen Neuanfang."
Die einzige realistische Machtoption für die SPD ist neben dem erneuten Bündnis mit der CDU/CSU eine rot-rot-grüne Koalition. Doch für diese Variante gibt es derzeit nicht mal ansatzweise eine Mehrheit. Es bleibt viel zu tun für Martin Schulz, den neuen starken Mann der Sozialdemokraten.

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